Kölner Pendler setzen aufs Auto„Ich hatte selten mal einen Zug, der pünktlich war“

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt

Auto oder Bahn? Pendler müssen sich entscheiden.

Köln/Düsseldorf – Der schwarze Hyundai i20 von Henna Haas-Häußler kommt in einer schmalen Straße in Düsseldorf zum Stehen. Links und rechts sind ein paar Parkbuchten, alle sind besetzt. „Jetzt warte ich“, sagt Haas-Häußler, die vor etwa 45 Minuten in Hürth losgefahren ist. Zehn Minuten, manchmal auch 20, wartet sie hier täglich, „aber es wird immer etwas frei.“

Sie setzt den Blinker und schert rückwärts ein. Auch an diesem Donnerstagmittag hat es geklappt. Die Zahnärztin steigt aus und zeigt auf ein Gebäude. „Da ist die Praxis, in der ich arbeite.“ Haas-Häußler gehört zu den 70 Prozent der Pendler in Nordrhein-Westfalen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren.

Auto oder Bahn – viele Menschen müssen sich in NRW entscheiden, in einem Bundesland, in dem sich 38 Prozent aller deutschen Großstädte befinden und somit auch zahlreiche Arbeitgeber. Nur 12,5 Prozent der Arbeitnehmer nutzen die Bahn. Die Auslastung der Regionalzüge im Gebiet des Nahverkehrs Rheinland (NVR) hat im Vergleich zum Januar 2020 um mehr als 30 Prozent abgenommen.

Alles zum Thema Corona

Genaue Untersuchungen, warum die Fahrgastzahlen zurückgegangen sind, gibt es noch nicht. Die Corona-Pandemie und die damit verbundene Arbeit im Home Office könnten ein Grund sein. Henna Haas-Häußler hat sich aber schon vor der Krise für die Flexibilität des Autos entschieden – obwohl sie regelmäßig auf auf einen Parkplatz warten muss. Die unzuverlässigen Verbindungen haben Sie dazu gebracht.

Fahrgäste aus der Stadt brauchen seltener ein Auto

Während Henna Haas-Häußler täglich über die Autobahn Richtung Düsseldorf fährt, steht Tim Schmidt* am Gleis 3 am Kölner Hauptbahnhof. Der 46-Jährige arbeitet auch in der Landeshauptstadt, so wie viele Pendler eben. Ein Auto hat er nicht, braucht er nicht, sagt er. „Ich wohne mitten in der Kölner Innenstadt, bin beruflich viel im Ausland unterwegs.“

Der RE5 rollt in den Bahnhof ein, die Menschen sammeln sich vor den Türen des Rhein-Ruhr Express (RRX). „Die Regionalbahnen in NRW sind voll in Ordnung und die Strecke nach Düsseldorf ist für mich gut angebunden“, sagt Schmidt. Seine Arbeitszeiten sind flexibel. Auf ihn warten keine Patienten, wie bei Henna Haas-Häußler, die pünktlich behandelt werden wollen. Wenn er den RE5 mal verpasst, könne er immer noch auf den RE1 oder den RE6 ausweichen. 

Die Türen der Bahn öffnen sich. Es ist 7.38 Uhr. Der 41-jährige Birger Krämer* steigt in den RE5 ein. Er mag den Komfort, den er hat, wenn er mit der Bahn fährt: Die Steckdosen, das freie Wlan. „Das gefällt mir an den Bahnen von National Express und Abellio“, sagt er. Zwei private Verkehrsunternehmen. Trotzdem hat er schon mal darüber nachgedacht, ein Auto für den Arbeitsweg zu kaufen. Er ist Lehrer, flexible Arbeitszeiten hat er daher nicht, und sagt: „Ich würde mir eine regelmäßigere und höhere Taktung der Bahnen wünschen.“

In Leverkusen steigt Neriman Schmidt zu. Bis vor einigen Monaten pendelte die 26-Jährige nach Aachen, erzählt sie. Gute Erinnerungen an die Bahnfahrt hat sie keine. „Es war katastrophal. Wenn meine Bahn nur fünf Minuten Verspätung hatte, habe ich den Anschlusszug in Köln verpasst.“ Und pünktlich seien ihre Züge selten gewesen, sagt sie.

„Ich hatte selten mal einen Zug, der pünktlich war“

Diese Erfahrung machte Henna Haas-Häußler ebenfalls. Während ihrer Assistenzzeit von 2017 bis 2019 ist die heute 35-Jährige jeden Tag mit dem Zug von Hürth nach Düsseldorf gefahren. „Ich hatte selten mal einen Zug, der pünktlich war.“ Um trotzdem rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, ist sie immer zwei Stunden vor Schichtbeginn losgefahren. Mit dem Auto braucht sie heute 45 Minuten, sagt sie heute.

Obwohl sich Verspätungen bei der Ankunft der beliebten Pendler-Linien RE1, RE4, RE5 und RE6 im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren im NVR-Gebiet deutlich reduziert haben, sind viele Fahrgäste unzufrieden mit der Zuverlässigkeit des Nahverkehrs in NRW. Den Verantwortlichen ist das bewusst. „Wir haben eine spezielle Situation rund um Köln. Die Schieneninfrastruktur ist nicht mehr ausreichend“, sagt Holger Klein, Pressesprecher des NVR. Das längst gestartete Infrastruktur- und Mobilitätsprojekt Rhein-Ruhr Express soll auf der einen Seite dabei helfen, die Taktung der Züge zu erhöhen. „Auf der Linie Köln nach Düsseldorf sollen Züge dann im 15-Minuten-Takt fahren“, sagt Klein. Auf der anderen Seite soll die Pünktlichkeit erhöht werden.

Neben den Arbeitspendlern nutzen auch viele Wochenendpendler den Nahverkehr in NRW. Henrik von Lukowicz zum Beispiel. Er lebt „in einer modernen Ehe“, wie er selbst sagt, als er am Gleis 16 am Düsseldorfer Hauptbahnhof auf den RE5 wartet. Seine Frau lebt mit seiner Tochter in Luxemburg, er wohnt in der Landeshauptstadt, pendelt unter der Woche mit der Bahn nach Ratingen. Fast jeden Donnerstagabend fährt er mit der Regionalbahn nach Koblenz. An diesem Donnerstag hat er Glück. „Da kommt der Zug, er scheint pünktlich zu sein und nicht so überfüllt“, sagt Henrik von Lukowicz. Der RRX rollt planmäßig um 17.58 Uhr ein. Von Lukowicz Skepsis beim Aussprechen des Satzes ist aber deutlich erkennbar.

Neuer Inhalt

Henrik von Lukowicz fährt aus ökologischen Gründen mit der Bahn.

Der 49-jährige Investor Relations Manager kennt auch andere Tage und ist genervt von der Unpünktlichkeit im Schienennetz. Trotzdem fährt er seit März 2018 immer mit der Bahn. Aus ökologischen Gründen, sagt der. „Wenn ich mir ein Auto kaufe, muss es ein Elektrofahrzeug sein.“ Mit dem Auto, sagt er, habe er drei Stunden weniger Fahrtzeit.

Der Umwelt zur Liebe würde auch Henna Haas-Häußler lieber wieder auf die Bahn umsteigen. Doch auch die Preise halten sie vom Bahnfahren ab. „Ich habe damals als Assistenzärztin 250 Euro für ein Monatsticket gezahlt. Solche Preise machen das Bahnfahren für mich unattraktiv“, sagt sie, während sie auf die Autobahn auffährt.

NVR-Pressesprecher Holger Klein kann die Aussage, dass Bahnfahren zu teuer ist, nicht nachvollziehen. „Leistung kostet natürlich“, sagt er. „Der Nahverkehr muss finanziert werden. Die Gehälter, die Treibstoffkosten, Materialien.“

Preise müssen sich an den Arbeitsalltag anpassen

Gerade einmal 70 Prozent der Gesamtkosten würden durch Fahrgelder gedeckt werden, der Rest durch Zuschüsse von Land, Städten und Kreisen. „Wenn man die Preise senkt, müsste das Geld woanders herkommen“, sagt er. Aber in NRW gelte das Prinzip der Nutzerfinanzierung. Mit JobTickets oder anderen Abos können Fahrgäste zudem zu günstigeren Preisen fahren. „Damit können die Nutzer 365 lang verbundweit fahren. Dieses günstige Angebot für Pendler gibt es deutschlandweit bei keinem anderen Verbund“, sagt Klein.

Trotz eines günstigeren JobTickets finden auch Neriman Schmidt und die anderen Bahnfahrer die Preise zu hoch. Obwohl Köln und Düsseldorf nur rund 40 Kilometer auseinander liegen, fahren die Züge durch die Gebiete von zwei Verkehrsbünde, dem VRS-Bereich und dem VRR-Bereich – höhere Preise sind die Folge. „Das JobTicket ist mittlerweile auch zu unflexibel, vor allem wenn man öfter im Home Office ist“, sagt Schmidt und setzt ihren Rucksack auf. Der RE5 ist nur noch eine Haltestelle vom Düsseldorfer Bahnhof entfernt.

Die Corona-Pandemie hat auch ihren Arbeitsalltag verändert, sie muss nicht mehr jeden Tag ins Büro, arbeitet oft von Zuhause aus. „Da ist es günstiger, mal einen Tag lang Sprit- und Parkosten zu zahlen. Das Auto haben wir sowieso, da wir es auch privat nutzen.“ Dennoch ist Neriman Schmidt zum Bahnfahren zurückgekehrt, denn während der Corona-Pandemie ist sie immer mit dem Auto gefahren. „Ich fühle mich wohl in der Bahn und der Umweltaspekt spielt für mich persönlich eine große Rolle“, sagt sie beim Abschied und steigt aus dem RE 5 aus.

Das könnte Sie auch interessieren:

Egal welche Vor- und Nachteile das Auto- oder das Bahnfahren haben, für Menschen wie Henna Haas-Häußler aus ländlicheren Gebieten ist das Bahnfahren oft keine echte Alternative. „In der Nähe zu unserem Haus gibt es keine Bushaltestelle“, sagt sie. Bis zur nächsten Bahnhaltestelle fährt sie mindestens zehn Minuten - wieder mit dem Auto. Für die Zahnärztin müsste die Infrastruktur grundlegend verändert werden, bevor sie wieder auf das Bahnfahren umsteigt.

Weniger Stress habe sie trotz der Flexibilität mit dem Auto aber nicht. „Der Stress ist anders. Ich habe keine Angst mehr, zu spät zu kommen. Aber viele andere Autofahrer fahren sehr gefährlich, das stresst mich auch.“ Ein paar Minuten später schert ein silberner Mercedes vor Haas-Häußler auf ihre Fahrbahn ein. „Das meine ich, die ziehen in so knappe Lücken rüber.“ Einen wichtigen Vorteil hat das Autofahren für die 35-Jährige trotzdem: Der Arbeitsweg mit dem eigenen PKW sei besser für ihre Work-Life-Balance. „Ich habe einfach mehr Zeit für andere Dinge.“ Für ihren Mann zum Beispiel. „Das ist gut für meine Beziehung“, sagt sie und lächelt.

*Nachnamen wurden von der Redaktion geändert

KStA abonnieren