Konserviertes GlückWarum der FC-Fan den Torpfosten mitnahm

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Mein Torpfosten: ein glücklicher FC-Fan mit seinem Erinnerungsstück

Mein Torpfosten: ein glücklicher FC-Fan mit seinem Erinnerungsstück

Köln – Schauen Sie in das strahlende Gesicht dieses FC-Fans. Wie er den Torpfosten herzt, den er eigenhändig aus der Verankerung gehebelt hat. Dutzende haben nach dem 3:5 des 1. FC Köln gegen Jahn Regensburg daran gerüttelt. Hunderte mit bloßen Händen den Stadionrasen ausgegraben und voller Stolz nach Hause getragen.

Bei aller Liebe. Was ist der Pfosten eines Tores wert, in das es fünfmal eingeschlagen hat? Nach einem Spiel, in dem es um nichts mehr ging? Warum zahlen Menschen 5000 Euro für ein Selfie mit Barack Obama, hängen Liebesschlösser an die Hohenzollernbrücke, kritzeln ihre Namen ins Treppenhaus der Südturms am Dom?

Die Antwort ist vielschichtiger, als wir ahnen. Und ja. Niemand ist vor diesen irrationalen Handlungen gefeit, sagt Professor Andreas Glöckner, Sozialpsychologe an der Universität Köln. Aber lässt sich ein gutes Gefühl wie der Wiederaufstieg des FC tatsächlich konservieren – durch einen Torpfosten im Partykeller oder ein Stück Rasen im Blumentopf auf dem Balkon? Keineswegs, sagt der Professor. Das sei ein Irrglaube – mit einem Fünkchen Wahrheit. Das Zurückversetzen in gute Augenblicke sei das Entscheidende. „Wenn ich den Pfosten anschaue, kann die Erinnerung lebhafter werden. Mehr aber nicht.“

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Pfosten, Rasen, Obama-Selfie

Der Besitztums-Effekt sei viel bedeutender. Pfosten, Rasen und Obama-Selfie. „Dinge, die ich besitze, steigen für mich in ihrem Wert. Das gilt auch für ganz abstrakte Dinge. Je stärker ich das Objekt an mein eigenes Ich anbinden kann, es einen Erlebnischarakter hat, desto stärker ist dieser Effekt.“ Will heißen: Meisterrasen und Aufstiegspfosten sind für den FC-Fan weniger wert, wenn er sie bei Ebay ersteigert. Obwohl nicht auszuschließen ist, dass beide auch dort auftauchen werden. Das ist dann aber wirklich ein ganz trivialer Grund.

Der Besitztums-Effekt hingegen lasse sich im Laborversuch recht einfach belegen, sagt Professor Glöckner. „Wir geben den Leuten eine Tasse, sagen, die gehört jetzt dir. Später fragen wir: Ich möchte sie dir wieder abkaufen, wie viel willst du dafür haben? Oder andersherum: Ich stelle die Tasse vor jemanden hin und frage. Wie viel willst du dafür zahlen? Die eigene Tasse ist erstaunlicherweise zehn, die andere nur fünf Euro wert.“

„Schaut her, ich bin ein guter FC-Fan“

Und dann wäre ja da noch etwas ganz Entscheidendes: die soziale Anerkennung, das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein. Die Psychologie unterscheidet dabei zwischen der eigenen und der sozialen Identität. „Wir definieren uns nicht nur dadurch, wer wir sind, sondern auch darüber, zu welcher Gruppe wir gehören“, sagt Glöckner. Mit Pfosten oder Rasen in der Hand, lasse sich das FC-Fan-Sein kaum besser dokumentieren. „Schaut her, ich bin nicht nur ein FC-Fan. Nein, ich bin sogar ein richtig guter FC-Fan. Weil ich dabei war.“

Es muss halt nur einer anfangen. Wie am Sonntag im Stadion. Einer muss das erste Rasenstück ausbuddeln, einer als Erster am Pfosten rütteln. Gepaart mit Überschwang und Freude, sinkt die Hemmschwelle. Und immer mehr machen mit. In guter Stimmung gehe man höhere Risiken ein und ist bereit, etwas als Kavaliersdelikt abzutun, das im Grunde nichts anderes als Sachbeschädigung ist, so Professor Glöckner.

Schaut her! Ich war dabei. Durch die Verbreitung dieser Botschaften in den sozialen Netzwerken werde die soziale Wirkung extrem verstärkt, das Selbstwertgefühl steige. Früher habe man den Pfosten allenfalls der Familie oder Freunden im Partykeller gezeigt, heute zählten die Likes auf Facebook und Instagram. „Es ist doch schon erstaunlich, dass kein FC-Fan auf die Idee kommt zu fragen, warum die unseren schönen Stadionrasen kaputtmachen“, sagt Glöckner.

Die Vergänglichkeit des Augenblicks

Für Stephan Grünewald, Psychologe und Geschäftsführer des Rheingold-Instituts, sind Pfosten und Rasen nichts anderes als „eine moderne Form des Reliquienhandels“. Es gehe um die Manifestierung des Augenblicks und darum, durch das Teilen des Erfolgs der eigenen Vergänglichkeit etwas entgegenzusetzen. Hinzu komme der Talisman-Effekt, der Kraft und Vertrauen hervorrufen solle.

Die Vergänglichkeit des Augenblicks wird den 1. FC Köln hoffentlich nicht so schnell einholen. Sonst muss der Fan den Pfosten am Ende noch zurückbringen.

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