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Seong-Jin Cho in KölnWer so spielen kann, hat mit allem recht

Lesezeit 3 Minuten
Seong-Jin Cho schaut in die Kamera.

Seong-Jin Cho war mit seinem Maurice-Ravel-Programm in der Kölner Philharmonie zu Gast.

Der Pianist Seong-Jin Cho bewältigte das gesamte Klavierwerk Maurice Ravels an einem berauschenden Abend in der Kölner Philharmonie.

Maurice Ravels sämtliche Klavierwerke passen bequem auf zwei CDs; zusammen ergeben sie eine Spieldauer von etwa 130 Minuten. Theoretisch könnte man sie also in einem einzigen Klavierabend unterbringen. Nur: Wer würde sich das antun? Einige dieser Stücke zählen zu den schwierigsten der gesamten Klavierliteratur; sie sind eine Zumutung für Kopf und Finger, ein Schwall an Noten, bei denen es dazu noch auf jede einzelne ankommt.

Seong-Jin Cho ist mit seinem Ravel auf Welttournee

Seong-Jin Cho plagen solche Bedenken offenbar nicht. Erst kürzlich hat der 1994 geborene Koreaner Ravels Klavierwerke bei der Deutschen Grammophon eingespielt; nun ist er damit auf Welttournee - in Europa, Asien und den USA. Auch die Kölner Philharmonie gehörte zu den Stationen, an denen Seong-Jin Cho die insgesamt 13 Stücke in streng chronologischer Reihenfolge präsentierte, unterbrochen von zwei Pausen. Nach drei Stunden war er damit durch; dem Publikum, das ihn immer wieder jubelnd hervorrief, signalisierte er mit Schließung des Klavierdeckels, dass nun definitiv nichts mehr komme. Was auch?

Der Warschauer Chopin-Preisträger des Jahres 2015 ist ohne Zweifel der ideale Interpret für diese Musik, die nach dem Zeitalter Brahms’ und Liszts die Grenzen pianistischer Virtuosität völlig neu gesteckt hat. Hier stehen nicht mehr Kraft und Rasanz im Vordergrund, sondern Geschmeidigkeit und Lockerheit. Noch immer ist das große spätromantische Orchester der Referenzwert für die pianistische Klangentfaltung - aber nicht mehr in der Expansion von Masse und Lautstärke, sondern im Reichtum der Farben und Texturen.

Cho gibt seinen hoch entwickelten Klangsensualismus nie auf

Die erste Wegstrecke führte von den frühen Miniaturen (einschließlich „Pavane pour une infante défunte“ und „Jeux d’eau“) zur 1905 vollendeten Sonatine, deren figuratives Innenleben Seong-Jin Cho im perfekten Zusammenwirken von pianistischer Haptik und subtilem Klangsinn erspielte. Ein großzügiger Einsatz des linken Pedals sorgte vor allem in den Höhenlagen für silbrigen Glanz und schimmernde Pastelltöne. Oft ging dabei die rechte Hand der linken um eine Mikrosekunde voraus, was den Akkordsatz unmerklich aufbrach, Schichten und Schattierungen freilegte und auf diese Weise eine frappierende Räumlichkeit entstehen ließ.

Es folgten die beiden Meisterwerke der Reifezeit: die fünf Klangbilder der „Miroirs“ und - vielleicht Ravels größte Schöpfung überhaupt - der „Gaspard de la nuit“, in dem die ‚schwarze‘ Romantik ihr letztes rauschendes Klangfest feiert. Mit einer schier unglaublichen Elastizität der Hand ließ Seong-Jin Cho in den oszillierenden Patterns von „Une Barque sur l’océan“ und „Ondine“ die Illusion von Wellenbewegung und Lichtreflexen entstehen. Auch die Sprünge und Hakenschläge des dämonischen „Scarbo“ jagte der Koreaner mit geradezu unverschämter Lockerheit über die Tasten - wann hätte man das gefürchtete Stück jemals zugleich so schnell und so unangefochten in der manuellen Bewältigung gehört?

Es mochte auch an dieser absoluten technischen Souveränität liegen, dass der Eindruck einer letzten ekstatischen Entgrenzung sich dabei nicht einstellte. Aber da ist noch etwas anderes: Cho gibt seinen hoch entwickelten Klangsensualismus nie auf; er bleibt auch da Impressionist, wo der Komponist selbst über den Impressionismus hinausgeht. So etwa in seinem letzten Klavierwerk „Le tombeau de Couperin“ dessen klassizistisch-klares Linienspiel der Pianist wiederum in einen kunstvoll opalisierenden Klangflor tauchte. Aber letztlich sind so etwas eher Geschmacksfragen - wer so großartig Klavier spielt wie Seong-Jin Cho, hat natürlich mit jeder Entscheidung recht.