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25 Jahre DomschatzkammerViel Gold und ein makabrer Heiligenkult

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Goldene Stele an der Domschatzkammer

Die Domschatzkammer am Kölner Dom

Am 21. Oktober feiert die Kölner Domschatzkammer ihr 25-jähriges Bestehen. Aber warum wurde der Dom überhaupt zur Schatzkiste?

Etwas versteckt an der dem Hauptbahnhof zugewandten Nordseite des Doms liegt der Eingang der vor 25 Jahren 2000 eingeweihten Domschatzkammer. Eine goldene Stele weist den Weg in das schwarze Quadrat, das die Besucher in den Untergrund des Domes leitet. Steigt man an alten Fundamenten und Stadtmauerresten entlang in die Tiefen der Domschatzkammer hinab, merkt man bald, dass diese im Grunde drei Museen in einem ist. Sie zeigt den Kölner Kirchenschatz, erzählt ein bedeutendes Stück Stadtgeschichte und führt bis in die Gegenwart die hohe Kunst der Kölner Handwerksgilden vor. Goldschmiede, Schneider, Maler, Bildhauer - sie alle sollten Dinge schaffen, die so überirdisch schön sind, dass sie den Gläubigen eine Ahnung des Paradieses geben.

Jedes Jahr besuchen rund sechs Millionen Menschen den Kölner Dom - etwa 100.000 davon finden den Weg zur Domschatzkammer. Sollten die übrigen glauben, sie hätten mit dem im Chorraum gezeigten Dreikönigsschrein schon alles gesehen, irren sie sich gewaltig. Unter der Erde, in der Domschatzkammer, leuchtet das Gold noch mal so schön, wobei eines der dortigen Hauptwerke, der hölzerne Petrusstab, mit seinen Metallbeschlägen eher ein Zeugnis für christliche Bescheidenheit ist. 

Selbst aus zu Bechern umgewidmeten Schädeln wurde Heilwasser gereicht

Wenn die Kölner Domschatzkammer am 21. Oktober ihr 25-jähriges Bestehen feiert, glänzen die goldenen Stäbe, Monstranzen und Ornate wieder um die Wette, wie um zu überstrahlen, dass sie über Jahrhunderte hinweg nur zweite Wahl waren. Das größte Kapital der christlichen Kirche stellte etwas anderes dar: der „kostbare Staub“ der Reliquien. Die sterblichen Überreste der Heiligen versprachen den Gläubigen pragmatische Soforthilfe in Krankheit oder Not, im Gegensatz etwa zu den langfristigen Verheißungen des Sakraments, und wurden in kostbaren Schreinen und Reliquiaren aufbewahrt. Auch diese zeigt die Domschatzkammer, schon weil der gotische Dom über ihr als Schrein für den Dreikönigsschrein errichtet wurde. Aber man lässt sich gerne vom Gold blenden. Wer oder was in den Reliquiaren liegt, möchte man gar nicht mehr so genau wissen.

Heute wirkt der christliche Kult um heilige Knochen etwas makaber, zumal der praktischen Fantasie der Gläubigen im Mittelalter keine Grenzen gesetzt zu sein schienen; selbst aus zu Bechern umgewidmeten Schädeln wurde Heilwasser gereicht. Allerdings war die Reliquienverehrung keine Verirrung der Kirchenlehre und auch keine Erfindung des Mittelalters. Sie entstand bereits in der Frühzeit des Christentums und verlieh einer städtisch geprägten, mit hohen moralischen Ansprüchen gespickten Buchreligion eine für den Massenerfolg nötige Bodenständigkeit.

Alle primitiven Religionen stillen einen Bedarf danach, direkten Einfluss auf „unerklärliche“, aber lebensbestimmende Phänomene wie das Wetter oder Krankheiten zu nehmen. In dieser Hinsicht bot die Kirche neben Segnungen und Teufelsaustreibungen vor allem die wundertätigen Gebeine ihrer Heiligen, deren stetig wachsende Zahl eine weit verästelte Aufgabenverteilung ermöglichte. Im Mittelalter gab es kein noch so kleines Leiden, für das nicht ein Himmelsbewohner zuständig war.

Für die Gläubigen waren die Heiligen eine Brücke zu Christus

Für die Gläubigen waren die Heiligen eine Brücke zum unerreichbar scheinenden Christus, und zugleich verbürgten sie durch ihre Knochen das unmittelbare Wirken himmlischer Mächte auf der Erde. Allerdings genügte es der Kirche nicht, die Wundertätigkeit der Reliquien mit den biblischen Wundern und der Allmacht Gottes zu begründen. Sie wollte auch erklären, warum die sterblichen Überreste eines Menschen heilig sein können, obwohl diese verwesen und scheinbar nicht ins Himmelreich mitgenommen werden können.

Der Apostel Paulus hatte noch angenommen, der sterbliche Leib bleibe nach dem Tod auf der Erde und werde von Gott durch einen mindestens gleichwertigen Auferstehungsleib ersetzt; dass die Seele nackt zum Himmel fahre, mochte er sich nicht vorstellen. Augustinus widersprach ihm und betonte, Leib und Seele seien eins, und deswegen lasse der Herr kein Haar auf dem Haupt eines Auferstehenden verkommen. Im sechsten Jahrhundert schloss Papst Gregor der Große daraus: Wenn Leib und Seele eins sind und der Heilige im Himmel lebendig ist, müssen auch seine sterblichen Überreste auf der Erde lebendig sein.

Solche Herleitungen aus der Bibel machen heute nicht mehr viel her, zeigen aber das Bedürfnis, religiöse Praktiken auf den (wenn auch schwankenden) Boden der Vernunft zu stellen. Bald ergaben sich für die Kirche aber ohnehin vor allem Fragen dazu, wie man den Reliquienkult organisiert und gegenüber der Volksfrömmigkeit die Deutungshoheit behält. In der Adelskirche wurden die Heiligen zu Mitgliedern einer himmlischen Aristokratie erhoben, die man in Goldkisten verwahrte und in irdische Kostbarkeiten hüllte. Verketzerte Bewegungen wie die Hussiten lehnten dagegen die Wunderhilfe der Heiligen ab, weil sie das Bemühen um ein gottgefälliges Leben schwäche – angesichts der zahlreichen Wallfahrten zum Sündenerlass kein allzu weit hergeholtes Argument. Köln sehen und frei von Sünde sterben, ließe sich die touristische Idee dahinter zusammenfassen.

Ein derart pragmatischer Umgang mit Reliquien war keine Seltenheit, wurde in Köln aber in besonderem Maße gepflegt. Das Angebot an Heilmitteln folgte der Nachfrage, und letztere war in den unsicheren Lebensverhältnissen des Mittelalters kaum zu stillen. Als die Kirche die Flut von Heiligen einzudämmen begann, indem sie die Kandidaten einer strengen Prüfung unterzog, wurden eben die bereits kanonisierten mit Berührungsreliquien weiter ausgeschlachtet – Objekte, mit denen die Himmlischen zu Lebzeiten in Berührung gekommen waren.

Als besonders dankbar erwies sich dabei die biblische Passionsgeschichte mit ihren zahllosen Requisiten, die den Gläubigen erlaubten, so Bernhard von Clairvaux, alles Bittere des Lebens Christi auszukosten. Sie reichten von den verschiedenen Marterwerkzeugen und den Nägeln am Kreuz bis zu den Judaslippen und dem zum Verrat Petri krähenden Hahn. In Kölner Kirchen fand sich darüber hinaus ein ganzes Sortiment biblischer Andenken: Teile von Krippe und Heu, ein Milchzahn des Jesuskinds, eine Quaste seines Gewands, Brocken vom Stein, mit dem der Teufel Jesus verführen wollte, Brotkrumen von der Speisung der Fünftausend – und natürlich die Gebeine der Heiligen Drei Könige.

Ohne Brotkrumen kein goldener Strahlenkranz und umgekehrt, so ließe sich die Geschichte des Christentums und der vielen Domschätze zusammenfassen. Auch in der Kölner Schatzkammer setzt man allerdings weniger auf die Armut der Kirche und stellt vor allem deren in Jahrhunderten angehäuften Reichtum aus.


Domschatzkammer, Köln, Mo.-So. 11-18 Uhr, Eintritt am 21. Oktober frei. Ansonsten: 8 Euro/ 4 Euro ermäßigt.