Bericht einer Kölner MutterEltern fühlen sich in der Krise erneut allein gelassen

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Schule Unterricht

Symbolbild.

Köln – Das jüngste Kind ist nicht krank. Es hört die „Oktonauten“ in voller Lautstärke. Es hat eine Büroklammer so ins Schlüsselloch gesteckt, dass sie nicht mehr rauszukriegen ist. Es hüpft auf dem Sofa. Es hat alle etwa 100 Pixie-Bücher auf der Suche nach einer „Cars“-Ausgabe auf dem Schlafzimmerboden verteilt. Es frühstückt ein Brötchen mit Fleischwurst. Das Kind ist nicht krank und trotzdem ist es nicht in der Kita, die Mutter nicht im Büro – so hat es NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) nahegelegt.

Auch wenn eine Notbetreuung angeboten wird, solle man sein Kind soweit irgend möglich zu Hause betreuen und dafür die ausgeweiteten Kinderkrankentage nutzen. Eine wunderbare Idee, die viele Elternteile erstmal entspannte.

Kita-Leiterin winkt ab

Das Problem: Woher bekommen Eltern die Bescheinigung für die Krankenkasse, um dann von dort 90 Prozent des Nettogehaltes zu erhalten? Die Leiterin der städtischen Kita in Köln winkt auf Nachfrage in einer Mail ab. „Nach Rücksprache mit meiner Vorgesetzten bin ich nicht befugt, ihnen eine Bescheinigung auszustellen, da es die Möglichkeit der Notbetreuung gibt.“ Im Schreiben des Ministeriums und auf der Internetseite der Stadt Köln gebe es die schriftliche Aussage, dass Eltern Anspruch auf Kindertage hätten und sie damit ihr Kind zu Hause betreuen dürften. Viele Eltern aus der Kita hätten das so mit ihren Arbeitgebern geregelt.

Eine Kulanzregel mit dem Arbeitgeber ist aber nicht das, was die Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und ihr Kollege Stamp in NRW auf den Weg bringen wollten. Schließlich sollten Eltern in der Krise gerade nicht auf das Gutdünken ihres Arbeitgebers angewiesen sein, sondern sich auf Rechtssicherheit verlassen können. Giffey spricht in ihrem Post auf Facebook davon, dass eine Bescheinigung für die Krankenkasse bei der Kita- oder Schulleitung zu erhalten ist. Sie betont: „Der Anspruch gilt auch dann, wenn Behörden den Eltern empfohlen haben, ihre Kinder pandemiebedingt lieber zu Hause zu betreuen.“

Übrigens auch, wenn die Eltern grundsätzlich im Homeoffice arbeiten können. Das mittlere Kind im Homeschooling klagt über Rückenschmerzen vom Digitalunterricht. Es möchte, dass jemand mit ihm Gymnastik macht. Kollegen mutmaßen, dass vielleicht der Kinderarzt das Attest ausstellt. Aber auch der winkt ab. Eine Bescheinigung gäbe es nur, wenn das Kind krank sei.

Erweiterung des Kinderkrankengeldes lässt auf sich warten

„Bei uns rufen viele Eltern an und erkundigen sich. Aber wir haben keine Formulare für diese Fälle“, sagt die Medizinische Fachangestellte. Sie rät, die Krankenkasse anzurufen. Dort gibt es erstmal eine Warteschleife. „Im Moment versuchen viele Kunden, uns zu erreichen“, sagt die Stimme vom Band zwischen Gitarrenklängen. Dann erklärt eine Mitarbeiterin: „Die Einrichtung muss das bescheinigen. Der Beschluss muss aber noch verabschiedet werden. Dann können Sie die Krankentage mit dem Attest der Kita bei uns beantragen.“

Das Kind weint. Es ist beim Versuch auf den Tisch zu klettern, vom Stuhl gefallen. Ohne Attest von der Kita, sagt die Mitarbeiterin etwas mitleidig, „habe ich auch keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen.“ Immerhin schickt sie einen Link zu weiteren Informationen auf der Krankenkassen-Homepage. Dort steht zur Erweiterung des Kinderkrankengeldes: „Für diese Fälle wird ein neuer Musterantrag entwickelt. Diesen werden wir zeitnah auf unserer Homepage veröffentlichen.“

Aber wann wird das sein? Kann vielleicht das Corona-Bürgertelefon der Landesregierung helfen? Nein. Eine Dame verweist auf eine Hotline der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe. Dort heißt es lediglich, Eltern sollten die Ankündigungen auf der Homepage der Verbände im Auge behalten. „Vielleicht kommt da morgen was, vielleicht aber auch erst in ein paar Wochen oder Monaten“, sagt die Expertin.

Schlagabtausch der Parteien im Land

Das Chaos um die Kinderbetreuung hat in der Landespolitik zu einem Schlagabtausch geführt. „Die Verwirrung um die Kinderkrankentage ist sehr ärgerlich. Auch die Landesregierung muss hier einfach besser kommunizieren und erklären, wie der Prozess abläuft“, sagte Dennis Maelzer, Familienexperte der SPD, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Auch Josefine Paul, Fraktionschefin und familienpolitische Sprecherin der Grünen, übt scharfe Kritik. Die Regelungen seien „einmal mehr mit heißer Nadel gestrickt“. Um „weiterer Verunsicherung vorzubeugen“ müsse Familienminister Stamp jetzt für Klarheit sorgen, wo und unter welchen Voraussetzungen Eltern ihren Anspruch auf das Kinderkrankengeld geltend machen könnten. Die Gruppe der Selbstständigen bleibe im Entwurf außen vor. Das gelte auch für Privatversicherte.

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Ein Sprecher von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verwies auf Anfrage unserer Zeitung darauf, dass die Vorgaben der Bundesregierung zum Umgang mit den zusätzlichen Betreuungstagen noch ausstünden. „Erst danach können die Landesregelungen angepasst werden“, hieß es.

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