PflegekriseWarum es in Leverkusens Altenheimen immer weniger Plätze gibt

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Petra Jennen vor einem Foto des Awo-Seniorenzentrums in Schlebusch

Petra Jennen überlegt, im Schlebuscher Awo-Seniorenzentrum 20 Plätze aufzugeben.

Stationen schließen oder Pleite gehen. Vor dieser Wahl stehen viele Heime. Petra Jennen von der Arbeiterwohlfahrt erklärt, woran das liegt.  

Zeitarbeit statt fester Stelle? Normalerweise ist die Antwort einfach: Ersteres ist die Notlösung für Arbeitnehmer. Nicht aber in der Pflege, da ist es andersrum: „Die Leute bekommen höhere Löhne, können sich die Zeiten aussuchen.“ Das berichtet Petra Jennen. Die 66-Jährige leitet das Seniorenzentrum „Stadt Leverkusen“ der Arbeiterwohlfahrt und bildet gemeinsam mit Axel Zens auch den Vorstand des Awo-Kreisverbands. Sie hat – wie praktisch alle Kolleginnen und Kollegen an der Spitze von Pflegeeinrichtungen – ihre liebe Not mit der verkehrten Welt in der Branche. 

Dass sie nur ungern Pflegekräfte aus Zeitarbeitsunternehmen einsetzt, ist keine moralische Frage, sondern eine wirtschaftliche. Für die Awo sind die Leute, die in den latent unterbesetzten Pflegeheimen die Lücken füllen, nämlich schlicht zu teuer. „Das Zwei- bis Dreifache“ werde fällig, sagt Jennen. Womit die Awo-Chefin keineswegs sagen will, dass es die Pflegekräfte sind, die in diesem Maße profitieren. Es seien die Tarife, die von den privaten Pflegediensten aufgerufen und mangels Alternativen von den Einrichtungen gezahlt würden.  

Die Kassen erstatten die Kosten nicht

Aber: Das bringt die Träger dieser Häuser in finanzielle Schieflagen. Denn „die Pflegekassen erstatten uns nur den Tariflohn“, erklärt Jennen. Was auf Dauer nicht funktioniert und immer häufiger dazu führt, „dass Einrichtungen schlicht pleitegehen. Und das sind nicht irgendwelche kleinen Heime, sondern welche von großen Trägern“. In Leverkusen ist derartiges bisher ausgeblieben. Allerdings nur, weil gegengesteuert werde, sagt Jennen mit Blick auf ihre Kolleginnen und Kollegen. Die Häuser von DRK und Caritas hätten schon ihre Kapazität verringert, um auf diese Weise die Kostenlücke kleiner zu machen.

Bei der Awo steht das auch zur Debatte, da ist Jennen ganz offen: „Wir überlegen, einen Wohnbereich in Schlebusch komplett zu schließen.“ Das wären 20 von 196 Plätzen, also gut zehn Prozent. Der Haken bei so einem Tritt auf die Bremse: „Natürlich fehlen Ihnen dann auch die Einnahmen.“ Denn es ist ja nicht so, dass es keine Nachfrage nach Plätzen in Pflegeheimen gebe. Im Gegenteil. Der Plan missfällt der Awo-Chefin sehr. Aber: „Wir können uns das auch nicht mehr ewig leisten“, sagt sie mit Blick auf die hohen Ausgaben für externes Pflegepersonal. 

Die Aushilfen machen nicht alles mit

Zumal dessen Einsatz auch intern nicht unproblematisch sei. Die unbeliebten Randzeiten abends, am Wochenende, an Feiertagen und – wie jetzt – „zwischen den Jahren“ lehnten die Externen in der Regel ab. Und sie drängten sich auch nicht nach den unangenehmen Aufgaben im Job, was in den aufgefüllten Teams weiteren Unfrieden provoziere, weiß die Pflegeheim-Leiterin.

Erst recht, weil es an der Tagesordnung ist, dass Leute ganz plötzlich einspringen müssen, weil jemand ausgefallen ist. Nicht umsonst poche man darauf, dass Dienstpläne drei Monate im Voraus aufgestellt würden, so Jennen. Das sei ja auch verständlich, „weil die Leute disponieren wollen“. Aber wahr sei auch, dass die Pläne praktisch täglich über den Haufen geworfen werden müssen.  

Ein paar Häuser neben der kleineren der Awo-Einrichtungen, dem Seniorenzentrum am Königsberger Platz in Rheindorf, residiert die Zentrale des Pflegedienstes MAK. Das Unternehmen hat ein Bewerbungsformular gleich auf seine Internetseite gestellt und wirbt wohlweislich mit einem „verbindlichen Dienstplan“ und dem Zusatz: „Frei ist bei uns auch frei und Urlaub heißt bei uns auch Urlaub.“ Damit ist das größte Problem in den unterbesetzten Pflegeeinrichtungen beschrieben.  

Das Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt am Königsberger Platz in Rheindorf

Das Awo-Seniorenzentrum am Königsberger Platz in Rheindorf.

Für Managerinnen wie Petra Jennen heißt das zum Beispiel: „Wir haben die Prämie erhöht, wenn jemand aus Freier Zeit kommt.“ Dafür gebe es bei der Awo jetzt 100 Euro als Kompensation dafür, dass man einspringt.

Einen Weg aus der Abhängigkeit von teuren externen Pflegekräften beschreitet man bei der Awo mit Energie, berichtet Jennen. Nächstes Jahr soll Fachkräfte aus Indonesien nach Leverkusen vermittelt werden, 2021 „haben wir selbst drei Inderinnen gefunden“. 2022 schließlich wurde eine halbe Stelle besetzt, die folgende Beschreibung hat: „Personal finden und binden.“ Das klappe manchmal erstaunlich gut – wenn man Ideen hat. Als es darum ging, Betreuerinnen oder Betreuer für die neue Tagespflege und Demenz-WG in Lützenkirchen zu rekrutieren, haben wir Handzettel in den Geschäften verteilt und so die Nachbarschaft gezielt angesprochen“, erinnert sich Petra Jennen. Es kann also klappen mit dem Appell an den Gemeinsinn.

Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es nicht gelungen ist, die zweite Demenz-WG in dem Neubau am Lützenkirchener Markt aufzuziehen, so Jennen. „Die haben wir an die Lebenshilfe vermietet.“ Ein ähnliches Modell schwebt der Awo-Chefin für die Wohngruppe in ihrem Schlebuscher Zentrum vor, wenn eine Wohngruppe dort vom Netz geht. Dann wäre der Verlust für die Stadt aufgefangen. Denn dass Leverkusen Plegeplätze braucht, liegt auf der Hand.

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