Während der FlutIm Klinikum Leverkusen gelang ein Notkaiserschnitt mit Taschenlampen

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Anja Mitrenga-Theusinger mit dem Generator im Hintergrund, der bei der Überflutung den Stromausfall verursacht hat. 

Leverkusen – Es ist nur eine von vielen Türen innerhalb der verschlungenen Kellergänge unter dem Klinikum Leverkusen. Auch die Gitterrost-Treppe, die zu der Tür führt, ist wenig spektakulär. Doch verbirgt sich genau hier das größte Glück, das Leverkusen vor einem wochen- oder gar monatelangen Komplettausfall seines größten medizinischen Versorgungszentrums bewahrt hat.

Strich zeigt Wasserstand

Im Frühjahr 2021 war das Klinikum gerade dabei, eine neue zentrale Stromversorgung aufzubauen, eben hinter jener Stahltür, die erhöht liegt und über eine Treppe erreichbar ist. Ein kleiner schwarzer Strich auf der Mitte der Treppe zeigt die Bedeutung: Andreas Schwinning hat ihn angezeichnet. „Bis dorthin stand das Wasser“, sagt der Technikverantwortliche im Klinikum. Und während in der Nacht des 14. Juli nach und nach Kellerräume vollliefen und das Wasser der Dhünn die komplette Stromversorgung des Klinikums inklusive Notstrom lahmlegte, blieb die noch nicht fertiggestellte neue zentrale Stromversorgung trocken. „Die haben wir dann unter Hochdruck an den Start gebracht und nach und nach Gebäudeteile angeschlossen“, sagt Schwinning.

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Das Klinikum als Insel in der Nacht des 14. Juli.

Und so konnte das Klinikum schon fünf Tage später wieder den Betrieb aufnehmen. „Wenn wir das nicht gehabt hätten, wäre das eine Katastrophe für die Versorgungslage in der ganzen Region gewesen“, sagt auch Dr. Anja Mitrenga-Theusinger, die damals Leitende Oberärztin der Intensivmedizin war und seit kurzem die medizinische Geschäftsführerin des Klinikums ist.

Wasser plätschert im Aufzugschacht

Auch ein Jahr nach der Flut sind die Erinnerungen bei allen, die in jener Nacht im Einsatz waren, noch präsent. Dr. Leon Lorenz, Leiter der chirurgischen Intensivstation, hat noch das Geräusch des Wassers im Ohr, wie es durch den Aufzugsschacht plätschert, während er mit seinen Kollegen und der Hilfe der Feuerwehr die zehn Intensivpatienten seiner Station mitsamt der lebenserhaltenden Geräte durch das Treppenhaus nach unten schleppt. Wie er mit seinem Handy sämtliche Krankenhäuser in der Umgebung abtelefoniert, weil das Festnetz nicht mehr funktionierte und schließlich handschriftliche Arztbriefe verfasst, um den Kollegen in den aufnehmenden Krankenhäusern alles Wichtige über seine Patienten mitzugeben.

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Dr. Anja Mitrenga-Theusinger, medizinische Geschäftsführerin, zeigt an der Treppe zur rettenden neuen Stromversorgung den Pegelstand beim Hochwasser. 

„Daraus haben wir gelernt, wie sehr wir uns mittlerweile auf die digitale Technik verlassen“, sagt Lorenz. „Und aber auch, zu was man in einem Notfall alles in der Lage ist.“ Die Evakuierung eines kompletten Krankenhauses, ohne Telefon, ohne Computer, teilweise ohne Strom – und dennoch ist in dieser Nacht niemand zu Schaden gekommen, weder unter den Patienten noch beim Personal.

Notkaiserschnitt mit Handylicht

Tatsächlich ist sogar neues Leben entstanden. „Wir hatten noch einen Notkaiserschnitt auf der Station, den haben die Kollegen unter dem Licht von Handytaschenlampen zu Ende gebracht“, erinnert sich Michael Ulbricht, Oberarzt der Frauenklinik. Während er das erzählt, zeigen im Besprechungsraum des neuen Kreißsaals Monitore Herzfrequenzen von Ungeborenen und Wehentätigkeit der werdenden Mütter auf den verschiedenen Zimmern an.

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In der Nacht der Flut aber mussten auch die Geburtshelfer zurück zu den Wurzeln: Wie es den Babys geht, musste mit Hörrohren ganz analog überwacht werden. Bis die Patientinnen – zumeist über private Transporte durch Familienmitglieder – in andere Geburtskliniken gebracht werden konnten.

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Techniker Andreas Schwinning in der neuen Schaltzentrale, die vom Keller auf das Dach verlagert wurde.

„Ich glaube, diese Erfahrungen prägen auf Dauer die Kultur der Belegschaft“, sagt Andreas Weiß, Prokurist und Leiter des Krisenstabs. Das Hochwasser war ein heftiger Schlag für die nach mehr als einem Jahr Pandemie ohnehin schon schwer gebeutelten Mitarbeitenden. „Was da geleistet wurde, ist schon stark, das kann man nicht oft genug betonen“, sagt Weiß. Wie Leon Lorenz haben viele Mitarbeitende mehr als 24 Stunden am Stück gearbeitet, um alle Menschen in Sicherheit zu bringen. Das schweißt zusammen.

Technik unter dem Dach

Aber es soll nicht noch einmal vorkommen. Die Sicherheitsstromversorgung steht jetzt im Erdgeschoss, die Gebäudehauptverteilung thront im sechsten Stock unter dem Dach – weit über der Dhünn, die direkt neben dem Gebäudeteil fließt. Auch die große Lüftungsanlage ist nun dort angesiedelt.

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Tage nach der Flut ist das Wasser aus dem Keller raus, der Schlamm ist noch da.

Zudem arbeitet das Klinikum an einem Konzept für den Gebäudeschutz. Ein Gutachten empfiehlt eine Mauer entlang der Dhünn. Bislang war das Schutzkonzept auf den rechnerischen Pegel eines Jahrhunderthochwassers ausgerichtet. „Die Flut vom 14. Juli hat das um das 2,2-fache überstiegen“, sagt Anja Mitrenga-Theusinger. Das Ziel sei nun, den Schutz auf diesen Pegel anzuheben. „Aber das sind Planungen, die Jahre dauern werden.“

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Die neue Lüftungsanlage auf dem Dach versorgt verschiedene Klinikteile über diesen neuen Außenschacht. 

Schließlich sprechen hier auch die Stadt, verschiedene Behörden und der Umweltschutz mit. „Und wo einer sich schützt, indem er Wasser abhält, entstehen Probleme an anderen Stellen des Flusslaufes“, weiß Mitrenga-Theusinger. Das muss also alles genau durchdacht und geprüft werden. Aber das Klinikum sei nun einmal eine kritische Infrastruktur. Und dass diese unter allen Umständen aufrecht erhalten bleibt, das darf in Zukunft nicht einem Glücksfall überlassen werden.

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