Bundeskanzler bei der UN-VersammlungOlaf Scholz stellt Russland in New York an den Pranger

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Olaf Scholz, Bundeskanzler von Deutschland, spricht während des Forums für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Olaf Scholz, Bundeskanzler von Deutschland, spricht während des Forums für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Der Kanzler will jede Gelegenheit nutzen, um den „verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine“ in den Fokus zu rücken. Der Krieg ist ein Grund dafür, dass die Vereinten Nationen ihre Ziele für die Bekämpfung von Hunger und Armut nicht einhalten werden. Guterres fordert einen Quantensprung.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergleicht Kremlchef Wladimir Putin mit Adolf Hitler, der Bundeskanzler stimmt die UN-Vollversammlung auf eine Befassung mit dem russische Angriffskrieg ein – andere große Probleme der Welt drohen wieder in den Hintergrund zu rücken. Mit dieser Ausgangslage startete Olaf Scholz (SPD) am Montag in die Woche der Generaldebatte der Vereinten Nationen.

„Natürlich wird es in dieser Woche immer wieder darum gehen, was der russische Präsident angerichtet hat mit seinem verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wir werden das thematisieren bei den Gelegenheiten, die wir hier haben“, kündigte Scholz in New York an. Deutschland werde „ganz konkret darauf bestehen“, dass sich die Weltgemeinschaft ihren Prinzipien verpflichtet fühle. „Grenzen sollen nicht das Ergebnis militärischer Aktionen sein.“ Sonst könne keine Friedensordnung funktionieren.

Scholz zum Kampf gegen Armut: Haben „nicht so viele Verbesserungen erreicht“

Als erste „Gelegenheit“ für die Thematisierung des Krieges ergriff Scholz ein kurzes Statement vor Beginn eines Nachhaltigkeitsgipfels, der der Generaldebatte vorgeschaltet wurde. Die Vereinten Nationen werden ihre Ziele zur Bekämpfung von Hunger und extremer Armut in der Welt nicht einhalten – und es ist offen, ob der von UN-Generalsekretär António Guterres geforderte „Quantensprung“ zur Wiederbelebung der 2015 festgelegten und bis 2030 vereinbarten Maßnahmen gelingt. Scholz sagte: „Wir sehen, dass der Fortschritt, den wir uns für die ganze Welt gewünscht haben im Kampf gegen Armut und für ein besseres Zusammenleben langsamer geworden ist – dass wir nicht so viele Verbesserungen erreicht haben.“

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Nach UN-Angaben sieht es bei nur 15 Prozent der damals beschlossenen Ziele so aus, dass sie auch umgesetzt werden. 2015 hatten die Vereinten Nationen 17 Nachhaltigkeitsziele (SDG) verabredet, mit denen Hunger und extreme Armut bis 2030 beendet und Bildungschancen verbessert werden sollen. Gelingt der von Guterres verlangte Quantensprung bei den Anstrengungen nicht, rechnen die UN damit, dass 2030 noch mehr als eine halbe Milliarde Menschen in großer Armut leben und mehr als 600 Millionen Hunger leiden.

Ein Grund für das Reißen der Ziele ist aber Russlands Krieg gegen die Ukraine. Elf Länder, darunter Russland und Belarus, hatten nun in einem Brief angekündigt, mehrere von den UN in dieser Woche geplante Erklärungen zu blockieren, darunter ein Papier zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele.

Dazu kam es dann aber nicht. Die UN-Mitgliedsländer nahmen eine Erklärung zur Bekräftigung der Ziele einstimmig an. In UN-Kreisen hieß es, die elf Staaten hätten einen Testballon steigen lassen, ob sie die Erklärung stoppen könnten. Weil das Thema aber für Staaten des globalen Süden zu wichtig sei, hätten sie nicht die erhoffte Unterstützung bekommen. Das komme einem Gesichtsverlust für Russland gleich.

Selenskyj warnt in US-Sendung vor drittem Weltkrieg

Selenskyj warnte in der US-Sendung „60 Minutes“ vor einem Dritten Weltkrieg und verglich Putin mit Hitler. „Sie haben ihn gewählt und wiedergewählt und einen zweiten Hitler herangezogen“, sagte er über Russland. Und stellte Fragen: „Wenn die Ukraine fällt, was wird dann in zehn Jahren passieren?“ Wenn die Russen Polen erreichten, komme dann ein Dritter Weltkrieg? Die Welt müsse sich entscheiden, ob Putin aufgehalten werden solle. Selenskyj könnte am Mittwoch in einer offenen Sitzung des Sicherheitsrats erstmals seit Kriegsbeginn auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen.

In einer vorab verbreiteten Rede für den Nachhaltigkeitsgipfel erklärte Scholz, dass Deutschland der zweitgrößte Geber öffentlicher Entwicklungshilfe sei und ferner fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt habe, „um die tragischste globale Auswirkung des russischen Krieges gegen die Ukraine zu bekämpfen: den Hunger“. Nationale Entwicklungsbudgets allein reichten aber nicht aus.

Scholz verwies auf die nötige Reform der internationalen Finanzarchitektur, insbesondere der Weltbank, damit arme Länder an günstigere Kredite kommen können. Beim G20-Gipfel in Indien war vereinbart worden, die Kapazitäten dieser Entwicklungsbank zu erweitern. Deutschland will 305 Millionen Euro sogenanntes Hybridkapital beisteuern, um das Ausleihvolumen zu erhöhen. Die Finanzspritze hat laut Bundesregierung eine „Hebelwirkung, die in den Milliarden-Dollar-Bereich“ geht.

Deutschlands Jubiläum: seit 50 Jahren in den Vereinten Nationen

Ferner sagte Scholz laut Redetext, dass Globalisierung, erneuerbare Energien und gerechte Lieferketten neue Möglichkeiten für wirtschaftliche Entwicklung böten: die erste Verarbeitungsstufe solle dort erfolgen, wo Rohstoffe vorkommen oder erneuerbare Energien produziert werden.

Für Montagabend (Ortszeit) war ein Festakt mit Hunderten Gästen in der UN-Zentrale zum 50jährigen Jubiläum der deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen angesetzt. 1973 waren zeitgleich die Bundesrepublik Deutschland und die DDR in die Weltorganisation aufgenommen worden. Scholz spricht von einem „ganz besonderen Moment in der Nachkriegsgeschichte“, einem der „entscheidenden Momente“, „dass am Ende in Europa der Rahmen gewachsen ist, in dem die Deutsche Einheit auch möglich geworden ist und erkämpft werden konnte von den Bürgerinnen und Bürgern im Osten Deutschlands“.

UN-Generalsekretär Guterres lobte Deutschland bereits vor einigen Tagen als „Verfechter der Charta der Vereinten Nationen“ und erklärte: „Wir zählen auf Deutschland als wichtigen Partner bei unseren weltweiten Bemühungen, eine gerechtere und friedlichere Zukunft für die gesamte Menschheit aufzubauen.“

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