NRW-Check gibt AntwortenWovor sich die Menschen in NRW am meisten fürchten

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Hauptsächlich Sorgen bereitet den Menschen in NRW die gestiegenen Preise.

Köln – 100 Tage nach dem Antritt der schwarz-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bestimmt die Sorge der Menschen vor steigenden Preisen insbesondere für Energie die politische Stimmung im Land. Mehr als 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben den Eindruck, die Koalition in Düsseldorf tue nicht genug, um die Folgen der Preisentwicklung auf dem Energiesektor für die Bevölkerung abzufedern.

Dies ist ein Ergebnis des jüngsten „NRW-Checks“, einer Umfrageserie des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und weiterer 38 Tageszeitungen aus NRW.

Negative Bilanz für schwarz-grün

Die 100-Tage-Bilanz für die schwarz-grüne Koalition in Düsseldorf fällt aus Sicht der Bevölkerung eher negativ aus. 54 Prozent der Wahlberechtigten sind unzufrieden mit der bisherigen Arbeit der Landesregierung, nur 37 Prozent zufrieden. Damit schneidet Schwarz-Grün kaum besser ab als die Vorgänger-Regierung von CDU und FDP in ihrer Schlussphase. Kurz vor der Landtagswahl am 15. Mai hatten sich 41 Prozent zufrieden mit Schwarz-Gelb gezeigt, 54 Prozent unzufrieden.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

In der „Sonntagsfrage“ kann die Koalition aus CDU und Grünen ihre absolute Mehrheit derzeit klar behaupten. Würde der Landtag jetzt neu gewählt, käme die CDU auf 36 Prozent der Stimmen und läge damit gleichauf mit ihrem Wahlergebnis vom 15. Mai (35,7 Prozent). Die Grünen könnten von damals 18,2 Prozent auf jetzt 20 Prozent zulegen. Die SPD verlöre deutlich und würde nach 26,7 Prozent im Mai jetzt noch 21 Prozent erreichen. Die FDP bliebe mit 5 Prozent unter ihrem Wahlergebnis vom Mai (5,9 Prozent). Deutlich zulegen würde die AfD, die nach 5,4 Prozent jetzt 9 Prozent erhielte. Die Linke würde mit 3 Prozent wiederum an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs und seiner Folgen hat sich die Problemwahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens in den vergangenen Monaten stark verändert. Es dominieren die bereits spürbaren ökonomischen Belastungen und die Sorge vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Gesellschaft, aber auch für die Einzelnen.

Als größte Probleme des Landes nennen die Menschen im jüngsten „NRW-Check“ mit weitem Abstand Inflation und Preissteigerung (40 Prozent) sowie die Gefährdung der Energieversorgung (30 Prozent). 70 Prozent rechnen mit weiter steigenden Preisen. 58 Prozent verbinden damit die Befürchtung, dass ihr eigener Haushalt wegen der hohen Energiekosten in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnte. Besonders häufig äußern Befragte mit einem geringeren Haushaltsnettoeinkommen sowie die Anhänger der AfD die Sorge vor finanziellen Schwierigkeiten aufgrund der hohen Energiepreise.

Energiekrise löst Corona-Krise ab

Im „NRW-Check“ vor einem halben Jahr hatte sich das Bild noch anders dargestellt. Gefahren für die Energieversorgung sahen damals nur 4 Prozent der Bevölkerung. Zwar lag auch im April die Sorge vor Inflation und Preissteigerung mit 22 Prozent an der Spitze der genannten Probleme, allerdings gleichauf mit der Pandemie und ihren Folgen.

Die wirtschaftliche Lage generell wird heute von 12 Prozent der NRW-Bevölkerung als eines der drängendsten Probleme beurteilt. Hier hat sich unter der schwarz-grünen Regierung im Vergleich zum April (14 Prozent) wenig geändert, als das Land noch von einer Koalition aus CDU und FDP regiert wurde.

Die Corona-Krise scheint demgegenüber im Halbjahresvergleich fast vollständig aus dem Gesichtsfeld der Menschen geraten zu sein. Nur noch 9 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten die Pandemie derzeit für eines der größten Probleme des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.

Allerdings sieht eine Mehrheit der Menschen in NRW das Land unzureichend auf eine etwaige weitere Corona-Welle im Herbst und Winter vorbereitet. So sagen 51 Prozent der Befragten, die Landesregierung habe nicht ausreichend Vorkehrungen getroffen, um bei einer neuen Corona-Welle einen normalen Schulbetrieb bei gleichzeitigem Schutz der Schüler zu ermöglichen.

NRW-Check

Für den NRW-Check befragte Forsa vom 21. bis 26. September 1511 Wahlberechtigte aus NRW. Die Ergebnisse sind repräsentativ und bei einer Fehlertoleranz von plus/minus 2,5 Prozentpunkten auf alle Wahlberechtigten in NRW übertragbar.   Auftraggeber sind der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und 38 weitere Zeitungstitel aus NRW mit einer täglichen gedruckten Auflage von rund zwei Millionen Exemplaren und einer durchschnittlichen wöchentlichen Gesamtreichweite in gedruckten wie digitalen Angeboten von rund 9,8 Mio.  Lesern.  (jf)

Nur 29 Prozent sehen das Land in diesem Punkt gut vorbereitet. 20 Prozent trauen sich keine Einschätzung in dieser Frage zu, die in der Verantwortung von Schulministerin Dorothee Feller (CDU) liegt. Besonders groß ist die Skepsis bei den Anhängern der oppositionellen SPD (64 Prozent)), aber auch der mitregierenden Grünen (55 Prozent).

Ukraine-Krieg selbst belastet Menschen in NRW kaum

Auch der Ukraine-Krieg als Auslöser der Krise insbesondere auf dem Energie-Sektor wird von den Menschen zurzeit kaum als ein Problem wahrgenommen, von dem NRW in besonderer Weise betroffen wäre. Nur 8 Prozent siedeln Putins Angriffskrieg hier ganz vorn an. Im April waren es 14 Prozent.

Die Einschätzungen zu den aktuell wichtigsten Problemen im Land NRW fallen in allen politischen Lagern weitgehend ähnlich aus. Ausschläge gibt es aber beim Klima- und Umweltschutz, der wie in allen früheren Wellen der Umfrageserie überdurchschnittlich häufig von den Anhängern der Grünen (35 Prozent) als großes Problem genannt wird. In der Gesamtbevölkerung sind es 15 Prozent, bei den Anhängern von CDU und FDP nur noch 8 Prozent und nur ganze 4 Prozent in der AfD-Klientel. Diese nennt dafür häufiger (30 Prozent) als der Querschnitt der Bevölkerung (13 Prozent) die Zuwanderung als großes Problem und bekunden vermehrt (26 Prozent im Vergleich zu 6 Prozent insgesamt) generellen Unmut über die Politik und die Politiker.

Beurteilung der Landesregierung

Ähnlich verhalten wie die 100-Tage-Bilanz für die schwarz-grüne Landesregierung fallen im jüngsten „NRW-Check“ auch die Erwartungen der Menschen in Nordrhein-Westfalen für den weiteren Verlauf der Legislaturperiode aus. Lediglich 23 Prozent glauben, dass die neue Landesregierung das Land besser regieren werde als die Vorgänger-Koalition aus CDU und FDP. 28 Prozent erwarten sogar eine schlechtere Regierungsarbeit als bisher. Diese Gruppe speist sich erwartungsgemäß vor allem aus dem Lager der Oppositionsparteien. Besonders negativ (86 Prozent) fällt das Votum der AfD-Anhänger aus. Auch die FDP-Anhänger erwarten zu 51 Prozent eine schlechtere Arbeit der Regierung als in den vergangenen vier Jahren, in denen ihre Partei Teil der Koalition war.

Unter den Anhängern der SPD – vor und nach der Landtagswahl Oppositionspartei – herrscht zu 60 Prozent die Ansicht vor, das Land werde künftig ähnlich gut beziehungsweise schlecht regiert werden wie bisher. 17 Prozent der sozialdemokratischen Klientel erwarten eine Verbesserung, 18 Prozent eine Verschlechterung.

Bemerkenswert ist, dass das neutrale Urteil auch in der CDU-Anhängerschaft den stärksten Rückhalt findet: Fast die Hälfte (47 Prozent) erwartet keine nennenswerte Veränderung. Immerhin 33 Prozent gehen davon aus, dass es mit den Grünen als Partnern der eigenen Partei in der Regierung erfolgreicher wird als mit den Liberalen, 18 Prozent rechnen mit dem Gegenteil. Dass die neue Landesregierung das Land besser regieren wird als die schwarz-gelbe Koalition, glauben überwiegend nur die Anhänger der Grünen, hier allerdings mit einer beachtlichen Zweidrittelmehrheit (64 Prozent).

CDU-Anhänger sind mit Wüst zufrieden, Grüne noch skeptisch

Die Arbeit der Landesregierung insgesamt beurteilen von den CDU-Anhängern 79 Prozent als zufriedenstellend, aber nur 47 Prozent der Grünen-Klientel. Darin spiegelt sich, dass die Anhänger der beiden Koalitionspartner 100 Tage nach der Regierungsbildung noch mehr trennende Elemente als Gemeinsamkeiten erkennen. So fällt auch die Zufriedenheit mit der Arbeit von Ministerpräsident Wüst unter den Anhängern der CDU deutlich größer (88 Prozent) aus als in der Anhängerschaft des grünen Koalitionspartners (46 Prozent).

Im Falle einer Direktwahl des Regierungschefs könnte Hendrik Wüst derzeit mit 31 Prozent der Stimmen rechnen – immerhin mehr als doppelt so viele wie der im Mai unterlegene Oppositionsführer Thomas Kutschaty von der SPD (14 Prozent). 10 Prozent der Wahlberechtigten würden sich für Neubaur entscheiden, 45 Prozent jedoch für keinen der drei Genannten. Der Rückhalt für Wüst bei den eigenen Anhängern ist mit 89 Prozent deutlich größer als der für Kutschaty bei der SPD-Klientel (55 Prozent) und der für Neubaur bei den Anhängern der Grünen (45 Prozent).

Grüne für Senkung des Wahlalters, CDU-Anhänger dagegen

Divergenzen in Mentalität und politischen Vorstellungen schlagen sich exemplarisch in der Haltung zu bestimmten „Leuchtturm-Projekten“ nieder. Der aktuelle „NRW-Check“ fragte nach der geplanten Senkung des Wahlalters in Landtagswahlen von 18 auf 16 Jahre. Während in der Gesamtbevölkerung die Haltungen Pro (40 Prozent) und Contra (55 Prozent) noch relativ nah beieinander liegen, klaffen sie in der Klientel von CDU und Grünen stark auseinander – und zwar mit entgegensetzten Gewichtsverhältnissen.

69 Prozent der Grünen-Anhänger befürworten die von ihrer Partei vorangetriebene Senkung des Wahlalters. Nur 27 Prozent halten sie nicht für richtig. Fast exakt umgekehrt (27:70 Prozent) sieht es die CDU-Anhängerschaft. Diese Quote der Ablehnung wird nur übertroffen von den AfD-Anhängern. Sie lehnen zu 81 Prozent den Plan ab, dass Jugendliche schon ab 16 den Landtag mitwählen dürfen.

Politische Mitte

In Umfragen zählen viele Bürgerinnen und Bürger sich selbst zur gesellschaftlichen und politischen Mitte. Aber welche politische Kraft vertritt aus Sicht der Bevölkerung am ehesten deren Interessen? In der Wahrnehmung der NRW-Bevölkerung liegen CDU und SPD, einst als „Volksparteien“ apostrophiert, hier fast gleichauf: 21 Prozent sehen am ehesten die CDU als Interessenvertreterin der Mitte, 19 Prozent die SPD. Die Grünen, heute gelegentlich als neue Volkspartei beschrieben, kommt an diese Werte bei Weitem nicht heran: 10 Prozent der Menschen in NRW sehen die Grünen als stärkste Interessenvertretung für die gesellschaftliche Mitte. 5 Prozent sagen das von der FDP. Dagegen findet mehr als ein Drittel (35 Prozent) der Bevölkerung in NRW, dass keine Partei im Land die Interessen derjenigen vertrete, die sich zur politischen und gesellschaftlichen Mitte zählen. Wenn die oft gehörte Auskunft von Parteistrategen stimmt, wonach „Wahlen in der Mitte gewonnen werden“, liegt in NRW eine große politische Brache, die von den Parteien zu bearbeiten wäre.

Wie bedeutsam die Positionierung als politische Kraft der Mitte ist, zeigt sich daran, wie intensiv die Anhänger der Parteien diese Beschreibung für die jeweils ihre reklamieren: Zu drei Vierteln (73 Prozent) sagen Unionsanhänger, dass die Belange der Mitte am besten bei der CDU aufgehoben seien. Alle anderen Parteien rangieren unter „ferner liefen“ – eingeschlossen die FDP, die traditionell einem gemeinsamen „bürgerlichen Lager“ zugerechnet wird. Fast exakt spiegelverkehrt erscheint das Bild für die SPD-Klientel: Sie sagt zu 71 Prozent, ihre Partei sie „die“ Sachwalterin der Mitte.

Sehr aufschlussreich ist die Auskunft der AfD-Anhänger: Sie schreiben weder CDU oder SPD noch den Grünen oder den Liberalen die Spitzenposition in der Wahrnehmung von Belangen der Mitte zu, sondern zu 71 Prozent „einer anderen Partei“ – nach dem Fragesetting von Forsa im „NRW-Check“ kann dies nur die eigene Partei, also die AfD, sein. Auf die anderen Parteien entfallen nur niedrige einstellige Werte. Für die CDU sind es 5 Prozent, für FDP 3 Prozent und für die SPD nur mehr 1 Prozent. Die Grünen fallen als Interessenvertreterin der Mitte für die AfD-Klientel komplett aus.

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Aus diesen Angaben lässt sich schließen, dass sich die AfD-Anhänger in ihrer weit überwiegenden Mehrheit selbst zur politischen und gesellschaftlichen Mitte zählen – und sich damit einer externen Zuweisung nach Rechts oder gar Rechtsaußen widersetzen. Anders könnte die Haltung des verbleibenden Fünftels (21 Prozent) der AfD-Anhänger sein, die überhaupt keine Partei – auch nicht die von ihnen favorisierte – als führende Sachwalterin für die Interessen der Mitte ansehen. Hier liegt die Annahme nahe, dass sie dies für sich auch gar nicht als vordringliche Aufgabe ihrer Partei einschätzen.

Grüne und FDP reklamieren politische Mitte weniger stark für sich

Eine breitere Streuung weist die Einstellung von Anhängern der Grünen und der FDP auf. Nur eine knappe absolute Mehrheit (52 Prozent) der FDP-Klientel sieht die eigene Partei als stärkste Vertreterin für die Interessen der Mitte. Immerhin 14 Prozent geben hier der CDU den Vorrang, 9 Prozent der SPD.

Bei den Grünen reicht es in Sachen „Mitte“ für die eigene Partei nur mehr für eine relative Mehrheit von 47 Prozent. Auf 30 Prozent kommt hier die SPD. Die CDU hingegen fällt als Sachwalterin der Mitte für die Grünen-Anhänger weitgehend aus. Nur 7 Prozent von ihnen sehen die Union in der Spitzenposition.

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