Kommentar zur Impf-DebatteJoshua Kimmich tut das Falsche, aber er ist nicht verrückt

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Kimmich und Thomas Müller

Joshua Kimmich neben Teamkollege Thomas Müller 

Durch das Bekenntnis des prominenten Fußballspielers Joshua Kimmich zur Nichtimpfung hat die Debatte in Deutschland eine neue Ebene erreicht. Dass ein junger Mann aus dem Zirkel der Profis, die man für vorbildlich und aufgeklärt hielt, sich dem wichtigsten gesellschaftlichen Vorgang des Jahres 2021 verweigert, hat viele sprachlos gemacht. Der naive Hinweis auf Zweifel wegen fehlender Langzeitstudien in einer Pandemie verstärkt den Eindruck nur noch.

Joshua Kimmich, der Einser-Abiturient aus Schwaben, der alles richtig macht, wenn es um Fußball und öffentliches Auftreten geht, muss wissen, welche Fragen ihm jetzt, 19 Monate nach dem Corona-Ausbruch in Europa, gestellt werden. Zum Beispiel: Ist Ihnen eigentlich klar, warum das Massensterben des letzten Winters ein Ende gefunden hat und es trotz der Aussicht auf steigende Infektionszahlen vor allem Ungeimpfter eine halbwegs freie Lebensnormalität gibt? Hat Ihnen jemand erklärt, dass Ihnen alleine die Impfung die Ausübung ihres hochbezahlten Berufes in einem wieder vollen Stadion ermöglicht? Wäre es nicht ein Zeichen von Solidarität mit fast 60 Millionen Deutschen, sich wie sie trotz möglicher Restzweifel impfen zu lassen? Vielleicht sogar eine Form von Demut, ohne die niemand in dieser Gesellschaft ein Vorbild sein kann?

Recht eines Menschen, sich nicht impfen zu lassen

Es ist in Deutschland das Recht eines Menschen, sich nicht impfen zu lassen. Es ist allerdings auch das Recht aller anderen, darüber zu urteilen, wenn er über die Prominenz eines Joshua Kimmich verfügt. Dies ist die gute Seite des Zweifels, zu dem sich dieser Sportler immerhin öffentlich bekannt hat. Die meisten Menschen erleben an dieser Stelle die Fortsetzung einer Diskussion, die sie im Privatleben zumindest einmal selbst erlebt haben. Jemand, von dem man es überhaupt nicht gedacht hätte, verweigert sich allen Argumenten und der Immunisierung gegen das Coronavirus. Damit müssen Verwandte, Freunde, Kollegen, Mitmenschen erst einmal umgehen lernen.

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Naheliegend wäre es, alle Verweigerer wie die Extremfraktion der selbst ernannten „Querdenker“ einfach für verrückt zu erklären. Aber dieser prominente Fall zeigt, dass es so einfach nicht ist. Joshua Kimmich ist nicht verrückt. Aus Gründen, die für niemanden nachvollziehbar sind, weil sie womöglich tief in den metaphysischen, vielleicht religiösen Bereich gehen, tut er das offensichtlich Falsche.

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Angenehm war, wie die Kollegen Manuel Neuer und Thomas Müller mit Joshua Kimmichs Verirrung umgehen. Sie haben sinngemäß ganz offen erklärt: Junge, was ist los mit dir? Denk doch einmal nach! Komm zu dir! Noch ist es nicht zu spät... Das ist in einem Fall, der im Handbuch des korrekten gesellschaftlichen Miteinanders bis zum Ausbruch der Pandemie unbekannt war, die vielleicht menschlichste und beste Reaktion.

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