Euphorie um Bayer 04 LeverkusenEs liegt etwas Großes in der Luft

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Bayer-04-Fans zünden Pyro, während sie auf den Mannschaftsbus warten.

Empfang des Mannschaftsbusses am 18. Mai auf der Bismarckstraße.

Tabellenführer, Pokalerfolge, Mitgliederboom und die Bayarena immer ausverkauft - die Begeisterung für den Fußballverein war in Leverkusen selten größer. 

Es liegt etwas in der Luft an diesem 18. Mai. Und es ist mehr als der rote Schimmer und leicht beißende Geruch der bengalischen Feuer, mit denen die Teilnehmer des Fanmarsches den Mannschaftsbus an der Bismarckstraße empfangen.

Es sind Euphorie, Stolz, pure Freude und große Hoffnung, die sich wie ein Energiefeld um die Bay-Arena legen und unweigerlich für Gänsehaut sorgen. Eine Begeisterung, wie man sie lange nicht mehr erlebt hat in Fußball-Leverkusen.

Choreografie der Fans von Bayer 04 Leverkusen vor dem Halbfinal-Rückspiel der Europa League gegen die AS Rom in der Bay-Arena.

Choreografie der Fans von Bayer 04 Leverkusen vor dem Halbfinal-Rückspiel der Europa League gegen die AS Rom in der Bay-Arena.

Im Vorfeld zu dem Halbfinal-Rückspiel in der Europaleague gegen die AS Roma hatte es einige Unstimmigkeiten gegeben. Die Fanvereinigung „Nordkurve 12“ wollte ein Fanfest in der Wiesdorfer Innenstadt organisieren. Der Tag bot sich an: Es ist nicht nur ein fußballerischer Feiertag, sondern auch ein kalendarischer. Christi Himmelfahrt, Vatertag. Doch die Polizei verbietet die Versammlung, zwei Eilanträge der Fans gegen das Verbot scheitern vor Gericht. Der Verein hatte den Rathausvorplatz schon lange vor dem Spiel bei der Uefa als Treffpunkt der Auswärtsfans genannt. Ein Aufeinandertreffen mitten in der Stadt war der Polizei zu riskant.

Kurzerhand verlegt die Nordkurve das Fest nach Opladen: mit großem Erfolg. Rund 2000 Fans kommen über den Nachmittag, verfolgen das Bühnenprogramm und stimmen sich friedlich auf das große Spiel ein, bevor sie gemeinsam Richtung Stadion marschieren. Daniela Frühling ist restlos begeistert: „Ich bin seit zwölf Jahren im Fanprojekt, sowas wie das hier habe ich in der ganzen Zeit noch nie erlebt“, sagt die Leiterin des Fanprojekts Leverkusen. „Das ist wirklich ganz großes Kino, was die Ultras hier auf die Beine gestellt haben, trotz der Umstände, in der Kürze der Zeit. Das hat viel Schweiß und schlaflose Nächte gekostet.“

Letztendlich schaffte es die Roma zwar, mit furchtbar destruktivem Defensivfußball jede Leverkusener Torbemühung zu verhindern und mit einem mehr erzwungenen als verdienten 0:0 selbst ins Finale einzuziehen. Der neuen Euphorie aber gab das nur einen sehr kurzfristigen Dämpfer.

Davon hat sich auch Fred Erikson (Pseudonym) anstecken lassen. Der Leverkusener Hobby-Autor stand mit Freunden auf der Opladener Bierbörse und gemeinsam gab man sich dem großen Traum hin, dass es diese Saison vielleicht wirklich klappen könnte mit der Meisterschaft. Und dann hat Erikson es aufgeschrieben. „Der Tag, an dem Bayer Leverkusen Deutscher Meister werden konnte“ heißt das 288 Seiten starke Fan-Werk. Jeder Spieltag wird einzeln durchgespielt, den Rahmen bilden Geschichten rund um acht fiktive Fans. Zumindest einigermaßen fiktiv. Einige Parallelen zu Eriksons echtem Fan-Umfeld gebe es schon, sagt er. Und im Nachhinein kann man feststellen: Auch die Parallelen zur fußballerischen Realität bestehen. Das Buch ist jetzt, zum Jahresende, näher an der Realität, als es sich Erikson hätte träumen lassen, als er es geschrieben hat.

Die Spieler danken den Fans am 20. Dezember für ihre Unterstützung in der Hinrunde.

Die Spieler danken den Fans am 20. Dezember für ihre Unterstützung in der Hinrunde.

Leverkusen ist Tabellenführer, „Weihnachtsmeister“, die ganze Saison sowohl in der Bundesliga, als auch in der Europaleague und dem DFB-Pokal ungeschlagen. Ein 2:2 gegen Bayern München und ein 1:1 gegen Borussia Dortmund, die einzigen Punktverluste in der Bundesligasaison. Im DFB-Pokal trennt die Werkself zwei Siege vom großen Finale in Berlin. Mit dem VfB Stuttgart steht der vermeintlich schwerste der verbleibenden Gegner bereits im Viertelfinale am 6. Februar auf dem Programm. München, Dortmund, Leipzig – alle bereits ausgeschieden. In der Europaleague darf sich die Mannschaft nach einer perfekten Gruppenphase die Zwischenrunde sparen und erst zum Achtelfinale wieder eingreifen.

Mitgliederboom ausgelöst

Die beste Hinrunde der Klubgeschichte macht sich auch in den Büchern bemerkbar: Die Mitgliederzahlen schnellen in die Höhe, jüngst hat der Verein das 40.000 Mitglied begrüßt, das sind fast 10.000 mehr, als zu Saisonbeginn. „Ich bin seit über 20 Jahren im Verein dabei. Aber solch eine Euphorie habe ich noch nicht erlebt“, sagt Meinolf Sprink, Leverkusens Direktor Fans/Soziales. Ein Faktor sei natürlich der Erfolg der Mannschaft, er spüre aber auch, dass der Verein gerade ganz tief in der Stadtgesellschaft verwurzelt sei.

Choreografie auf der Nordkurve

Der große Wunsch: Am 17.Dezember auf der Nordkurve.

Die Bayarena, in der man früher häufig freie Plätze sehen konnte, ist durchgängig ausverkauft, zu Topspielen sind die Karten innerhalb von Stunden vergriffen. Selbst zu Auswärtsfahrten in Deutschland und ganz Europa folgt eine ständig wachsende Fanschar der Werkself. Nach dem Uefa-Cup-Sieg 1988 endlich wieder einen Pokal in den Händen zu halten, das dürfte auf so manchem Wunschzettel im Verein gestanden haben.

Doch den größten Wunsch breiteten die Fans am 17. Dezember vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt einmal quer über die Nordkurve aus. In der Mitte: Der Grinch mit der Meisterschale. Drumherum in riesigen Lettern: „Der eine Wunsch, Jahr für Jahr ... Eines Tages wird er wahr.“ Es liegt etwa in der Luft.

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