Nach UrteilHeftiges Auf und Ab bei Burscheids Kanalgebühr

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Das Gemeinschaftsklärwerk in Bürrig in der Übersicht

Das Klärwerk in Leverkusen betreibt der Wupperverband gemeinsam mit Currenta.

Wiederbeschaffungswert plus hohe Zinsen: So darf man keine Abwassergebühr mehr kalkulieren. Sie sinkt für 2022 – aber danach wird es teurer.

Die Kanalgebühr in Burscheid sinkt nachträglich – um im kommenden Jahr gleich wieder zu steigen: Der Stadtrat hat am Dienstag einstimmig nachvollzogen, was ihm die Stadtverwaltung empfohlen hatte: Für Haushalte und kleine Betriebe werden für 2022 nun nicht 4,11 Euro, sondern nur 3,85 pro Kubikmeter Schmutzwasser angesetzt. Bei Regenwasser sinkt der Preis von 1,31 auf 1,17 Euro. Für Gewerbebetriebe gelten diese Sätze: 3,01 Euro statt 3,29 pro Kubikmeter Schmutzwasser, 95 statt 96 Cent für Niederschlagswasser. 

Die städtische Kalkulation für 2023 sieht allerdings schon wieder deutlich ungünstiger aus: Für Haushalte steigt die Schmutzwasser-Gebühr auf 4,04 Euro, und bei Regenwasser ist ein extremer Preissprung zu verdauen, nämlich auf 1,80 Euro pro Kubikmeter. Dafür führt Jenny Zyball aus der Stadtkämmerei drei Gründe an: deutlich, um 450.000 Euro steigende Investitionen ins Netz und der Ausfall einer Rückzahlung vom Wupperverband. Der hatte Burscheid in diesem Jahr noch 200.000 Euro erstattet. So etwas werde sich nicht wiederholen, so Zyball. Schließlich wird im kommenden Jahr Burscheids Anteil an der Renaturierung der Diepentalsperre anfallen. Das sind dann nochmal 115.000 Euro.   

Größere Gewerbebetriebe werden im kommenden Jahr mit 3,14 Euro pro Kubikmeter Schmutzwasser kalkulieren müssen, beim Niederschlagswasser sind es nur 20 Cent mehr, als 1,15 Euro. Diese Sätze gelten nur für Unternehmen, die Mitglied des Wupperverbands sind.

Mit der Kalkulation für das kommende Jahr bewahrheitet sich, was Ina Scharrenbach, die Kommunalministerin des Landes, vor einigen Wochen prognostiziert hatte: Trotz des Grundsatzurteils wird die Kanalbenutzung längerfristig nicht billiger für die Bürger.

Präzedenzfall Oer-Erkenschwick

Hintergrund des beträchtlichen Auf und Abs bei den Gebühren ist ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen. Es hat in den Kämmereien für erhebliche Unruhe gesorgt. Und in diesen Wochen für die Änderung des Kommunalabgabengesetzes, die dem Urteil Rechnung trägt. Mit der Folge, dass auch die Burscheider Kanalgebühren nach herkömmlicher Kalkulation rechtswidrig wären.

Dabei war es am höchsten Verwaltungsgericht Nordrhein-Westfalens gar nicht um Burscheid gegangen, sondern um Oer-Erkenschwick. Mit der Stadt im nördlichen Ruhrgebiet hat Burscheid – wie sehr viele Städte im Land – allerdings etwas gemeinsam: Wie sie die Abwassergebühr kalkuliert. Eben „rechtswidrig“, hatten die Münsteraner Richter am 17. Mai festgestellt. Und damit eine Kehrtwende vollführt. Mit dem Urteil in dem Musterverfahren habe das Gericht „seine langjährige Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwassergebühren geändert“, hieß es. Das galt mit Blick auf die Zinsen, die in der Kalkulation der Abwassergebühr auftauchen.

Abschreibung plus hoher Zins

Die beklagte Stadt Oer-Erkenschwick hatte 6,52 Prozent auf das Anlagevermögen aufgeschlagen – dabei werden Abwasserkanäle und alles, was dazu gehört, schon mit einem Betrag abgeschrieben, für den sich alles neu bauen lässt, wenn es verschlissen ist. Beides anzusetzen, das ist aus Sicht des Gerichts nicht zulässig, die entsprechende Gebührensatzung – sie stammt in der Ruhrgebietsstadt von 2016 - ist somit rechtswidrig.

Im Burscheider Rathaus zieht aus der nun höchstrichterlich beantworteten Zinsfrage diesen Schluss: Die vergangenen 50 Jahre zu betrachten und daraus einen durchschnittlichen Satz zu bilden, das geht nicht mehr. Allenfalls könne man sich die vergangenen zehn Jahre anschauen. Mit diesem Effekt: „In der aktuellen Niedrigzinsphase würde dies momentan dazu führen, dass keine kalkulatorischen Zinsen mehr angesetzt werden könnten“, schreibt Jenny Zyball aus der Kämmerei.

Im Urteil aus Münster hatte es mit Blick auf die Kalkulation von Oer-Erkenschwick geheißen, der dort angesetzte Zinssatz von gut sechseinhalb Prozent sei „sachlich nicht mehr gerechtfertigt“. Mit Blick auf die schon lange andauernde Zins-Baisse seien nicht 6,52, sondern 2,42 Prozent angemessen. In Oer-Erkenschwick seien deshalb die Abwassergebühren „um rund 18 Prozent überhöht“.

In Oer-Erkenschwick will man das zwar so nicht hinnehmen und hat das Bundesverwaltungsgericht angerufen. Aber, so heißt es in der Vorlage für den Burscheider Rat: „Eine Aufhebung des Urteils ist unwahrscheinlich.“  Deshalb wird jetzt gleich doppelt an der Gebührenschraube gedreht. 

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