Grünen-Abgeordnete„Es gibt mehrere Menschen, denen wir die Kanzlerschaft zutrauen“

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Katharina Dröge

Katharina Dröge, Bundestagsabgeordnete und ehemalige Kölner Parteivorsitzende der Grünen, beim Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger.

  • Katharina Dröge, Bundestagsabgeordnete der Grünen und ehemalige Parteivorsitzende in Köln, spricht über die Folgen des derzeitigen Hochs ihrer Partei.
  • Im großen Interview spricht sie auch über rote Linien und Positionen ihrer Partei – und eine mögliche grüne Kanzlerin oder einen grünen Kanzler.
  • Das Amt der Kölner Oberbürgermeisterin strebt Dröge nicht an. Stattdessen äußert sie sich zur Frage, ob die Grünen bei der Wahl 2020 erneut Henriette Reker unterstützen werden.

Köln – Nach den Erfolgen bei der Europawahl haben die Medien die Grünen zur Volkspartei erklärt. Was sagen Sie dazu? Wollen die Grünen eine Volkspartei sein? Katharina Dröge: Natürlich freuen wir uns über viele Wähler. Aber ich glaube, dass sich das Konzept „Volkspartei“ erledigt hat. Dass eine Partei für alle da sein kann, ist absurd, und hilft den Parteien auch nicht mehr. Die Idee der Volkspartei geht davon aus, dass widerstreitende Interessen schon innerhalb der Partei diskutiert und dann Kompromisse ausgehandelt werden. Da weiß der Wähler am Ende nicht mehr: Wofür steht der Laden eigentlich? Daran kranken viele Parteien zurzeit. Ich bin für größtmögliche Klarheit, damit der Wähler weiß, was er wählt. Und damit ist auch klar, dass es Grenzen beim Wachsen gibt. Wir werden zum Beispiel nicht in der Hoffnung, noch ein paar Wähler mehr zu bekommen, das Datum für den Kohleausstieg um zehn Jahre hinausschieben.

Die Art der Positionsfindung ist in anderen Parteien vielleicht anders, aber am Ende finden doch auch Volksparteien klare Positionen, die sie ins Wahlprogramm schreiben. Wo ist das Problem?

Ich erlebe diese Positionen als Kompromisse mit sich selbst. Nehmen Sie das Beispiel des Hambacher Waldes. Da hat die SPD den Protest ein bisschen gut gefunden und gleichzeitig gesagt, dass man es auf der anderen Seite ein bisschen schwierig findet. Das ist keine klare Botschaft. Man kann den Wald retten wollen oder ihn überbewertet finden. Beide Positionen sind möglich, aber man muss sich für eine entscheiden.

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Das ist leicht gesagt, wenn man nicht regiert. Die Grünen haben in NRW, als sie in der Regierung waren, die Kohlepolitik inklusive Abholzung des Hambacher Forstes mitgetragen. Jetzt in der Opposition protestieren sie mit …

Wenn wir unsere Position nicht durchsetzen können, sind wir an anderen gescheitert. Wir machen nicht schon vorher den Kompromiss mit uns selbst, sondern gehen mit klaren Positionen in Verhandlungen mit möglichen Partnern. Wir können niemandem versprechen, dass unsere Positionen eins zu eins umgesetzt werden. Wir können nur versprechen, dass wir hart kämpfen und verhandeln, um möglichst viel durchzusetzen.

Ist denn alles verhandelbar?

Nein. Zur Klarheit gehört, auch rote Linien zu formulieren. Das haben wir bei den Jamaika-Verhandlungen beim Kohleausstieg gemacht. Ohne einen schnellen Einstieg in den Ausstieg hätten wir nicht weiterverhandelt. Die roten Linien gibt es nicht in jedem Politikbereich. Sonst könnte man nicht mit anderen zusammen regieren. Aber es kann auch nicht sein, dass man alles zu Disposition stellt. Beispiel Rüstungsexporte: Wir wollten ein Rüstungsexport-Kontrollgesetz. Das ist an der CDU gescheitert. Aber wir haben klar in den Jamaika-Verhandlungen gesagt: Wenn die CDU weiter Waffen nach Saudi Arabien exportieren will, sind wir nicht dabei. Das war die rote Linie bei diesem Thema.

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Da müssen Sie dem Wähler viel erklären, damit er versteht, was klare Positionen, rote Linien und Verhandlungsergebnisse sind …

Wir haben bei den Jamaika-Verhandlungen nach jeder Runde versucht, transparent zu machen, wie der Stand der Verhandlungen ist. Damit deutlich wird, was wir wollen, und wie ein Kompromiss mit anderen aussehen könnte. Die Wähler sind ja nicht dumm. Sie wissen, dass man nicht alles durchsetzen kann, was man will. Dass ginge nur, wenn eine Partei alleine regieren würde. Das werden wir nicht. Und das wäre auch nicht gut für eine Demokratie.

Zum Konzept einer Volkspartei gehört auch, offen für alle zu sein, die Mitglied werden wollen. Für wen ist denn kein Platz bei den Grünen?

Der Grundkonsens der Grünen ist die offene Gesellschaft. Dafür streiten wir. Die Grundüberzeugung ist nicht verhandelbar.

Die anderen Parteien – außer der AfD – tragen den Konflikt zwischen offener und geschlossener Gesellschaft immer noch in ihren Reihen aus. Da sagen auch Befürworter der offenen Gesellschaft, dass man sich um diejenigen kümmern muss, die Angst davor haben. Ist das kein grünes Thema?

Diesen Grundkonflikt haben wir tatsächlich nicht. Die AfD hat das Land in Aufregung versetzt, Ängste geschürt und eine Debatte angezettelt, die mit der Realität wenig zu tun hat.

Wenn die Grünen so stark bleiben, entsteht nicht nur eine Erwartungshaltung sondern auch eine Verantwortung. Dann muss man zum Beispiel bereit sein zu führen und einen Kanzlerkandidaten oder bei kommunalen Wahlen OB-Kandidaten aufstellen. Sind die Grünen dafür bereit?

Uns ist klar, dass man an hohen Erwartungen auch scheitern kann. Die Menschen wollen, dass sich etwas ändert. Das ist schwierig, wenn man auf Bundesebene in der Opposition ist. Klar ist: Wenn wir stärkste Kraft werden, wollen wir auch den Kanzler oder die Kanzlerin stellen. Es gibt bei den Grünen mehrere Menschen, denen wir das zutrauen. Aber wir wollen diese Debatte auch nicht befeuern. Wir sprechen zurzeit über Umfragewerte – und die können sich auch schnell wieder ändern.

Sie haben genau wie Ihre drei Kölner Kollegen im Bundes- und Landtag gesagt, dass Sie für eine OB-Kandidatur in Köln nicht zur Verfügung stehen. Das entspricht nicht gerade der Erwartungshaltung, von der sie sprechen.

Oberbürgermeister in Köln zu sein, ist sicher ein wahnsinnig spannender Job. Ich habe mich nicht gegen die OB-Kandidatur, sondern für das Bundestagsmandat entschieden. Das ist das, was ich weiter machen will. Da bin ich richtig.

Die Kölner Grünen hatten in der Vergangenheit ja schon eigene OB-Kandidatinnen. Doch jetzt, wo erstmals ein Sieg denkbar ist, zögern sie, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Ist das nicht naheliegender als noch einmal Frau Reker zu unterstützen?

Wir haben die Kandidatur von Frau Reker beim letzten Mal aus Überzeugung mitgetragen. Ob jemand ein grünes Parteibuch hat oder nicht, muss nicht entscheidend sein. Wichtig ist, dass sich jemand den grünen Inhalten verpflichtet fühlt. Diesen Weg gehen wir auch diesmal. Wir haben klare Vorstellungen davon, wie sich Köln entwickeln soll. Und das würden wir gerne mit Henriette Reker umsetzen. Darüber werden wir mit ihr sprechen und uns anhören, was sie will. Am Ende ist die Frage, wen die Grünen bei der OB Wahl unterstützten, eine Entscheidung über Sachfragen.

Was sind die Knackpunkte?

Die großen Themenfelder, um die es gehen wird, sind die Verkehrspolitik und die Flächenkonkurrenz in der Stadt. Wir wollen weniger Autos in der Stadt und einen schnellen Ausbau des Öffentlichen Personen- Nahverkehrs. Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnungsbau, können dafür aber nicht immer weiter freie Flächen zubauen.

Auch die CDU wird Erwartungen haben, die bedient werden müssen, wenn sie wieder Frau Reker unterstützt. Hätten Sie es mit einem eigenen Kandidaten nicht viel leichter?

Vielleicht bin ich bei dieser Frage zu konservativ oder zu bürgerlich, aber ich finde, dass es auch eine Frage des Respekts ist, dass man mit derjenigen, mit der man gut zusammen gearbeitet hat, auch als Erstes spricht. Alles andere fände ich komisch.

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