RWE-TrasseDer Joker für die Güterverkehrsprobleme des Rheinlands

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Arbeitsplatz Lokführer bei RWE

  • NRW ist der Flaschenhals auf dem Rhein-Alpen-Korridor, einer der wichtigsten europäischen Güterzugverbindung. Der Güterfernverkehr wurde in NRW bisher kaum ausgebaut.
  • Die Werksbahn von RWE könne auf lange Sicht zu einer Trasse umgewidmet werden, über die sich große Teile des Gütertransits abwickeln ließen
  • Aus unserer Serie „Rheinland 2030. Unsere Zukunft“

Niederaußem – Abwechslung ist anders. „Musste schon abkönnen“, sagt Walter Scholz (60), drückt mechanisch auf den gelben Totmann-Schalter. Alle 30 Sekunden sendet er sein Lebenszeichen aus dem Rheinischen Revier ans Stellwerk. Mich gibt’s noch. Alles im Griff.

Musste schon abkönnen. Acht Stunden allein auf der Monster-Lok, 140 Tonnen schwer, 3800 PS, drei Führerstände. Dahinter 14 Wagen mit 1400 Tonnen Braunkohle. „Die einzige Abwechslung, die wir haben, ist mal eine Baustelle. Man sieht schon mal Wildtiere. Füchse, Rehe, Wildschweine, alles da. Leider liegen sie auch schon mal im Gleis. Das bleibt nicht aus.“ Doch was heißt hier eigentlich Wagen? Das sind Sattelbodenselbstentlader, die Lokführer Scholz im Schritttempo auf den Bunker der Brikettfabrik Wachtberg drückt. „Wenn die Kohle schön rausrutscht, dauert das ein paar Minuten. Sonst muss man von Hand nachhelfen.“

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Lokführer Scholz auf der Fahrt zum Tagebau Hambach

Seit 27 Jahren macht Scholz seinen Job auf der Braunkohlebahn im Rheinischen Revier. Bis zu 200 Kilometer pro Schicht, maximal Tempo 50. Kohle laden, Kohle fahren, Kohle abkippen. 14 Wagen. Immer gleich. Wenn er Löss fährt, wie seit ein paar Wochen wieder von Garzweiler nach Hambach, sind es zwölf, bei Abraum im Regelbetrieb zehn. „Die sind etwas länger“, sagt Scholz und stoppt den Schubzug vor einem Nachahmer. Das ist ein Signal, das 200 Meter hinter dem Hauptsignal steht. „Wenn die Lok zwölf Wagen vor sich herschiebt, sehe ich das Hauptsignal nicht. Dafür ist der Nachahmer da.“ Scholz blickt auf zwei Schirme im Führerstand, Kameras am Zug übertragen die Bilder von der Strecke. „Die Kameras unterstützen meine Arbeit. Verlassen tue ich mich nur auf meine Augen.“

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Die Braunkohletrasse könnte Teil einer Güterfernverkehrsverbindung durchs Rheinland werden.

Das Kommando des Beladers kommt über Funk. „Schließen und fünf Wagenlängen beikommen.“ Scholz zieht den schwarzen Hebel, durchs schießschartengleiche Fenster des Außenführerstands kann er die Zugspitze nicht sehen. Schub-Betrieb erfordert viel Einfühlungsvermögen. Die neuen E-Loks – und damit meint Scholz die zehn Maschinen, die vor 18 Jahren angeschafft wurden – reagieren mit ihrer elektronischen Steuerung träger als die mechanischen aus den 1950er Jahren. Das ist aber auch der einzige Nachteil der neuen Technik. Ansonsten sind die Neuen vor allem eins: deutlich bequemer.

Die 45 Kilometer-Trasse der Nord-Süd-Bahn verbindet Frimmersdorf im Norden mit dem Industriegebiet Hürth-Knapsack im Süden. Ein 31 Kilometer langer Abzweig führt zum Tagebau Hambach. Mit 39 Loks und 1163 Wagen ist die Werksbahn von RWE eine der größten Schwerlastbahnen der Welt.

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RWE Kohlekraftwerk Niederaußem rheinisches Braunkohlerevier.

Die RWE-Trasse sei ein „echter Joker“ zur Lösung der Güterverkehrsprobleme des Rheinlands, sagen die Raumplaner des Kölner Büros Must Städtebau. Denn ausgerechnet NRW ist der Flaschenhals auf dem Rhein-Alpen-Korridor, der wichtigsten europäischen Güterzugverbindung zwischenn Rotterdam-Genua – 1300 Kilometer lang. Bis auf die Erweiterung des 73 Kilometer langen Abschnitts zwischen Emmerich und Oberhausen, die gerade in Angriff genommen wird, hat sich im bevölkerungsreichsten Bundesland noch nichts getan. Deshalb werden sich die Güterzüge noch Jahre weiter durch den überlasteten Bahnknoten Köln und das Rheintal quälen müssen. Alle haben geliefert: die Niederlande, die Schweiz und Italien. Nur Deutschland nicht.

Nur Deutschland hat die Hausaufgaben nicht gemacht

„Die Planung und der Neubau einer Bahntrasse dauern viel zu lange, meistens Jahrzehnte“, sagt Städteplaner Jan Benden, Geschäftsführer des Büros Must aus Köln. Die Werksbahn von RWE könne auf lange Sicht zu einer Trasse umgewidmet werden, über die sich große Teile des Gütertransits abwickeln ließen. „Eine eigene Strecke würde im bestehenden Netz mehr Platz für den Personenverkehr schaffen.“

Die Frage sei nur, wie die Häfen und die Großindustrie am Rhein und die rechte Rheinseite angeschlossen werden können. „Dazu bieten sich im Süden nach unserer Auffassung zwei Alternativen an“, sagt Benden. „Entweder die Eifelstrecke oder eine rechtsrheinische Lösung.“ Dafür sei aber der Neubau einer Rheinbrücke nötig. Von dort könnte die Trasse dann durch neue Tunnel im Rheintal laufen. „Die Pläne sind im Koalitionsvertrag der Bundesregierung und im Bundesverkehrswegeplan für 2030 ja enthalten.“

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RWE Braunkohle Werkbahn

Rein technisch wäre das kein Problem. Die Spurweite stimmt, die RWE-Gleisanlagen müssen wegen der schweren Kohlezüge deutlich mehr Belastungen verkraften und sind in einem topgepflegten Zustand. Die vorhandene Infrastruktur nutzen und durch sinnvolle Ergänzungen auf die neuen Anforderungen vorzubereiten ist der Weg, den die Stadtplaner für das Rheinland 2030 vorschlagen.

Scholz wird das nicht mehr erleben. Es sind es noch sechs Monate bis zur Altersteilzeit, die er schadlos ohne Unfall überstehen will. Sein Traumberuf sei das nicht gewesen. „Über einen Freund bin ich 1991 zu RWE gekommen. Damals haben die Lokführer gesucht, bei KHD in Köln war gerade eine Krise.“ Vor allem durch die Schichten habe er „gutes Geld“ verdient. „Bin aber jetzt auch froh, wenn Schluss ist. Meine Frau geht mit mir. Wir haben ein Wohnmobil. Muss ich noch mehr sagen?“

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