„Ich habe viel verpasst“KJA will Tablets für Kinder kaufen

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Die neunjährige Stella ist froh, dass sie wieder in die Schule darf. Sie hat ihre Freundinnen vermisst – und die Pausen an der Tischtennisplatte.

Die neunjährige Stella ist froh, dass sie wieder in die Schule darf. Sie hat ihre Freundinnen vermisst – und die Pausen an der Tischtennisplatte.

Köln – Stella weiß noch genau, wie lang es gedauert hat: 14 Wochen. 14 Wochen, in denen sie nicht die breite Steintreppe im Schulgebäude hoch rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, in denen sie nicht mit ihren Freundinnen in der Pause Rundlauf an der Tischtennisplatte spielte und in denen sie nicht viel zu früh geweckt wurde. „Ich konnte länger ausschlafen“, sagt die Neunjährige über die monatelange Schulschließung. Und schiebt gleich hinterher: „Aber ich fand es irgendwann trotzdem blöd.“ Besonders das Toben mit den Freundinnen hat ihr während der Corona-Beschränkungen gefehlt, Sport ist Stellas Lieblingsfach.

Aber auch das Lernen hat sie vermisst. Stella gehört zu der Gruppe Kinder in Deutschland, denen das Homeschooling enorm schwer fiel. Einfach weil sie Zuhause, wie so viele, keinen Computer hat. Während gefühlt das ganze Land zoomte, netflixte und sich mit Bewegungsvideos auf Youtube fit hielt, musste Stella die Hausaufgaben-E-Mail ihrer Lehrerin auf dem Handy ihrer Mutter zwei Mal heranzoomen, um sie lesen zu können. Sie teilt sich ein Zimmer mit ihrer vierjährigen Schwester, auch deshalb musste sie sich sehr oft zwingen, überhaupt eine Stunde Mathe und eine Stunde Deutsch am Tag zu machen. „Ich habe viel verpasst“, sagt das Mädchen mit ernstem Blick.

Von Klassen-Chats ausgeschlossen

Sie ist nicht allein. Eine Studie geht davon aus, dass 13 Prozent der Kinder in Deutschland Zuhause keinen Rückzugsort zum Lernen haben. Außerdem besagen Schätzungen, dass ein Viertel der Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht auf einen Computer mit Internet zugreifen kann.

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Stella besucht die 4d der Grundschule Horststaße in Köln-Mülheim. Die Schule liegt fußläufig zum Wiener Platz, der als Hotspot für Kriminalität und Drogenhandel verschrien ist. Zwei Stühle weiter von ihr sitzt zum heutigen Gespräch mit der Zeitung Hamza, die beiden gehen in unterschiedliche Klassen, müssen deshalb Abstand halten. Hamza ist in der dritten Klasse, auch er konnte an den Skype-Meetings der Klasse nicht teilnehmen, weil ihm die technische Ausstattung fehlte.

Auch Hamza hat die Schule vermisst, besonders sein Lieblingsfach Mathe.

Auch Hamza hat die Schule vermisst, besonders sein Lieblingsfach Mathe.

Sein älterer Bruder hat einen Laptop, aber den brauchte er meist selbst, erzählt der Achtjährige schüchtern. Er lässt lieber Stella reden. Beide Kinder sollen von der Crowdfunding-Aktion „Fit for Future“ der Katholischen Jugendagentur profitieren. Die KJA möchte mithilfe von Spenden bis zum Spätherbst mindestens 200 Tablets für benachteiligte Kinder und Jugendliche anschaffen. Schüler aus KJA-Einrichtungen in Bonn, Köln und Wuppertal sollen bedacht werden.

Förderung der Politik ist zu langsam

Zwar habe auch die Politik die Dringlichkeit des Themas mittlerweile erkannt, sagt Georg Spitzley, Geschäftsführer der KJA Köln bei der Pressekonferenz zu „Fit for Future“, doch die Bewilligung der Anträge dauere zu lange, Fördermittel kämen zu langsam an. Schirmherr der Aktion ist Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, prominente Botschafterin die Schauspielerin Susanne Pätzold. Auch „wir helfen“ unterstützt soziale Träger in der ganzen Stadt dabei, digitale Geräte für Schüler zu beschaffen, die sich diese selbst nicht leisten können.

„Viele Kinder hängen nach den Ferien noch deutlicher als sonst hinterher“, weiß Schulsozialarbeiterin Sabrina Esser aus Gesprächen mit den Lehrern. Sie und ihre Kollegen von der Grundschule Horststraße haben in den letzten Monaten immer wieder den Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern gesucht, sie einzeln auf dem Schulhof getroffen, Zuhause angerufen.

Oft berichteten die Kinder, in welchem Zwiespalt sie sich befanden. Die Lehrerin fragte zwar alle paar Tage, warum sie die Hausaufgaben nicht gemacht haben, aber in der Wohnung spielten sie dann doch lieber mit den Geschwistern oder schauten Fernsehen. Nicht immer griffen die Eltern ein, abgelenkt von den eigenen Sorgen, lethargisch durch den Stillstand, den Corona brachte. Die Eigenmotivation ist bei Grundschülern noch nicht so weit entwickelt, weiß Esser. Umso wichtiger sei es deshalb, sie mit digitalen Lernspielen zu reizen.

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„Anton“ ist so ein Angebot, dass auch Hamza und Stella aus dem Unterricht kennen. Über die App lassen sich für ganze Klassen Lernpläne erstellen. Die Schüler können spielerisch Mathe- oder Deutschaufgaben lösen, dabei „Coins“ sammeln und der Lehrer kann den Lernfortschritt jedes Einzelnen über seinen eigenen Account beobachten. „In der App drücken macht mehr Spaß, als alles abschreiben“, sagt Stella. Die App will sie als Erstes installieren, wenn sie irgendwann einen eigenen Laptop oder ein Tablet hat.

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