Kölner Behörden ignorierten HinweiseDie Leiche im Wald, die niemand finden wollte

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Ermittler am Fundort der Leiche im Lindlarer Waldgebiet.

Köln – Es ist ein Fall um eine Leiche, die niemand finden sollte – und wollte. Denn trotz eindeutiger Hinweise auf einen Getöteten, dessen skelettierter Körper in einem Waldgebiet liegt, wird der Vorgang von den Kölner Ermittlungsbehörden zunächst offenbar nicht ernst genommen. Es braucht den Spürsinn und die Hartnäckigkeit eines Reporters, um das Verbrechen im Jahr 2017 vor Gericht zu bringen. 

Köln: Nach Streit um Drogen ins Herz gestochen

Im Streit um Drogengeschäfte stach Software-Entwickler Christoph S. (47) Anfang des Jahres 2016 seinem früheren Knastgenossen Deniz S. (30) ins Herz. Der Mörder verscharrte die Leiche in einem Waldstück im oberbergischen Lindlar, ein Bekannter half ihm dabei – und der bekam Skrupel. Der Zeuge, ehemaliger Fremdenlegionär (50), wendete sich an seine Anwältin Dr. Monika Müller-Laschet aus Köln. Und berichtete alles.

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Er legte der Juristin auch die Quittung einer Tankstelle in Lindlar vor, die sich in der Nähe des Leichen-Ablageortes befindet. Anwältin Müller-Laschet meldete daraufhin einem Staatsanwalt, ihr Mandant habe bei der „Beseitigung einer Leiche“ geholfen. Bei dem Getöteten handelte es sich um einen Drogendealer. Der Zeuge wollte einen Deal: Straferlass für eine andere Sache, es ging um Schwarzfahren. Darauf ging der Staatsanwalt nicht ein. Die Sache war für ihn damit offenbar erledigt.

Staatsanwalt in Köln vermerkt Tötungsdelikt nicht

Der Staatsanwalt legte keine Mordakte an. Erst Wochen später, als der Getötete tatsächlich gefunden wurde, schrieb der Ermittler eine Art Gedächtnis-Protokoll auf. Von einem Anruf der Anwältin „in der Woche vom 15. bis 19. Februar“ war da die Rede. Und einer Leiche, die unkonkret formuliert „im Bergischen Land“ vergraben ist.

Offenbar hatte sich der Staatsanwalt nur schlecht an das brisante Gespräch erinnert, denn im Aktenvermerk verlegte er das Datum mehr als einen Monat vor. Es fand nämlich erst am 23. März 2016 statt. Die Behörde hatte nach Bekanntwerden auf Anfrage erklärt, es habe sich aufgrund der vagen Angaben kein Anfangsverdacht ergeben. Die Staatsanwaltschaft Köln habe sich an die gesetzlichen Vorgaben gehalten und sich nichts vorzuwerfen.

Reporter findet die skelettierte Leiche im Lindlarer Wald

Einen Monat später meldete sich der Zeuge bei der Kölner Zeitung „Express". Die Staatsanwaltschaft habe ihm nicht geglaubt, doch er wolle unbedingt reinen Tisch machen, berichtete der 50-Jährige dem Reporter Günther Classen (damals 72). Classen glaubte dem Mann und kontaktierte die Kölner Polizei. Doch auch die nahm den Fall zunächst nicht ernst. In einem Vermerk nannte ein Polizeibeamter den Reporter einen „alten senilen Mann“, der nicht glaubhaft sei.

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Reporter Günther Classen brachte den Mordfall letztlich vor Gericht.

Mit Leichenspürhunden suchte die Polizei dann doch noch das Waldgebiet in Lindlar ab – und fand nichts. Der Reporter fuhr danach mit dem Zeugen selbst in den Wald. Zuvor bat er die Kripo, ihn verdeckt zu begleiten und ihm Rückendeckung zu geben. Dem stimmte ein Kripobeamter zu: Doch nach anderthalb Stunden, in denen Classen die Leiche nicht gefunden hatte, fuhr der Beamte zurück nach Köln.

Umso überraschter muss dieser gewesen sein, als der Reporter ihm nur kurz darauf Fotos eines Skeletts zusendete. Die Leiche, die die Behörden nicht finden wollten, war gefunden.

Kölner Opfer wollte Täter laut Zeuge „abziehen“

Anfang des nächsten Jahres startete vor dem Landgericht Köln der Prozess. Heimtückischen Mord warf die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor. Der Zeuge hatte im Prozess ausgesagt, dass ihm der Angeklagte von dem Mord berichtet habe. „Hätte er mich nicht erpresst, dann würde er jetzt nicht tot in meinem Wagen liegen“, habe der Täter gesagt.

Tatsächlich lag da eine Leiche. „Ich habe ihn gefragt, ob das sein erster oder sein hundertster Mord war, so abgeklärt war Christoph“, meinte der Fremdenlegionär, der ebenfalls im Drogenmilieu unterwegs war. Dann habe er dem Täter geholfen, die Leiche zu verscharren. 

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Ein weiterer Zeuge sprach den Drogenstreit zwischen Täter und Opfer an und berichtete, dass der Angeklagte seinen damaligen Mitbewohner immer wieder mit Kokain beliefert habe. Auf Pump. „2000 Mille sind da aufgelaufen“, sagte der Zeuge. Irgendwann sei Deniz S. auf die Idee gekommen, seinen Dealer „abzuziehen“.

Täter spricht von Notwehr, Staatsanwalt von Mord

Zu Beginn des Prozesses hatte Christoph S. geschwiegen, auf Anraten seiner Verteidiger Joachim Schmitz-Justen und Ernst Johann. Einerseits verständlich: Lässt ein Anwalt seinen Mandanten frei reden, könnte dieser sich bei unklaren Fällen auch erheblich selbst belasten. Aber auch das Gegenteil könnte eintreten. Die Anwälte nutzten einen Mittelweg und gaben im Laufe des Prozesses eine Erklärung für ihren Mandanten ab. Die ging in Richtung Notwehr.

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Der Angeklagte beim Prozessauftakt im Januar 2017 mit seinen Verteidigern Ernst Johann und Joachim Schmitz-Justen.

Der Staatsanwalt blieb bei seiner Auffassung, dass ein Mord vorläge. Das Opfer sei ein richtiger „Kampfkoloss“ gewesen. Mann gegen Mann hätte Christoph S. keine Chance gehabt. Für Ankläger Schindler kam daher nur ein feiger Angriff in Frage, der mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe zu ahnden sei. Worte, die den Angeklagten aus der Reserve lockten. Er wolle nicht länger schweigen.

Christoph S. erklärte, er hätte durchaus  körperlich gegen den Getöteten bestehen können, er sei schließlich Kampfsportler. Ein Detail, das bisher nicht zur Sprache gekommen war. Er habe sich gewehrt, als Dennis S. ihn mit einem Messer angegriffen habe. „So einen Kampf gewinnt oder verliert man“, sagte der Angeklagte, der den Kölner Stadtteil Holweide als Tatort angegeben hatte.

Kölner Richter: Mörder wollte Opfer den Kopf abtrennen

Die Schwurgerichtskammer sah das Mordmerkmal der Heimtücke als erwiesen an und verhängte damit eine lebenslange Haftstrafe. Demnach hatte der Angeklagte Deniz S. mit einem Messer angegriffen, als der völlig arglos war. Die Klinge traf den Herzbeutel. Später hatte der Täter noch versucht, dem Mann den Kopf abzutrennen. Noch während der Urteilsbegründung sprang der Mörder auf und bekräftigte seine Notwehr-Version.

Opfer-Anwalt Sebastian Schölzel erklärte damals: „Der Angeklagte hat keine Reue gezeigt, nicht ein Wort der Entschuldigung. Das tut den Angehörigen weh.“ Dass es letztlich ein Reporter war, der den Fall gelöst hatte, kommentierte Schölzel so: „Offenbar war er schlauer, als die Polizei erlaubt.“

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