„Wir beklagen bis zu 300 Tote am Tag“Besorgter Lauterbach besucht Kölner Unikliniken

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Der Minister spricht im Herzzentrum der Uniklinik mit Thorsten Wahlers und Antje-Christin Deppe

  • Karl Lauterbach hat die Kölner Uniklinik besucht. Um Ideen zu sammeln für Reformen, wie er sagt. Ein kritisches Thema meidet er unterdessen.
  • Die Pflegenden haben an den Mediziner Lauterbach im neuen Amt riesige Erwartungen. Wird er sie erfüllen können?
  • Wir haben den Besuch des neuen Bundesgesundheitsministers begleitet.

Köln – Bedanken wolle er sich, sagte Karl Lauterbach. Bei den Pflegenden der Kölner Uniklinik, von denen er 20 am Donnerstag persönlich gesprochen hat. „Und ich habe Ideen gesammelt für Reformen. Es war ein Gespräch, in dem ich vor allem zugehört habe“, sagte der Bundesgesundheitsminister dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und machte klar, was er damit meint: „Wir müssen darüber nachdenken, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.“

Denn zuletzt haben sich wieder mehr Menschen für eine Ausbildung in der Pflege interessiert. Ihn habe das überrascht, sagte Lauterbach. Und: „Man muss Karriere machen können. Es kann ja nicht sein, dass man in der Pflege Karriere macht, indem man die Pflege am Bett verlässt“, betonte Lauterbach. Zu guter Letzt müsse auch die Bezahlung besser werden.

Kölner Facharzt lobt Detailwissen von Karl Lauterbach

Im Wahlkampf hätte sich über diese Sätze niemand gewundert. Nun aber, in neuer Rolle, sind sie mit Erwartungen verknüpft. Und die sind bei Lauterbach, dem Arzt, dem Wissenschaftler, dem bestens informierten Kenner des deutschen Gesundheitssystems ohnehin viel höher als bei allen seinen Vorgängern. Als er durch das Herzzentrum geführt wird, fragt er nach den Behandlungen einzelner Patienten, nach ihrem Alter, will verstehen, wie sie hier gelandet sind. Raucher? Stoffwechsel? Er interessiert sich für die Arbeit der Herzchirurgen, bis ins Detail.

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Karl Lauterbach und Edgar Schömig auf dem Weg über das Uniklinik-Gelände

Erzählt auch hier gerne die Geschichte, dass er selbst einmal Herzchirurg werden wollte und sich damals nur dagegen entschied, weil er lieber präventiv arbeiten wollte. „Der Kenntnisgrad ist ein ganz anderer“, sagt Thorsten Wahlers, Direktor der Klinik für Herzchirurgie, wenn er Lauterbach mit seinem CDU-Vorgänger Jens Spahn vergleicht. „Wir sind sehr froh darüber, dass der Minister so genau Bescheid weiß“, sagt er. „Man kann mit ihm auf der Sachebene sehr tief gehend diskutieren.“ In der Ampel-Regierung müsse er sich „durchmanövrieren“, aber er versuche das Beste, da ist sich Wahlers sicher.

Karl Lauterbach: Ende der Maskenpflicht falsch, aber unausweichlich

Das gilt nicht zuletzt für die Pandemiebekämpfung. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Maskenpflicht weiter bestand gehabt hätte“, sagt der Minister. „Es ergibt epidemiologisch gar keinen Sinn, dass die jetzt fällt.“ Rechtlich sei sie aber nicht haltbar, weil keine Überlastung des Gesundheitssystems drohe. Das sei für ihn bindet. Ob er dieselben Worte finden würde, wenn die FDP nicht den Justizminister stellen würde?

Jedenfalls stellt Lauterbach klar, dass die Pandemie für ihn keineswegs beendet ist: „Wir beklagen 200 bis 300 Tote pro Tag, wir dürfen uns daran nicht gewöhnen. Das ist, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen.“ Die Impfquote unter den Älteren sei im internationalen Vergleich viel zu niedrig. Thorsten Wahlers, der die Belastung durch die Pandemie weiterhin deutlich spürt, weil jeder fünfte seiner Patienten infiziert ist, sagt: „Er ist Mitglied einer komplizierten Regierung, in der man Mittelwege finden muss.“

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Die Botschaft von Klinikchef Edgar Schömig ist unterdessen klar: „Wir haben keinerlei Reserve. Ich würde mir fünf bis zehn Prozent mehr Personal wünschen, damit wäre unser System deutlich resilienter.“ Er begleitet Lauterbach den gesamten Tag über durch sein Haus und zeigt ihm in Gesprächen auf, woran es hakt.

Über die Fusion der Uniklinik mit den städtischen Kliniken, an der die Uniklinik großes Interesse hat, spricht Lauterbach gerade eher ungern. Die Position seiner Landespartei, die zu allererst das Krankenhaus in Holweide erhalten will, geht im dieser Tage nicht über die Lippen. Dabei kämpfte er lange selbst für den Erhalt des Hauses, das in seinem Wahlbezirk liegt.

Kölner Pflegerin lobt Lauterbach, macht sich aber keine große Hoffnungen

Als Lauterbach und Schömig sich in einem Patientenzimmer unterhalten, steht Anke Grundmann, 34 Jahre alt, seit elf Jahren leidenschaftliche Intensivpflegerin, mit ihnen im Raum und verlässt ihn immer wieder. „Ich habe überlegt, ob es respektlos ist, wenn ich hier weiter meine Arbeit mache“, sagt sie später. „Aber es muss ja irgendwie weitergehen.“ Sie kümmert sich um einen Patienten, dessen Behandlung die Kollegen dem Minister erklären, er ist gerade in der Aufwachphase.

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Desillusioniert: Die Kölner Pflegerin Anke Grundmann

Grundmann optimiert die Dosierung der Medikamente so, dass der Patient beim Aufwachen keine Schmerzen hat. Das ist ihr jetzt wichtiger als das Gespräch mit Lauterbach. Es sei aber ein „großes Zeichen“, dass er die Klinik besuche. Den Pflegebonus nennt sie „ganz nett“, sie hätte aber gerne darauf verzichtet, wenn es dafür mehr Personal geben würde.

Vieles wurde mit Blick auf die Pflege in den vergangenen Jahrzehnten verschlafen, sagt Grundmann. Ihre Hoffnung sei vor allem eine neue Begeisterung für den Beruf, der neue Trend zur Pflegeausbildung und weniger die neue Regierung. Lauterbach sagt, der Pflegebonus, den er nun durch das Kabinett bekommen hat, werde als Anerkennung gut angenommen“. Aber er ersetze nicht die strukturelle Reform der Pflege. An dieser wird er der neue Bundesgesundheitsminister messen lassen müssen.

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