Im beschaulichen Dellbrück soll eine Jugendbande seit mehr als einem Jahr Straftaten begehen. Anwohner sind besorgt, die CDU schlägt Alarm. Was ist da los?
Jugendcliquen terrorisieren Anwohner„Viele Ältere trauen sich abends nicht mehr aus dem Haus“

Im beschaulichen Dellbrück soll eine Jugendbande seit mehr als einem Jahr Straftaten begehen.
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Wer an einem heißen Juninachmittag abseits der Hauptstraße durch Dellbrück schlendert, kann schnell vergessen, dass er sich noch in Köln befindet. Gepflegte Reihenhäuser wechseln sich mit Eigenheimen samt akkurat gestutzter Vorgärten ab. Auf einem Spielplatz schaufelt ein junger Vater Sandburgen mit seinem Kleinkind, während vereinzelt Autos durch die Straßen kriechen. Wer an der Hauptstraße steht und eine Viertelstunde Fußweg einplant, landet wahlweise vor einer Pferdekoppel oder in der Stille des Thielenbruch und Thurner Waldes.
Hildegard Becker (Name geändert) hat diese Ruhe und die Nähe zur Natur immer sehr genossen. Die 78-Jährige lebt schon seit 1969 in Dellbrück, engagiert sich auch im Bürgerverein. Seit etwa einem Jahr allerdings, so sagt sie bei einem Rundgang durch das Veedel, wird diese Idylle getrübt: „Vor allem abends und nachts schmeißen Jugendliche mit Böllern und beschmieren Wände“, sagt sie. Auch zu Brandstiftungen, Pöbeleien und sogar zu Angriffen auf Anwohnern soll es schon gekommen sein, sagt sie. An mehreren Hotspots versammelten sich die Jugendlichen, etwa an der Unterführung zur S-Bahn-Haltestelle, mehreren Spielplätzen und rund um die Kirche St. Joseph an der Dellbrücker Hauptstraße. „Viele ältere Dellbrücker trauen sich abends nicht mehr aus dem Haus.“
Spekulationen über Jugendbanden in Dellbrück
In der Nachbarschaft kursieren viele Spekulationen. „Wir haben den Eindruck, das sind mehrere Gruppen, teilweise Jugendliche aus Dellbrück, teilweise aus anderen Vierteln wie Chorweiler, die hier die Sau rauslassen“, sagt Becker. Mit der Polizei stehe man in engem Kontakt, die Präsenz von Polizeistreifen habe zugenommen. Im September soll es eine Informationsveranstaltung für die Bürgerinnen und Bürger Dellbrücks geben. „Da sind wir sehr froh drum“.
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Unter anderem in dieser Bahnunterführung in Delbrück sollen sich Jugendliche treffen und für Ärger sorgen.
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Hört man sich entlang der Dellbrücker Hauptstraße unter Anwohnern und Gastronomen um, hört man Unterschiedliches über das Ausmaß des Problems. Der Wirt eines Restaurants winkt ab. „Die sind verrückt, schmeißen hier E-Roller auf die Bahngleise und sind total respektlos“, schimpft er. Ähnlich äußert sich die Betreiberin eines Cafés: „Wir haben immer wieder Ärger mit denen“. Sie spricht von einer Bande. Andere wiederum zucken mit den Schultern. Von gefährlichen Jugendlichen hätten sie nichts mitbekommen.
Vor einem Dönerladen an der Hauptstraße sitzen vier Mädchen und ein Junge in der Sonne, essen mitgebrachte Chips und rauchen Vapes. Sie wisse Bescheid über die vermeintliche Jugendbande, sagt Melissa (Name geändert). „Wir haben auch mal mit denen herumgehangen. Aber das machen wir schon lange nicht mehr. Nur noch mit denen, die keine Scheiße bauen.“ Sie alle kommen aus Holweide, sind 13 oder 14 Jahre alt, genau wie die Jungs, die die Nachbarschaft hier in Angst versetzen sollen. „Wir kommen hier einfach nur zum chillen hin, Holweide ist langweilig. Und hier gibt es den besten Döner Kölns“, sagt sie. „Aber zwei, drei von den Jungs übertreiben einfach, rauchen Joints im Park, zünden Sachen an und spucken Leute an.“ Auch in der Schule sei bereits darüber gesprochen worden. „Seitdem haben wir nichts mehr mit denen zu tun“, versichert Melissa.
Ermittlungsgruppe „Lost“ kümmert sich um Jugendliche in Dellbrück
Im Veedel sind die Jugendlichen längst ein Politikum. Vor allem die CDU zeigt sich alarmiert. Die Bezirksfraktion in Mülheim hat die Verwaltung nach dem Ausmaß des Problems gefragt. Verwaltung und Polizei antworteten im Mai ausführlich: „In den Stadtteilen Holweide und Dellbrück kam es in den vergangenen Monaten zu zahlreichen gefährlichen Eingriffen in den Bahnverkehr, Sachbeschädigungsdelikten – insbesondere an Einrichtungen des öffentlichen Nahverkehrs und neuerdings auch durch Feuer. Die gefährlichen Eingriffe in den Bahnverkehr gestalteten sich regelmäßig in Form von Steinwürfen auf vorbeifahrende Straßenbahnen. In allen hier bekannten Sachverhalten ist es bislang zum Teil nur aufgrund glücklicher Umstände bei Sachschäden geblieben“, heißt es seitens der Polizeiinspektion Mülheim. Auch zu Körperverletzungen sei es vereinzelt gekommen. Von einer Bande will die Polizei nicht sprechen. Vielmehr handele es sich um eine lose Gruppierung von 30 bis 40 Mitläufern, die sich um vier „Haupträdelsführer“, gruppieren.

Ein Kletterturm auf einem Spielplatz in Dellbrück ist ausgebrannt.
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Um die Gruppe kümmert sich die Ermittlungsgruppe „Lost“ des Kriminalkommissariats 43, das zuständig für jugendliche und heranwachsende Intensivtäter ist. Polizeisprecher Carsten Rust bestätigt das auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und spricht neben vier Hauptakteuren auch von elf weiteren namentlich bekannten Tatverdächtigen im Alter von 12 bis 15 Jahren. Sie alle sollen in Dellbrück und Holweide wohnen. „Die Delikte werden mutmaßlich zumeist spontan und ungeplant aus der ‚Gruppengemeinschaft‘ heraus begangen, sodass wir nicht von einer ‚Bande‘ sprechen.“
Nach Erkenntnissen der Ermittler treffe sich die Gruppe zufällig an Hotspots in Holweide und Dellbrück und suche „Unterhaltung“. „Es werden selten mehr als drei oder vier Kinder/Jugendliche zusammen angetroffen“, so Rust. Man arbeite eng mit Streetworkern, dem Jugendamt und Schulen zusammen. Neben Präsenzmaßnahmen und Schwerpunkteinsätzen wie zuletzt am 12. Juni reagiert die Polizei unter anderem mit Gefährderansprachen „insbesondere bei den Mitläufern und in jedem Fall unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten“.
Doch die Jugendlichen und ihre Eltern sind offenbar schwer zu erreichen. Bei von der Polizei initiierten Elterngesprächen im April kamen sieben von elf eingeladenen Erziehungsberechtigten nicht zum Termin. „Hierbei handelte es sich hauptsächlich um die Erziehungsberechtigten der bekannten Haupträdelsführer“ heißt es in der Antwort der Polizeiinspektion Mülheim aus dem Mai.

Anwohner und CDU-Mitglieder Renate Schäfer, Stephan Krüger und Holger Kirchhoff schlagen Alarm.
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Holger Kirchhoff ist Ratskandidat der CDU für die Kommunalwahl im September. Er wohnt in der Nähe der Dellbrücker Hauptstraße. Auch ihm seien schon Feuerwerkskörper vor die Füße geworfen worden, sagt er. Bei einem Spaziergang mit seinem Hund über den Spielplatz auf der Romerscheider Straße, einem beliebten Treffpunkt der Jugendlichen, hat er vor zwei Monaten außerdem die Reste des erst vor einem Jahr neu geschaffenen Kletterturms gefunden. In der Nacht zuvor haben Jugendliche den Turm angezündet, vermutet er. „Immer wieder finden wir hier auch Müll und Reste von Bengalos und anderen Feuerwerkskörpern. Diese Zerstörungswut wollen wir nicht hinnehmen.“
Sein Parteikollege Michael Krüger zeigt sich erschüttert darüber, dass viele Eltern der Jugendlichen nicht auf Gesprächsangebote der Polizei reagieren. „Da reden wir im Endeffekt über die Verletzung der Aufsichtspflicht. Wir müssen die Eltern da zur Rechenschaft ziehen. Das muss der nächste Schritt sein.“
Wir haben schon viel über diese Jugendlichen gehört, aber gesehen haben wir sie hier noch nicht. Es ist sehr schwierig, an sie heranzukommen.
SPD-Ratsmitglied Elfi Scho-Antwerpes (SPD), die ebenfalls ihren Wahlkreis in Dellbrück hat, warnt davor, die Lage im Veedel zu dramatisieren. „Es ist richtig, frühzeitig auf solche Entwicklungen zu reagieren – und das tun Polizei und Ordnungsamt auch“, betont sie. Gleichzeitig mahnt sie zur Besonnenheit: „Wir befinden uns im Wahlkampf, und mit Begriffen wie ‚Jugendbanden‘ lassen sich schnell Ängste schüren. Das sollte man nicht tun.“ Statt über die Jugendlichen in Dellbrück zu reden, solle man besser mit ihnen ins Gespräch kommen. „Und darüber, wie wir das Übel an der Wurzel packen.“ Es gebe beispielsweise kaum geeignete Treffpunkte für Jugendliche in Dellbrück. „Das müssen wir ändern“, sagt Scho-Antwerpes.
„Einige haben heute einen Masterabschluss“
Einer der wenigen Treffpunkte für Jugendliche in Dellbrück ist das „Dell-Chill“, das 2018 von der Katholischen Jugendagentur ins Leben gerufen wurde. An vier Tagen pro Woche können Kinder und Jugendliche hier ihre Freizeit gemeinsam verbringen und Unterstützung von Streetworker erhalten, etwa für Bewerbungen. Geleitet wird das Angebot von Tolga Özdogan. „Wir haben schon viel über diese Jugendlichen gehört“, sagt er, „aber gesehen haben wir sie hier noch nicht. Es ist sehr schwierig, an sie heranzukommen.“ Gemeinsam mit der Stadt und der Polizei arbeite das Team daran, das zu ändern. „Unser Ziel ist es, den Jugendlichen eine Perspektive zu geben – etwas Ablenkung, Spaß, eine Alternative zum Herumhängen auf der Straße.“
Dass das funktionieren kann, zeige ein Blick in die Vergangenheit: Schon vor rund 15 Jahren war in Dellbrück viel von einer Jugendbande die Rede, die rund um den Marktplatz für Unruhe sorgte. Damals gelang es mit vereinten Kräften von Sozialarbeit, Streetwork, Anwohnern und Polizei, die Situation zu beruhigen. „Einige der Jugendlichen von damals haben heute einen Masterabschluss“, sagt Özdogan nicht ohne Stolz. Er hofft, dass sich die Geschichte wiederholt.