Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem„Es geht um Konzepte gegen den Hass“

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Halle der Namen in Yad Vashem

Halle der Namen in Yad Vashem

  • Noa Mkayton, Direktorin in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, spricht im Interview über Antisemitismus und eine Kölner Kooperation.

Noa Mkayton, Yad Vashem, die israelische Gedenkstätte für die Shoa, und die Kölner Universität sind eine Kooperation eingegangen. Ziel ist es, angehende Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit Antisemitismus zu stärken. Was haben Sie vor?

Wir wollen Fortbildungen veranstalten, Forschungsprojekte vorantreiben, es kann aber auch um die gemeinsame Entwicklung von Materialien gehen – wir initiieren gerne Testphasen, in denen Universitäten und Schulen solche Materialien testen.

Was ist der spezielle Ansatz von Yad Vashem?

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Wir müssen uns fragen, was den besonderen Beitrag von Yad Vashem im Vergleich zu den äußerst professionell arbeitenden Gedenkstätten in Europa darstellt, und da denke ich, dass unser Alleinstellungsmerkmal die konsequent jüdische Perspektive ist. Es geht hier nicht darum, dass diese Perspektive irgendwie mit einbezogen werden muss – sie ist vielmehr das Grundgerüst unserer Arbeit. Die Erinnerungslandschaft sah im jungen Israel völlig anders aus als im Europa der Nachkriegszeit.

Aber herrschte nicht hier wie dort Verdrängung vor? Auch der junge israelische Staat beschäftigte sich nicht allzu sehr mit dem Holocaust und vor allem den Opfern.

Das stimmt, und es stimmt wieder nicht. In der Tat gab es keine Plattform für die Überlebenden, die mit dem vergleichbar wäre, was es heute gibt. Oder die mit dem Status vergleichbar wäre, die den Überlebenden heute eingeräumt wird. Aber es ist nicht richtig, dass nicht erinnert worden wäre. Während im Deutschland der ersten Nachkriegsjahrzehnte die NS-Vergangenheit komplett verdeckt bzw. verdrängt wurde, haben Jüdinnen und Juden bereits geforscht und dokumentiert, sogar während der Shoa. Auch im vorstaatlichen Israel nahm man sehr früh Erinnerungsinitiativen in Angriff. Und was sich von deutscher und europäischer Wahrnehmung fundamental unterschied, war bis in die 60er Jahre hinein der Fokus auf den Begriff des Heldentums. Und zwar in einem ganz spezifisch israelischen Kontext von Kampf und Widerstand gegen die Nazis.

Was bedeutete das konkret?

Dieser Fokus hat ästhetisch in der Kunst- und Kultursprache des Landes starke Spuren hinterlassen. Wenn man in Deutschland über die Shoa nachdenkt, würde man nicht auf Heldentum kommen, da geht es um Misshandlung, Verfolgung, Mord. Um die Hilflosigkeit der Opfer, um die Reduzierung der Opfer auf Nummern, Skelette und so weiter. Und hier kommen wir zu dem, was ich als pädagogischen Grundansatz von Yad Vashem unterstreichen würde, nämlich die Identität und Persönlichkeit der Opfer zu rekonstruieren.

Sie also aus der Reduktion zu befreien?

Und zwar als Gegenarbeit zur Ideologie der Nazis. Die haben darauf hingewirkt, dass die Individualität und Selbstmündigkeit der Opfer ausgelöscht wird. Es ging ihnen nicht allein darum, Menschenleben zu vernichten. Was uns anlässlich des Gedenkens an die Pogrome jährlich wieder zu Bewusstsein kommt, ist der Versuch, die jüdische Kultur überhaupt in ihrer Sichtbarkeit auszulöschen – die Synagogen niederzubrennen, die Thorarollen zu vernichten. Eine Thorarolle zu zerstören ist kein Genozid, das zielt vielmehr darauf ab, die jüdische europäische Kultur in ihrer Eigenständigkeit als solche zu vernichten. Und genau da setzt Yad Vashem an, und zwar aus der Perspektive der Jüdinnen und Juden, die das bereits während der Verfolgung begriffen und begonnen haben, dagegen zu arbeiten.

Zur Person und zur Kooperation

Noa Mkayton ist Direktorin des Bereichs „International Programming and Training Department“ an der Internationalen Schule für Holocaust Studien der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. An der Universität Köln hat das Projekt „school is open“ eine Kooperation mit Yad Vashem initiiert. „school is open“ bietet im Rahmen der Lehramtsausbildung Strategien gegen Antisemitismus an. Das Abkommen will die Holocaust-Bildung durch Aktivitäten für angehende Lehrer in Yad Vashem und an der Universität stärken.

Neben Studierenden werden auch weitere Mitglieder der Universität von der Expertise der israelischen Gedenkstätte profitieren. (ksta)

Wie ist ihnen dies gelungen?

Zum Beispiel, indem sie ihre eigene Stimme dokumentiert und zum Ausdruck gebracht haben, durch Fotos, durch Briefe, durch Tagebücher; und dadurch, dass sie diese bewusst versteckt und vergraben haben, um es für die Nachwelt zu konservieren. Hier setzt das historische Mandat für Yad Vashem an. Die Stimme der Opfer muss weiter hörbar bleiben, sie muss einbezogen werden in Forschung und Lehre, und das leitet uns eben auch bei der Konzeption von Unterrichtsmaterial.

Wie sieht diese Pädagogik genauer aus?

Wir wollen nicht nostalgisch sein, wir wollen die Holocaust-Education auch nicht emotionalisieren, auch wenn das ein Effekt ist, der einbrechen kann. Das ist jedoch etwas, das keinesfalls gesteuert oder geplant werden darf. Wir sind ganz klar gegen überwältigende Pädagogik. Es geht nicht um das – immer gefährlich an Manipulation grenzende – Wecken von Emotionen, es geht vielleicht darum, sie zuallererst zu ermöglichen, und das geht gewiss nicht, indem wir über die Opfer sprechen, indem wir die Sprache der Nazis benutzen. Es geht um eine Gegengeschichte zu Hass und Antisemitismus und darum, dass diese Geschichte nicht allein durch die Dokumente erzählt wird, welche die Nazis hinterlassen haben.

Wie schlägt sich dieses Konzept in der heutigen Ausstellung von Yad Vashem nieder?

Wir haben die erste Ausstellung, die noch aus der Anfangszeit stammte, 2005 überarbeitet, und zwar in dem Sinne, wie ich es gerade beschrieben habe: Die Betonung des Warschauer Ghetto-Aufstands wurde zum Beispiel reduziert – es gibt sie natürlich nach wie vor, weil der Aufstand ein zentraler Meilenstein im kollektiven jüdischen Bewusstsein ist –, doch was nun stärker in den Vordergrund rückt, ist das Aufbrechen eines kollektiven Stroms von Opfergeschichte in einzelne, individuelle Geschichten. Dadurch präsentiert sich die Ausstellung zum einen unglaublich filigran und verästelt; auf der anderen Seite versteht man sehr viel besser, dass dies eine Tragödie war, durch die einzelne Menschen gegangen sind.

Kommen wir noch einmal auf die Kooperation mit der Kölner Uni zurück – dort gab es einen Schwerpunkt der Humanwissenschaftlichen Fakultät zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern im Hinblick auf den Umgang mit Antisemitismus. War das Ihr Anknüpfungspunkt?

Ja, wir haben Studientage veranstaltet: Kölner Studenten sind nach Israel gekommen. Nordrhein-Westfalen ist unser ältester Partner in Deutschland. Wir haben ein sehr stabiles und mit Leben gefülltes, hochwertiges Kooperationsprojekt. Dieses Programm heißt „Erziehung nach Auschwitz“, das sich tatsächlich zu einem Vorzeigeprojekt entwickelt hat – andere Bundesländer sind daraufhin nachgezogen. Es konzentriert sich vor allem auf Lehrerinnen und Lehrer, aber auch auf Polizistinnen und Polizisten, und auch Juristinnen und Juristen sind unsere Ansprechpartner, Schulen und Gedenkstätten sind ebenso mit uns verbunden. Mit den Unis hatten wir keine speziellen Abkommen – was nun mit der Kölner Uni beginnt, entstand auf deren eigene Initiative hin.

Der Antisemitismus in Deutschland nimmt zu, das ist auch der Grund, warum man sich an Sie wendet.

Woran ich glaube, ist Erziehung und noch einmal Erziehung. Es geht darum, Konzepte gegen Antisemitismus zu entwickeln, sich auszutauschen. Es war auch eine richtige und wichtige Entscheidung der deutschen Politik, für die einzelnen Bundesländer Antisemitismus-Beauftragte zu berufen. Auch wenn manche finden, dass dies nur politische Funktionen seien, so rufen sie in Wahrheit Strukturen ins Leben, die entscheidende Weichen stellen. In Bayern etwa wurde ein Dokumentationszentrum für antisemitische Vorfälle aufgebaut – das sind erste sehr wichtige Schritte, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt. Es geht darum, professionelle Tools zu erarbeiten: Wie schafft man es zum Beispiel, Frontstellungen zu vermeiden? Ein klassisches, frontales Unterrichtssetting, in dem die Lehrkraft sowohl Wissensvorsprung als auch die „richtige“ Haltung für sich beansprucht, dürfte von vornherein zum Scheitern verurteilt sein.

Dadurch werden Haltungen noch verfestigt.

Man muss versuchen zu verstehen, dass Antisemitismus ein Phänomen ist, das in der Gesellschaft verankert ist. Das bedeutet auf keinen Fall, dass die gesamte Gesellschaft antisemitische Haltungen vertritt, sondern es bedeutet, dass Antisemitismus ein kultureller Code ist – der ist da, ob man ihn schätzt oder verabscheut, aber man muss sich dazu verhalten. Und das geht nur gemeinsam. Sich ohne jede Selbstreflexion über die anderen zu erheben und zu sagen, ich weiß es, ich erkläre es euch – diese Form der Ansprache provoziert nur Abwehr.

Das Gespräch führte Frank Olbert

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