EU-Generalanwältin Juliane KokottMutterschaft und Karriere – unvereinbar?

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Kinderbonus Symbolbild

Die progressivsten Väter leben laut Gleichstellungsatlas in Münster.

Berlin – Die immer noch gegenwärtige Frage „Kinder oder Karriere?" kann man sich überhaupt nur stellen, wenn man die Option hat, Kinder zu bekommen und nicht zu arbeiten, weil man durch den Partner oder anderweitig wirtschaftlich abgesichert ist und keinen Wert darauf legt, wirtschaftlich unabhängig zu sein. Wer dagegen aus ökonomischer Notwendigkeit oder aus Unabhängigkeitswillen auf Erwerbstätigkeit angewiesen ist, der hat gar keine andere Wahl, als Kinder mit dieser Arbeit zu kombinieren, wenn er Kinder haben will.

Vor diesem Hintergrund werden Kinder allerdings vielfach als Beschränkung der Selbstentfaltung und Freiheit potenzieller „Karrierefrauen“ empfunden. Immerhin heißt es nicht mehr, Beruf und Mutterschaft seien unvereinbar. Weit verbreitet ist aber immer noch die Ansicht: Kind gleich Karrierehindernis. Daraus resultierende Ängste schürt die FAZ-Journalistin Johanna Dürrholz in ihrem neuen Buch „Die K-Frage“, das vom Magazin der Zeitung in einem Ausschnitt vorgestellt wurde.

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Juliane Kokott, geb. 1957, ist Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg

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Alicia Pointner, geb. 1989, macht gerade ihr zweites Staatexamen. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Kanzlei und arbeitet journalistisch für das Portal „breaking.through“. 

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Hanna Schröder, geb. 1981, ist Referentin am Europäischen Gerichtshof und Preisträgerin des französischen Conseil d'État. 

Mit diesem Beitrag und unserem Beispiel wollen wir Dürrholz‘ Sicht der Dinge entgegentreten. Wir sind drei berufstätige Mütter von insgesamt neun Kindern. Wir stehen entweder am Beginn der Karriere (Alicia Pointner), sind mit dem Aufstieg beschäftigt (Hanna Schröder) oder bereits auf ihrem Höhepunkt angekommen (Juliane Kokott). Wir wurden sowohl während der Ausbildung als auch während des beruflichen Aufstiegs schwanger, und wir leben unser Muttersein trotz all der vermeintlichen, von Johanna Dürrholz ausgemalten Widrigkeiten mit Freude, Engagement und Motivation. Ein allgegenwärtiges und ermutigendes Beispiel sehen wir in der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.

Alles zum Thema Annalena Baerbock

Es gibt sie, die Frauen, die die Verwandlung vom Frausein zum Muttersein unbeschadet verkraftet haben und nun Mütter sind, die ein Leben führen, wie sie es auch ohne Kinder geführt hätten, nur eben mit Kindern: Eine von uns (Alicia Pointner) gründete eine studentische Elterninitiative, eine (Juliane Kokott) ging, wie ihre Kommilitonin aus Indien, als junge Mutter ein Jahr nach Harvard. Eine (Hanna Schroeder) kann auf das gute Betreuungsangebot („crèches“) in Luxemburg zurückgreifen.

Wir möchten insbesondere den Leserinnen Mut machen und gleichzeitig karrierefördernde Rahmenbedingungen aufzeigen, denn wir halten Elternschaft und Karriere für gleichermaßen lohnenswerte und durchaus vereinbare Lebensziele. Dass Mutterschaft Eigenschaften fördert, die beruflich mehr denn je von Nutzen sind, liegt auf der Hand. Kreativität, Flexibilität, Organisationsvermögen und die Fähigkeit, empathisch auf Mitmenschen zu reagieren, mögen angeborene Eigenschaften sein. Sie verstärkten sich jedoch zweifellos in der jeweiligen Rolle als Elternteil. Hinzu kommen Durchsetzungsfähigkeit, Konzentration auf das Wesentliche, Wirklichkeitsbezug im Gegensatz zur abstrakten Welt der Prinzipien und Dogmen, Stressresistenz und die Fähigkeit, jederzeit zügig zwischen Aufgaben und Rollen zu wechseln.

Und während sich kinderlose Berufstätige oft über mangelnden Abstand zur Arbeit nach Feierabend beklagen, fordern Kinder genügend Aufmerksamkeit, um abzuschalten, insbesondere, weil sie dies ohne Rücksichtnahme oder Nachsicht tun. Und das ist gut so. Mit Abstand lassen sich Examensklausuren, sachliche und mitmenschliche Fragen und Probleme mit frischem Blick betrachten und im Ergebnis oft besser lösen.

Schließlich verleihen Kinder der eigenen Existenz weit über die Dauer einer Karriere hinaus Bedeutung. Diese Erfahrung kann zum einen die Energie freisetzen, Dinge zu bewegen und zu verändern. Zum anderen fördert sie eine längerfristige Sichtweise und Verantwortung über die eigene Existenz hinaus.

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In manchen Kulturen werden Kinder daher als Geschenk angesehen. Es ist auch gar nicht selbstverständlich, dass man Kinder bekommen kann. Falls nicht oder falls man schlicht keine Kinder möchte, mag sich das Leben freier anfühlen. Sicherlich kann es auch spannend und erfüllend sein. Und wir alle kennen herausragende Persönlichkeiten, die als Kinderlose die Gesellschaft vorangebracht haben.

Wir wollen uns lediglich dagegen wenden, Kinder immer nur als Last, Problem und Hindernis zu sehen. Vor die Wahl gestellt, gefällt uns persönlich – trotz des allfälligen Stress – die Kombination besser als ein Leben als „Nur-Karrierefrau“.

Die wahren Stressursachen sind im Übrigen selten die Kinder, sondern die Betreuungsstrukturen, teils fehlende Unterstützung von Partnern sowie finanzielle Hürden. Familienstrukturen gibt es kaum. In unserer individualistischen Kultur ist ein Kind Privatangelegenheit der Eltern bzw. der Mutter, nicht der Gemeinschaft. Entsprechend liegt die Organisation der Betreuung dann auch in den Händen der Mütter und Väter, was letztlich zu einer Atmosphäre führt, in der Kindererziehung in einen Gegensatz zur Berufstätigkeit gerät.

Die Großfamilie gibt es heute nicht mehr

Das mag es für Frauen wie Johanna Dürrholz schwieriger machen, sich für das Eine oder Andere zu entscheiden. Kinder sind aber nicht in jeder Hinsicht Privatangelegenheit der Eltern, sondern vielmehr überlebensnotwendig für Staat und Gesellschaft. Die Großfamilie, die früher unterstützend zur Seite stand, gibt es heute nicht mehr. In einer modernen Gesellschaft müssen wir deswegen andere Räume schaffen, die es ermöglichen, dass Eltern beruflich erfolgreich sein können und Zeit für ihre Kinder haben. Deshalb ist das, was wir jetzt brauchen und für die Wahlprogramme der Parteien fordern:

– ein hinreichendes staatliches, optional durch Kirchen und freie Träger ergänztes Angebot qualifizierter Rundumbetreuung von Kindern, auch im ersten Jahr, das für alle zugänglich und erschwinglich sein muss;

– die vollständige Abzugsfähigkeit sämtlicher Kinderbetreuungskosten, auch von häuslichen Kinderbetreuern und -betreuerinnen sowie von haushaltsnahen Dienstleistungen;

– die Anhebung der Löhne von Erziehern und Pädagoginnen auf ein gerechtes Niveau. Dies dient der Vereinbarkeit von Kind und Karriere, aber auch der Aufwertung erzieherischer und dienstleistender Berufe, deren Ausübung gesellschaftstragend ist. Erzieherinnen und Betreuer erfüllen Funktionen, die herkömmlich die Familie, das Dorf, in vielen Ländern aber vor allem Ehefrauen und Mütter wahrnehmen. Diese Funktionen sind dem Staat zu recht lieb und teuer;

– eine Weiterentwicklung des Ehegattensplittings, die der neuen gesellschaftlichen Realität gerecht wird. Das steuerliche Instrument sollte nicht abgeschafft oder reduziert, sondern vielmehr durch ein Familiensplitting ersetzt werden: Alle Unterhaltslasten, insbesondere diejenigen zugunsten nicht erwerbsfähiger Kinder, aber auch zugunsten im Familienhaushalt betreuter, nicht erwerbsfähiger alter oder kranker Menschen, sollten in ein solches Familiensplitting einbezogen sein.

Juliane Kokott, geb. 1957, ist Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, Alicia Pointner, geb. 1989, macht gerade ihr zweites Staatexamen. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Kanzlei und arbeitet journalistisch für das Portal „breaking.through“. www.breakingthrough.de Hanna Schröder, geb. 1981, ist Referentin am Europäischen Gerichtshof und Preisträgerin des französischen Conseil d'État. https://www.conseil-etat.fr/actualites/actualites/remise-du-prix-de-these-du-conseil-d-etat-en-droit-public-2017

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