Gefängnis oder nicht? Zweieinhalb Stunden lang muss der Opladener Unternehmer am Mittwoch bangen. Dann erlöst ihn das Urteil.
SteuerbetrugLeverkusener Trockenbauer entgeht trotz Millionenschaden haarscharf der Haft
Als der Strafantrag des Staatsanwalts kam, zuckte er zusammen: Mit drei Jahren Gefängnis sollte die millionenschwere Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben geahndet werden, die der Opladener Trockenbauer in viereinhalb Jahren zu einem Grundpfeiler seines Unternehmens gemacht hatte. Kaum hatte er im Herbst 2015 seine Einzelfirma zu einer GmbH umgewandelt und diverse Mitarbeiter angestellt, nutzte er die kriminellen Dienste zweier Scheinfirmen aus Limburg und Dierdorf.
Dort stellte er zum Schein einige seiner Leute an – dabei waren die Firmen reine Konstrukte zur Steuerhinterziehung, die den Fiskus und die Sozialkassen Millionen gekostet haben. Das hat ein großer Prozess vor dem Landgericht Koblenz ans Tageslicht gebracht, bei dem der Opladener mit nordmazedonischen Wurzeln als Zeuge aufgetreten war. Dort hatte er schon „ausgepackt“, wie es sein Verteidiger Markus Bündgens in seiner Erwiderung auf den Staatsanwalt bezeichnete. Und auch aus diesem Grund für eine Strafe plädierte, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Die Richter lassen sich Zeit mit der Abwägung
Ob die 12. Große Strafkammer am Kölner Landgericht eher der Bewertung der Anklage oder jener der Verteidigung zuneigen würde, war gut zweieinhalb bange Stunden des Mittwochs unklar. Die Richter um Hans-Wilhelm Oymann ließen sich Zeit, denn der Fall war trotz weitgehender Offenheit des Beschuldigten nicht so leicht zu bewerten. Waren es die bei einer Razzia in Opladen sichergestellten Ringbücher mit diversen Stundenlisten, die ein Abbild der geleisteten Arbeit und der Löhne in der Firma geben? Oder muss man sich auf die „Abdeck-Rechnungen“ beziehen, die bei den kriminellen Scheinfirmen in Limburg und Dierdorf aufgetaucht waren?
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Der Unterschied ist in Geld rund 800.000 Euro Schadenssumme, gut 1,4 statt 2,2 Millionen Euro, die in der Anklageschrift standen. Vor allem aber: Gefängnis oder nicht für den Trockenbauer, der sich nach der Razzia einen Bauleiter in die Firma geholt hat und offenbar weiterhin viele und gute Aufträge in den Büchern hat. Die – so versicherte er – alle korrekt abgearbeitet würden. Keine Schwarzarbeit.
Das Hoeneß-Urteil ist der Maßstab
Tatsächlich sahen die Richter die Rechnungen als Maßstab für die Berechnung des Schadens an. Wäre es anders gewesen, „hätten wir uns über eine Bewährung nicht unterhalten können“, erklärte Oymann dem Unternehmer: „Da gibt uns der Bundesgerichtshof klare Regeln“, sagte er mit Verweis auf zum Beispiel die Haftstrafe für Uli Hoeneß.
Durch die Berücksichtigung der Rechnungen machte die Strafkammer aber auch eine Tür für den Angeklagten auf: Sein Geständnis wurde damit vollständig. Denn der 39-Jährige hatte von Beginn an behauptet, die in der Firma gefundenen Stundenlisten seien „nur so“ geführt worden. Als eine unvollständige Kontrolle, ob er als Subunternehmer auf dem Bau nicht am Ende draufzahlt. Üblich ist in seinem Gewerk tatsächlich die Abrechnung nach Quadratmetern.
Die Aussichten sind gut
Wichtig war aber auch, wie sich der Unternehmer, der inzwischen seine Frau und die beiden Töchter nach Deutschland geholt hat, nach der Razzia und der Untersuchungshaft verhalten hat. Seit November 2020 habe er „alles getan“, um einerseits die Taten aufzuklären und sich andererseits in die Lage zu versetzen, den Millionenschaden wiedergutzumachen, bescheinigte ihm der Richter. Allerdings: „Gegen Sie spricht der hohe Schaden und die lange Dauer.“ Deshalb stehe unweigerlich die Frage im Raum, ob „sich der Staat lächerlich macht“, wenn man für viereinhalb Jahre systematische Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben nicht ins Gefängnis muss, sondern auf Bewährung frei bleibt.
Mit Blick darauf, dass der Unternehmer – er beschäftigt derzeit 29 Menschen und will noch sechs Leute einstellen – in nächster Zeit an der Wiedergutmachung arbeiten will, wurde das verneint. Er muss sofort 193.000 Euro von den Geschäftskonten an den Staat abtreten und hat einen Gewährsmann auf die 10.000 Euro Kaution verzichten lassen, gegen die er aus der Untersuchungshaft gekommen ist. Darüber hinaus hat er ein Paket aus Krediten und anderen Zahlungen angekündigt. Alles mit dem Ziel, die gut 1,4 Millionen Euro am Ende vollständig bezahlt zu haben. Das traut ihm das Gericht zu. Aber nur, wenn er arbeitet und nicht im Gefängnis sitzt.