Kölner Studierende vor Semesterstart„Saßen mit Ikea-Decken und Tee im Block-Seminar“

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Jonas Niederschlag und Alexandra Hurajt kennen sich seit der Schulzeit, jetzt wohnen beide in Köln und studieren.

Köln – Ein Studium ist für Außenstehende immer noch mit Klischees behaftet und scheint danach vor allem eins zu sein: Feiern, viel Zeit haben, Freunde treffen, Selbstfindung und ab und zu etwas Neues lernen. Eine Zeit, auf die sich unter anderem die rund 4800 Erstsemester der Uni Köln und die 4200 der TH Köln wahrscheinlich lange gefreut haben – aber auch alle anderen 63.5000 Studentinnen und Studenten der beiden Unis, die sich für das Wintersemester, das am Montag startet, zurückgemeldet haben.

Doch wenn sie die Gefühlslage beschreiben, mit der sie derzeit in die Zukunft blicken, fällt den beiden Kölner Studierenden der Psychologie, Zoe Schumacher und Marco Karch (beide Namen geändert), spontan nur das Wort „ängstlich“ ein. Angst ist es, die der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise auslösen, aber auch steigende Lebenshaltungskosten aufgrund der Inflation und die drohende Klimakatastrophe sorgen für düstere Aussichten – auch, weil die Auswirkungen vielfach schon jetzt zu spüren sind, ganz konkret und materiell.

Kölner Studierende sparen bei den Lebensmitteln

Noch vor ein paar Wochen, sagt die 27-jährige Zoe Schumacher, hätten sie mehr frische Lebensmittel für den täglichen Bedarf gekauft. Die sind ihnen mittlerweile zu teuer, jetzt stehen öfter Nudeln mit veganer Sauce auf dem Speiseplan. Das Studenten-Paar ist kein Einzelfall. Statt abends auszugehen, setzt sich die 23-jährige Alexandra Hurajt jeden Samstagabend mit ihrer Mitbewohnerin zusammen und blättert Werbeprospekte nach Angeboten durch.

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Sparen muss und will die Kölnerin, die im Master Business Management studiert, seit Anfang Oktober jeden Cent, denn ihr Vermieter hat die Heizkosten um 100 Prozent erhöht, statt 90 Euro zahle sie jetzt jeden Monat 180. Ihre einzige Lösung sei es derzeit, mehr zu arbeiten. Mit der Aufstockung ihrer Stunden bei ihrem Nebenjob habe sie am Ende des Monats 100 Euro mehr als beim Bafög-Höchstsatz, den sie bekommen würde, sagt sie. Dafür hat sie auch viel weniger Freizeit und weniger Zeit für das Studium.

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Jonas Niederschlag studiert Sozialwissenschaften an der Uni Köln.

Ein Lebensabschnitt, der vor fünf Jahren, als Hurajt mit dem Bachelor begonnen hat, noch Spaß gemacht hat, sagt sie. Heute habe sie Mitleid mit den Studierenden, die jetzt oder während Corona angefangen haben. So wie Jonas Niederschlag, der im Oktober 2020 mit seinem Studium in Köln gestartet ist, ohne Orientierungswoche, ohne Flunky Ball, ohne Ersti-Partys. Statt über Corona redet man in seiner WG heute über andere Probleme: „Wir haben das erste Mal darüber gesprochen, dass wir in der Wohnung weniger heizen wollen“, sagt der 24-Jährige, der an der Uni Köln Sozialwissenschaften studiert.

Nach einem fast normalen Sommersemester hoffte er auf ein weiteres normales Wintersemester. Die 23-jährige Inken Fischer allerdings glaubt, dass die steigenden Preise eine Rückkehr ins normale Studentenleben weiter schwierig machen. „Dieses Semester denken viele Studierende vermehrt darüber nach, ob man die typischen Studenten-Aktivitäten in der Freizeit wirklich machen muss“, sagt sie. Feiern gehen und Kulturveranstaltungen kosteten zu viel Geld.

Heizkostenzuschlag für Studierende reicht nicht aus

Was für viele Nicht-Studierende erst einmal nicht nach großen Einschränkungen klingt, ist für Studierende aber eine wichtige Zeit, die verloren geht. Eine Zeit, in der man sich selbst besser kennenlernt, aber auch als Mensch innerhalb der Gesellschaft. „Das birgt die Gefahr, dass sich Studierende wieder isolierter fühlen“, sagt Inken Fischer. Zudem denke sie auch über drastischere Sparmaßnahmen nach, wie zum Beispiel bei der kostenpflichtigen Gesundheitsvorsorge: „Es ist natürlich wichtig, dort Prioritäten zu setzen, aber bei vielen ist das Geld nicht mehr drin.“

Finanzielle Unterstützung sollen die Studierenden in Form eines Heizkostenzuschlags von der Politik bekommen, bislang wurden aber nur 230 Euro an Bafög-Empfänger ausgezahlt, und selbst das „reicht ja auch nur für zweieinhalb Monate“, sagt Alexandra Hurajt. Marco Karch hat allerdings nicht den Eindruck, dass die Politik die Studierenden allein lässt – auch wenn die Unterstützung effektiver ausfallen könnte.

19 Grad in Hörsälen ist besser als schließen

Dass die Unis angekündigt haben, 20 Prozent Energiekosten zu sparen und die Temperatur in Hörsälen und Seminarräumen auf 19 Grad einzupegeln, finden die Studierenden nur zum Teil in Ordnung – aber: „Besser als schließen!“, sagen Marco Karch und Zoe Schumacher. Dennoch bereiten sich viele Dozierende an der Uni Köln auch in diesem Semester wieder auf die Möglichkeit zur Online-Lehre vor, die TH Köln hat eine Taskforce eingerichtet.

Den Präsenzbetrieb der Unis wieder lahmlegen, das wollen auch die Wissenschaftsministerin von NRW, Ina Brandes (CDU), und die Vertreter der Rektorenkonferenzen nicht. „Wir wollen der Präsenz in Lehre und Forschung absoluten Vorrang geben: Studierende und Dozierende müssen die Chance erhalten, sich zu begegnen, zu diskutieren, und nicht zuletzt geht es um das soziale Leben“, sagte Brandes im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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Die Heizkosten von Studentin Alexandra Hurajt sind um 100 Prozent gestiegen.

Man habe in den vergangenen Semestern unter dem Eindruck von Corona und Distanzunterricht die Erfahrung gemacht, dass zahlreiche Studierende regelrecht verloren gingen, so Bernd Kriegesmann, Präsident der Hochschule Gelsenkirchen und Sprecher der Rektoren für Angewandte Wissenschaften. Dies sei unter anderem an den Prüfungsanmeldungen abzulesen. Betroffen sind davon vor allem Studierende, die schlecht mit dem Lernen allein zu Hause zurechtkommen.

Für Alexandra Hurajt sind sowohl kältere Räume als auch die Online-Lehre nicht optimal. „Während Corona habe ich gemerkt, dass die Leistung sinkt.“ Bei 19 Grad im Hörsaal zu sitzen, sei aber auch keine Lösung: „Ich hatte vergangenen Woche schon ein Block-Seminar, wir saßen dort mit Ikea-Decken und Tee, es war scheißkalt“, sagt die 23-Jährige. Mit beiden Optionen fühle sie sich von den Unis in Stich gelassen, denn „die Bildung sollte im Fokus stehen“, und die sei schon seit der Corona-Pandemie stark beeinträchtigt.

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Einen Hoffnungsschimmer könnte es vonseiten der Politik geben: Die Grünen sind seit diesem Sommer Koalitionspartner der CDU in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Deren wissenschaftspolitische Sprecherin Julia Eisentraut versichert, dass die Regierungsparteien zumindest die Studierendenwerke finanziell stützen würden. Im Koalitionsvertrag hätten CDU und Grüne zudem vereinbart, eine Studienstarthilfe für Studierende aufzulegen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. 


Zur Serie „Junges Köln“

Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.

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