Kriminalstatistik der Kölner PolizeiJeder zweite Mord bleibt unentdeckt

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Spurensicherung der Polizei

Spurensicherung der Polizei

Köln – Acht Prozent weniger Diebstähle, sechs Prozent weniger Körperverletzungen, fünf Prozent weniger Raubüberfälle und fast 20 Prozent weniger Taschendiebstähle –  die Kriminalstatistik für das Jahr 2017 liefert vordergründig Anlass zur Erleichterung – oder wurden vielleicht einfach nur weniger Straftaten angezeigt als 2016?

Sorge bereitet dagegen die offenbar stark gestiegene Zahl von Telefonbetrügereien mit älteren Menschen: 144 vollendete und 1400 versuchte Taten weist die Statistik  aus, fast doppelt so viele wie 2016 – oder sind Senioren einfach nur sensibler geworden  und melden Fälle häufiger der Polizei?

Strategien und Personalbedarf

Mit der  Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) beginnt in den Kommissariaten, Ministerien und Redaktionsbüros auch alljährlich wieder das Rechnen und Interpretieren. Aber wie verlässlich sind die Zahlen der PKS eigentlich? Bilden sie die tatsächliche Kriminalität in der Stadt ab? Und taugen sie wirklich, um langfristige Ermittlungsstrategien, den Personalbedarf bei der Polizei und Präventionsmaßnahmen daran auszurichten?

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Kriminologen haben da eine klare Meinung. „Die PKS fördert nur einen kleinen Ausschnitt der tatsächlichen Kriminalität zutage“, sagt Mario Bachmann vom Institut für Kriminologie der Uni Köln. „Kriminalprävention allein auf Grundlage der PKS zu machen, wäre daher nicht seriös.“ Das sieht die Polizei nicht anders. Ein Großteil der begangenen Straftaten werde der Polizei überhaupt nicht bekannt, heißt es beim Bundeskriminalamt (BKA). Daher sei es wichtig, auch das Dunkelfeld zu berücksichtigen, um ein „umfassenderes Bild von Umfang und Struktur von Kriminalität“ zu bekommen. Gemeint ist die Zahl jener Straftaten, die aus verschiedenen Gründen gar nicht erst zur Anzeige gelangen und die daher in keine Statistik einfließen.

Je nach Delikt kann das Dunkelfeld tatsächlich erheblich sein. Forscher des Landeskriminalamts Niedersachsen haben zum Beispiel errechnet, dass gerade einmal  6,2 Prozent aller Sexualdelikte angezeigt werden. Der Rest werde verschwiegen, etwa aus Scham oder weil das Opfer bei der Polizei seine erlittenen Qualen nicht schildern möchte. Ganz anders verhält es sich beim Thema Autodiebstahl oder Wohnungseinbruch: Um den Schaden ersetzt zu bekommen, müssen Opfer ihrer Versicherung meist eine Kopie der Anzeige einreichen – logisch, dass das die Anzeigebereitschaft erhöht und die Dunkelziffer gegen null geht.

Telefonbetrug bei älteren Menschen

Noch einmal zum Telefonbetrug: Zwar betont Kölns Kripochef Klaus-Stephan Becker, dass vor allem Anrufe, bei denen die Täter sich  als Polizisten ausgeben, ein relativ neues Phänomen seien, das die Zahlen in die Höhe treibe. Andererseits berichteten Medien auch zunehmend darüber. „Wenn die Polizei immer wieder öffentlichkeitswirksam darauf hinweist, dass ältere Menschen häufig Opfer von Telefonbetrug werden, kann das auch dazu führen, dass sich einfach mehr Opfer oder deren Angehörige melden“, sagt der Kriminologe Mario Bachmann. Die Zahl der Taten müsse sich also nicht zwangsläufig erhöht haben.

Selbst bei Mord und Totschlag gibt es eine Dunkelziffer: Auf jede erkannte Tat, so lautet eine gängige Annahme in der Wissenschaft, komme eine unerkannte. Immer wieder etwa werden Fälle bekannt, in denen Krankenpfleger Dutzende Menschen getötet haben. Oft kommt das nur zufällig heraus. Rechtsmediziner kritisieren, dass zu selten obduziert werde. Wissenschaftler fordern, sich bei der Betrachtung nicht nur auf das Hellfeld in der PKS zu verlassen, sondern das Dunkelfeld stärker zu berücksichtigen. Das scheint sich auch die neue Bundesregierung vorgenommen zu haben. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Um ein Gesamtbild der langfristigen Kriminalitätsentwicklung zu bekommen, streben wir eine zügige Aktualisierung des Periodischen Sicherheitsberichts an.“

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Dieser fasst – unter Mitwirkung von Wissenschaftlern – Erkenntnisse aus dem Hell- und Dunkelfeld zusammen. Er wurde bislang nur zweimal erstellt: 2001 und 2006. Forscher wie Mario Bachmann warten schon lange auf eine Neuauflage: Der Bericht sei eine Möglichkeit, so der Kriminologe, „der breiten Öffentlichkeit transparent darzustellen, wie es um die tatsächliche Kriminalitätslage bestellt ist“.

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