Köln – Im Büro von Petra Dierkes hängt das Plakat einer Yves-Klein-Ausstellung aus den 1990er Jahren: „Der Sprung ins Leere“ erinnert an eine legendäre Performance, als sich der Künstler 1960 beim Sturz aus dem Fenster eines Hauses fotografieren ließ. Auf dem Sprung ist auch die 1963 geborene Theologin: Heute übernimmt sie die Leitung der Hauptabteilung Seelsorge im Erzbistum Köln.
Von einem Gefühl der Leere ist allerdings nichts zu spüren bei der ersten Frau im engsten Führungskreis. Dierkes spricht von „Aufbruch“ und dem „Kairos“, dem günstigen Moment, den sie mit dem Amtsantritt von Kardinal Rainer Woelki verbindet. „Der neue Erzbischof erschließt neue Möglichkeiten. Er bringt viele Gruppen zusammen, hört auf unterschiedliche Stimmen. Und er ermöglicht einen neuen Blick auf die künftige Sozialgestalt der Kirche und ihre Pastoral.“
„Seelsorge geht nur in der Nähe“
Das genau wird Dierkes’ Metier sein. Sie ist verantwortlich für 310 Hauptamtliche in der Jugendseelsorge, der Ehe-, Familien- und Altenpastoral sowie der Krankenhaus- und Notfallseelsorge. „In meiner Hauptabteilung verstehen wir uns als die Vordenker, die Konzipierer, die hoffentlich nicht bloß Papier produzieren.“ Dierkes will den Prozess des Umdenkens in der Kirche vorantreiben, den Woelki in seinem Fastenhirtenbrief angestoßen hat.
„Die Zeit der Volkskirche ist vorbei“, sagt die Theologin, die ihre religiöse Prägung selbst noch in der vermeintlich guten alten Zeit erfuhr. In der Jugendarbeit, in Liturgie- und Familienkreisen hat sie gelernt: „Seelsorge geht nur in der Nähe.“ Deshalb müsse „die Kirche im Dorf“ bleiben.
Laien haben Anteil am allgemeinen Priestertum
Dierkes weiß, dass das nach Pfeifen im Wald klingt angesichts sinkender Priesterzahlen und schwindender Beteiligung der Katholiken am kirchlichen Leben. Aber, sagt sie, Nähe sei eben nicht allein eine geografische Größe, und die Nähe zur Gemeinde „definiert sich nicht mehr nur über den Pfarrer“. Sie setzt auf „kleinen geistlichen Gemeinschaften“, von denen Woelki spricht. Sie setzt auch auf die Orte, an denen Menschen nach wie vor die Nähe zur Kirche suchen und erfahren: Krankenhäuser, Hospize, soziale Einrichtungen. Hier komme es auf pastorale Teams aus Priestern und zunehmend aus Laien an. Deren Mitwirkung sei ihr – auch biografisch – immer wichtig gewesen.
„Wir Laien haben doch Anteil am allgemeinen Priestertum, verdammt noch mal!“, sagt sie und zuckt kurz zusammen, als sie sich ihrer Emphase bewusst wird. Aber auch da gilt, was sie vom Erzbischof sagt: „Er bestimmt die Richtung.“ Woelki selbst war es schließlich, der vorige Woche in einer Predigt den gleichen Kraftausdruck gebrauchte, um den Einsatz für Flüchtlinge zu unterstreichen. Über seine neue Amtsleiterin ist er voll des Lobes: „Sie ist sehr kompetent, sehr klar in ihren Vorstellungen. Sie stellt die richtigen Fragen und geht sie an.“
Keine „Quotenfrau“
Dierkes weiß, dass das Interesse an ihr auch dem „weiblichen Faktor“ geschuldet ist. Als „Quotenfrau“ sehe sie sich aber überhaupt nicht. „Wenn ich dieses Gefühl hätte, würde ich den Job nicht machen.“ Noch nie in ihrer Berufslaufbahn habe sie so viel Zuspruch, so viele positive Rückmeldungen bekommen: „Genau richtig so! Du machst jetzt mit!“ Das sei ja auch stets ihr Wunsch gewesen: gestalten, entscheiden, gesehen werden. Sonst hätte sie sich nach dem Theologiestudium auch kaum in den Dienst des Erzbistums begeben, erst in der Erwachsenenbildung, dann in der Medienarbeit.
Vor einem Jahr wechselte Dierkes ins Seelsorgeamt, dessen Leitung sie jetzt von Monsignore Markus Bosbach übernimmt. „Der Kardinal gibt den Frauen eine Stimme in den Leitungsgremien. Das finde ich gut“, sagt Dierkes.
Nachholbedarf beim Thema „Kirche und Frau“
Den Zugang von Frauen zu den Weiheämtern sieht Dierkes „nicht als meine Baustelle“. Sie habe sich „nie in einem geistlichen Amt gesehen. Nicht einmal unter der Prämisse, dass es Frauen offenstünde.“ Sie verstehe aber die Ungeduld vieler Frauen. „Dass es beim Thema »Kirche und Frau« Nachholbedarf gibt, das ist so.“ Es gebe auch die gläserne Decke. „Aber sie verläuft zwischen Klerikern und Laien, egal ob männlich oder weiblich. Und Jammern, das bringt gar nichts.“