Schwerstarbeit für 100 000 Schläge am Tag

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So lange das Herz einwandfrei funktioniert, machen sich die wenigsten Menschen Gedanken darüber, was dieser faustgroße Muskel und Schwerstarbeiter im Körper stündlich und lebenslänglich zu leisten hat. Das menschliche Herz schlägt etwa 100 000 Mal pro Tag – Pausen zutiefst unerwünscht, weil lebensbedrohlich – und pumpt pro Minute rund fünf Liter Blut durch den Körper. Nur dank dieses Non-Stop-Einsatzes des Herzens und dank der raffinierten Konstruktion mit Herzkammern, Herzklappen und einem verzweigten System aus Venen und Arterien werden alle Organe des Körpers mit Sauerstoff versorgt. Mit dem wundervollen Ergebnis: Der Mensch lebt und es geht ihm gut, wenn es dem Herzen gut geht. Dass es dem Herzen auf jeden Fall gut gehen muss und soll, fällt den meisten leider immer erst dann ein, wenn Beschwerden und Krankheiten den Fokus darauf richten, dass wir auf diesen Lebensmotor abgewiesen sind.

Prof. Dr. Stephan Baldus, Kardiologe, Direktor an der Klinik III für Innere Medizin am Herzzentrum der Uniklinik Köln und der für die Amtszeit 2021 bis 2023 gewählte Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e. V., hat Ratschläge zur Hand, die „herzensgut“ sind, weil sie den Menschen davor schützen können, ernsthaft zu erkranken, denn: „Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen mit zunehmendem Alter stark zu.“

Das Fazit daraus zieht Baldus und rät eindringlich: „Man kann gar nicht früh genug damit anfangen alles zu tun, was das Herz gesund erhält. Wer bereits in jungen Jahren oder der Lebensmitte übergewichtig ist, riskiert so starke Veränderungen im Zucker- und Fettstoffwechsel, leidet leichter an erhöhtem Cholesterin und damit verbunden leichter an Arteriosklerose, der Erkrankung, die für Herzinfarkt und Schlaganfall verantwortlich ist. Wenn das bereits eingetreten ist, wird es schwierig, mit einer Lebensstiländerung die Entgleisungen im Organismus zu mindern oder gar auszumerzen.“ Früh genug anzufangen heißt aber, so Stephan Baldus, dass „man Zeit investieren muss in einer Zeit, in der man sich gesund fühlt und keine Einschränkungen verspürt. Das erfordert eine Menge Disziplin und man muss Prioritäten setzen in seinem Tagesablauf.“

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Wie schwer das ist, weiß der Herzspezialist aufgrund seiner alltäglichen Klinikerfahrung: „Ich kann gut verstehen, dass beruflich angespannte Menschen die Gesundheit hinten an stellen. Aber das rächt sich. Die Basis gesund zu bleiben, muss man leider in jungen Jahren legen, in denen man eingespannt ist im Beruf und der Familie. Das muss den Menschen noch viel deutlicher klargemacht werden – auch von uns Ärzten.“

Laut einer Studie im Fachjournal „Lancet“ lässt bereits körperliches Training von 15 Minuten pro Tag das Herzinfarkt-Risiko um 20 Prozent sinken. Seine Patienten, so Baldus, wüssten schon um die Bedeutung gesunder Ernährung, genügend Bewegung und des Verzichts auf Gifte wie Nikotin, „aber das alles im Alltag umzusetzen ist nun mal nicht leicht.“ Auch Stephan Baldus muss den Kampf zwischen dem Klinikalltag und anderen beruflichen Verpflichtungen sowie dem eigenen Anspruch auf gesunde Lebensführung tagtäglich ausfechten. „Seit Jahrzehnten laufe ich, wann immer ich dazu Zeit habe. Das ist die einfachste Methode, sich zu bewegen: Laufschuhe anziehen und los geht es.“ Nicht nur den bereits Erkrankten, sondern auch allen anderen rät der Experte, sich zumindest einen Heimtrainer in die Wohnung zu stellen und darauf täglich, das heißt sieben Mal die Woche, 20 bis 30 Minuten zu trainieren. Die Erfahrung derjenigen, die diesem Rat folgen, ist erstaunlich: „Patienten, die das machen, kommen nach einem halben Jahr begeistert zu uns und staunen über die positiven Effekte.“

Nun könnte man trotz allem zu der Erkenntnis kommen, dass auch derjenige, der gesund und bewegt lebt, irgendwann sowieso Probleme mit dem Herzen bekommt, weil das Alter seinen Tribut fordert – trotz guter Lebensführung. Baldus: „Nein, absolut nicht. Ich kann zwar als dickleibiger Mensch, der sich kaum bewegt hat, auch 80 werden, aber meist mit deutlich mehr und schwereren Problemen als ein Normalgewichtiger. Natürlich ist nicht jeder über 80 Herz-Kreislauf-erkrankt, aber jeder vierte über 80 hat Bluthochdruck, und jeder fünfte über 80 hat Herzrhythmusstörungen.“

Um das Herz-Kreislauf-System lange gesund zu erhalten ist das A und O Bewegung, Gewicht halten und auf Nikotin verzichten. „Wir wissen, dass Nikotin leider extrem effektiv ist, die Lebenserwartung zu reduzieren , indem Nikotin die Entstehung von Herzkranzgefäß- und Krebserkrankungen begünstigt. Aber, und das haben wir vielleicht bisher unterschätzt und deshalb betone ich es ausdrücklich: Zuviel Sitzen auf dem Sofa ist ein ebenso gefährliches Gift.“ Unumstößlich ist, dass rund 50 bis 60 Prozent aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf den klassischen Risiken und der daraus entstehenden Arteriosklerose basieren. Es gibt aber auch erstaunliche 40 Prozent der Patienten, bei denen sich die klassischen Risikofaktoren bei einer Herzkranzgefäßerkrankung oder gar eines Herzinfarktes nicht finden. Prof. Baldus: „Das können wir bisher nur in Teilen erklären. Wir müssen mit Blick auf diese Patienten mehr tun, als nur an die klassischen Risiken zu denken. Die Patienten, die beispielsweise eine genetische Disposition haben, riskieren bereits mit 50 einen Herzinfarkt, und zwar ohne dass der Fettstoffwechsel gestört sein muss oder andere bekannte Risikofaktoren vorliegen. Vorbeugend kann man für diese Patienten bisher nichts tun, weil man die genauen Ursachen noch nicht genügend verstanden hat. Entzündungsreaktionen scheinen eine wichtige Rolle zu spielen, leider fehlt uns hier noch das diese Mechanismen attackierende Medikament.“

Um mehr zu wissen, besser zu reagieren, zu therapieren und vorbeugend handeln zu können, bedarf es intensiver Forschung. Baldus sieht auf dem Gebiet großen Nachholbedarf. „Wir brauchen ein bundesweites Forschungsprogramm gegen den Herztod. In der Herzmedizin führen viele unterschiedliche Ursachen - vom klassischen Risikofaktor Cholesterin bis zum Gendefekt – zu lebensbedrohlichen Erkrankungen, und unser Verständnis hierzu ist immer noch unbefriedigend gering.“ Die Gelder, die beispielsweise vom Max-Planck-Institut und der Helmholtz-Gesellschaft für Forschung in die Herz-Kreislauf-Medizin fließen, reichen bei weitem nicht aus. Stephan Baldus: „Wir müssen die Politik sensibilisieren. Ebenso wie die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen wurde mit dem Ziel starke Krebsforschung, schneller Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis, verbesserte Prävention und Früherkennung, genauso muss das Bundesforschungsministerium Kräfte und Mittel bündeln im Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und deren lebensbedrohlichen Folgen.“

Eine höhere Forschungsintensität und die daraus erhofften Ergebnisse könnten deutlich mehr zielgerichtete Therapien möglich machen, die auch exakter auf die geschlechtsspezifischen Krankheitsbilder bei Männern und Frauen zugeschnitten werden könnten – zum Beispiel bei der Cholesterinsenkung. Baldus: „Nicht jeder Patient muss die gleichen Cholesterinziele erreichen, die Zielwerte sollten in Zukunft den Schweregrad der Erkrankung reflektieren. Aber hier müssen wir lernen, die stabile von der instabilen, zum Infarkt oder Schlaganfall führende Erkrankung zu unterscheiden. Ebenso beim Blutdruck. Nicht jeder muss einen Blutdruck von 120/80 oder 140/90 aufweisen, sondern die Messgrößen müssen dem jeweiligen Risiko des Einzelnen angepasst werden. Wenn wir beispielsweise einen Patienten mit Nierenfunktionsstörung und Eiweißausscheidungen betreuen, sollte der Blutdruck deutlich niedriger eingestellt sein, während ältere Menschen über 80 Jahre nicht zwingend unter 140/90 justiert werden müssen.“

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ZUR PERSON

Prof. Dr. Stephan Baldus ist Direktor der Klinik III für Innere Medizin am Herzzentrum der Uniklinik Köln. Der Kardiologe ist unter anderem Spezialist für die kathetergestützte Herzklappen-Therapie. Stephan Baldus, Jahrgang 1969, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Stephan Baldus, Kardiologe

Stephan Baldus, Herz-Spezialist

Ein Belastungs-EKG wird häufig eingesetzt, um Herz-Probleme zu diagnostizieren. Foto: Getty Images

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