Lückert – Grüne Wiesen, schmale Straßen. Über den Feldern kreisen die Krähen. Wir sind auf dem Weg nach Lückert. Lückert bei Hennef im südlichen Rheinland. Lückert, das Dorf der „Durchgeknallten“. 30 Häuser, zwei Straßen, zwei Ortsbürgermeister. Und: Ein eigenes Filmprojekt. Lückert TV.

Durchgeknallt?

Anfang Dezember hat Lückert TV ein selbst gedrehtes Video auf Youtube gestellt: „Lückert sucht ein Partnerdorf.“ Nicht irgendeines. „Ein Dorf, das mindestens genauso durchgeknallt ist wie unseres.“ Maximal 500 Einwohner soll der Partner im Geiste haben, möglichst in Deutschland oder in dessen Nähe zu Hause sein und einmal im Jahr ein traditionelles Fest feiern. Der Gewinner werde zum nächsten Pfingstfest nach Lückert eingeladen, verspricht Ortsbürgermeister Siam Schoofs vor laufender Kamera. „Und wer weiß – vielleicht ist das ja der Beginn einer langjährigen Freundschaft.“

Glückliche Kühe und gackernde Hühner

Zehn Minuten und 13 Sekunden dauert der Film. Ein paar hundert Klicks hat er seit Anfang Dezember eingefahren. Zu sehen sind: Glückliche Kühe und gackernde Hühner. Kinder, die fröhlich um die Wette juchzen. Szenen von scheppernd-lauten Dorffesten und Scheunenpartys, von Sportveranstaltungen und dem traditionellen „Eiersingen“ an Pfingsten.

Wer denkt sich so etwas aus?

Ein Stein am Ortseingang heißt die Besucher willkommen: „Schön, dat Du do bess!“ Schmucke alte Fachwerkhäuser, dazwischen einige wenige Neubauten. Winterkahle Gärten, die auf den Frühling warten. Lückert ist ein Runddorf mit zwei schmalen Straßen und einer Stichstraße, die nach 100 Metern zum Feldweg wird. Auf einem Hügel in der Nähe des Ortseingangs steht das Dorfgemeindehaus, der angeblich „bekannteste Schwarzbau der Region“. Bauland ist knapp in Lückert.

Im vergangen Jahr haben die Lückerter auf Kreisebene Gold geholt im Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“. Ein erster Anlauf vor sechs Jahren war gescheitert. 2018 nehmen sie als Kreissieger am Landeswettbewerb teil. An der Wand des kürzlich renovierten Bushäuschens gegenüber der Dorflinde prangt noch der Slogan: „100 Prozent Lückert“. Der Linienbus stoppt hier schon lange nicht mehr, auch die einzige Bäckerei ist Vergangenheit.

Abwanderungsquote gleich null

104 Menschen leben in Lückert. Viele junge Familien, wenige Alte. Seit der Geburt des jüngsten Kindes beträgt der Altersdurchschnitt 39 Jahre. In wenigen Wochen, mit der Geburt des 105. Lückerters, wird er weiter sinken. Die Abwanderungsquote ist, anders als in vergleichbaren Dörfern, gleich null.

Was ziemlich einmalig ist in einer Zeit, in der landauf, landab die Dörfer sterben. Landflucht, Überalterung der Bevölkerung – alles kein Thema in Lückert. Denn das Dorf stellt sich quer, und zwar mit viel Phantasie und kreativem Geist. Was zu so abgefahrenen Projekten wie „Lückert sucht ein Partnerdorf“ führen kann.

Ortsbürgermeister Schoofs steht „voll hinter“ Gemeinschaftsaktionen wie dem Wandertag für alle oder den Filmabenden draußen auf dem Feld. Der 31-Jährige lebt seit 27 Jahren in Lückert und arbeitet als Sportökonom bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln. Schoofs hat Junggesellenvereine gesehen, die sich wegen Nachwuchsmangels auflösen, und Dörfer, denen die Jugend davonläuft. „Die hatten noch vor 20 Jahren eine funktionierende Dorfgemeinschaft. Heute ist nichts mehr davon übrig.“

„Gemeinsam feiern“

Sein Rat, um anzusteuern gegen den Trend und zu retten, was zu retten ist: „Ganz viele unterschiedliche Dinge gemeinsam machen, damit alle einbezogen werden können. Gemeinsam feiern, die alten Traditionen pflegen, aber auch ganz neue, ungewöhnliche Ideen entwickeln.“ Zusammen mit dem Ortsvorstand überlege man immer wieder, was man verändern und weiterentwickeln könne im Dorf.

So hält Schoofs jedes Jahr, zusammen mit dem zweiten Ortsbürgermeister Andy Hagen eine nicht ganz ernst gemeinte Weihnachtsansprache. Mal mit einer goldenen Krone auf dem Kopf, mal in feinem Tuch an einer weiß eingedeckten Tafel irgendwo im Nirgendwo. Lückert TV zeichnet das Spektakel auf. Gezeigt werden die Filme bei einer gemeinsamen Weihnachtsfeier. All das kommt an im Dorf. Hinzu komme, sagt Schoofs, dass Uckerath, der nächstgrößere Ort nur wenige Kilometer entfernt sei. „Dort gibt es einen Kindergarten und eine Schule. Das hält die jungen Familien im Dorf. Sonst sähe es vielleicht anders aus.“

Allein die Jugend zieht nicht immer mit. „Die ist völlig anders drauf als wir früher“, sagt Schoofs. Das mache ihm Sorgen. „Wir haben mit 14, 15 selber was auf die Beine gestellt und Action gemacht. Heute sind die Jugendlichen nur noch bei Geburtstagen und beim Pfingstfest dabei. Uns fehlt da ein bisschen der Nachbau.“

Freerk Baumann (42), Mitglied des Ortsvorstands, kann sich noch gut erinnert, wie es in den 80er Jahren um Lückert bestellt war, als gar nichts lief im Dorf. „Jeder kochte sein eigenes Süppchen. Heute sind wir eine Gemeinschaft sehr unterschiedlicher Menschen, die einander tolerieren und respektieren.“ Dass das so ist, ist auch Baumann zu verdanken.

Alte Tradition belebt

Als Teenager organisierte er mit Freunden ein erstes Pfingstfest im Dorf und belebte damit eine alte Tradition. Gemeinsames Baumschlagen, „Eiersingen“ am Samstag – man zieht dabei von Haus zu Haus und entbietet den Pfingstgruß. Eierpfannkuchenbacken am Sonntag.

1991 gründete Baumann zusammen mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Tjark und ein paar Kumpel „Lückert TV, die Mutter aller Sender“. Da war er 16. Den Schuhkarton-großen Sender hatte ein Freund in Südostasien bestellt. Über die Schweiz gelangte die Lieferung ins Rheinland. Die Antenne wurde auf dem höchsten Haus des Ortes installiert: auf Baumanns Elternhaus. Reichweite des Piratensenders: 700 Meter. Maximal.

Vier Sendungen flimmerten Anfang der 90er Jahre auf dem Kanal von Sat.1 über die Bildschirme der verblüfften Lückerter. Die Silberhochzeit der Eulenbergs. Der Bau der Vogelhäuschen. Die Müllsammelaktion. Lückert TV war dabei, „immer da, wo es wehtut“. Baumann hatte die Leitungen angezapft und den Sendeplatz von Sat.1 mit „der Mutter aller Sender“ belegt. Nur ein Nachbar habe sich einmal beschwert, als er und sein Team auf Sendung gingen, während auf Sat.1 ein Bericht über die Türkei lief, den der Mann unbedingt sehen wollte.

Winterliche „Beachparty“

Als Baumann zum Studium nach Köln ging, war Schluss mit der Liveschaltung, doch es wurde weiter gedreht. Auf Festen und Geburtstagen, bei Sportereignissen und Hochzeiten. Heute seien sie das Gedächtnis des Dorfes, sagt Baumann. Der promovierte Sportmediziner arbeitet an der Uniklinik Köln, vor einigen Jahren ist er zurückgekehrt nach Lückert. „Mir hat die Weite und Freiheit des Dorflebens gefehlt“, sagt er. „Hier können wir 1000 verrückte Dinge tun, die unser Leben bereichern.“ Zum Beispiel einen „Almauftrieb“ auf dem platten Land veranstalten. Eine winterliche „Beachparty“ auf dem vereisten Teich. Einen „Siebenkampf“.

Hunderte Stunden Film lagern im Archiv von Lückert TV. Einige der Filme sind auch auf Youtube zu sehen. Vor zwei Jahren, gibt Baumann zu, habe es deswegen Ärger gegeben im Dorf. „Wenn man bei Festen zu fortgeschrittener Stunde die Kamera draufhält, kommt der eine oder andere vielleicht etwas unvorteilhaft rüber.“ Der Knatsch ist längst beigelegt. „Alles wieder gut. Heute fragen wir, ehe wir die Sachen online stellen.“

Jetzt also steht das nächste Projekt an. Die Partnersuche. „Wir wollen über den Tellerrand schauen und mit Menschen in Kontakt kommen, die in ähnlichen Strukturen leben wie wir“, sagt Baumann. Noch hat sich niemand gemeldet in Lückert. Doch das kann ja noch kommen. Einsendeschluss für ein Bewerbungsvideo („maximal zehn Minuten“) ist der 28. Februar.

Zwei Straßen, 30 Häuser

Lückert gehört zu Hennef und liegt im südlichen Rheinland an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Der nächstgrößere Ort ist das rund vier Kilometer entfernte  Uckerath, wo es eine Schule und einen Kindergarten gibt. Lückert TV wurde  1991 gegründet. Einige Filme, darunter  „Lückert sucht ein Partnerdorf“, die Weihnachtsansprachen und das Spaßvideo „Der 7. Sinn“, sind auf  Youtube abrufbar. Weitere Filme und Informationen  unter: www.lueckert-tv.de/