„True Crime Köln“-PodcastDer Feueranschlag von Ratingen – ein Verbrechen aus Hass auf den Staat

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Ein verletzter Polizeibeamter wird vor einem Hochhaus in einen Krankenwagen gebracht.

Ein verletzter Polizeibeamter wird vor dem Hochhaus in Ratingen in einen Krankenwagen gebracht.

Eine neue Folge von „True Crime Köln“: Ein Jahr nach dem Feueranschlag von Ratingen ist das Leid der Opfer weiterhin groß.

„Das, was wir erlebt haben, hat uns zusammengeschweißt. Aber um welchen Preis?“ Ein Jahr nach dem furchtbaren Feueranschlag von Ratingen gibt Hüdaverdi G. einen Einblick in die Gefühlslage der Familie eines Opfers. Über das Geschehene zu sprechen, fällt immer noch schwer. Der Schmerz sitzt offenbar tief. Der Angriff auf Polizisten und Feuerwehrleute sei ein Terrorakt gewesen, „ein gezielter Angriff gegen das System, gegen unseren Staat“. Seiner Meinung nach werde das in der öffentlichen und politischen Debatte nicht genug berücksichtigt, sagt Hüdaverdi im Gespräch bei „True Crime Köln“, der Podcast-Reihe des „Kölner Stadt-Anzeiger“ über wahre Verbrechen aus Köln und der Region. Es gebe „geistige Brandstifter“, die solche Taten befördern.

Sein Bruder Enver G. war zusammen mit einer Kollegin der erste, der am 11. Mai 2023 die Wohnung von Frank P. betrat. Die Polizisten hatten mit einem Routine-Einsatz gerechnet. Nachbarn in einem Hochhaus in Ratingen hatten die Rettungskräfte alarmiert, weil sie Frank P. und seine Mutter seit Wochen nicht gesehen hatten. Der Briefkasten quoll über. Die Polizisten rechneten mit einem erweiterten Suizid. Der Verwesungsgeruch, der ihnen nach dem Aufbrechen der Wohnungstür entgegenschlug, schien das zu bestätigen. Doch tatsächlich hatte der 57-Jährige in seiner Wohnung eine regelrechte Falle vorbereitet.

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Alles zum Thema Herbert Reul

Verbarrikadiert hinter Getränkekästen erwartete er die Beamten. Er schüttete Benzin über die Polizistin und zündete sie an. Es entwickelte sich ein regelrechter Feuerball, der durch die Wohnung und die Hausflure schlug. Mehrere Einsatzkräfte, die als Helfer in das Haus gekommen waren, wurden durch die folgende Explosion verletzt, vier von ihnen schwer. Wie durch ein Wunder haben alle überlebt. Daran, dass Frank P. die Menschen töten wollte, bestand vor Gericht kein Zweifel. Er wurde rund vier Stunden nach der Explosion von Polizisten eines Sondereinsatzkommandos nach einem Großeinsatz überwältigt. In der Wohnung fand man die verweste Leiche der Mutter.

Polizisten beim Einsatz im Hochhaus: Aus der Wohnung von Frank P. dringt dichter Qual ins Freie. Er wird erst Stunden nach der Explosion überwältigt.

Polizisten beim Einsatz im Hochhaus: Aus der Wohnung von Frank P. dringt dichter Qualm ins Freie. Er wird erst Stunden nach der Explosion überwältigt.

Hüdaverdi erinnert sich an schlimme Wochen, in denen nicht klar war, ob sein Bruder Enver überlebt. Das Überbringen der Nachricht an die Eltern, das Warten auf die Informationen der Ärzte, das Unverständnis über die Tat und dann Tage, in denen sein Bruder aus dem Koma geholt wurde – „ein Horrorprozess“ sei das gewesen.

Die Vertreter des Staates, für den die Verletzten arbeiteten, machten es den Angehörigen zunächst nicht leichter. Es dauerte lange, bis die Familien mehr über dne Ablauf der Tat erfuhr. Irgendwann habe er selbst den Kontakt zum nordrhein-westfälischen Innenministerium gesucht und dann auch schnell einen Termin bei Herbert Reul bekommen. „Eine Sache war mir wichtig: Dass er mir verspricht, dass meinem Bruder und seinen Kollegen auch geholfen wird, wenn das mediale Interesse von diesem Fall weg ist. Er hat mir das Versprechen gegeben.“

Posttraumatische Belastungsstörungen

Darüber, wie es seinem Bruder heute geht, will Hüdaverdi nicht viel sagen. Nur so viel: „Er kämpft.“ Er deutet an, wie gravierend die Folgen für die Betroffenen sind.

Es sind nicht nur die körperlichen Verletzungen, die eine Rückkehr in den Beruf so schwer machen. Auch die psychologischen Folgen sind groß. „Viele leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung“, sagt „Stadt-Anzeiger“-Redakteurin Lena Heising, die bei „True Crime Köln“ über den Fall und die juristische Aufarbeitung berichtet.

Ein Rettungssanitäter berichtete davon, wie er es nicht mehr im Publikum eines Rockfestivals aushielt, weil ihm auf einmal Bilder von brennenden Menschen vor Augen kamen. Ein anderer berichtete von Flashbacks, wenn er den Ofen öffnet. Ein Feuerwehrmann weiß nicht, ob er den Beruf , den er so geliebt hat, je wieder ausüben kann, weil er nicht weiß, ob er je wieder ohne Panik eine Türöffnung vornehmen kann. Der neunjähriger Sohn eines anderen Feuerwehrmannes leidet seit dem Anschlag an Verlustängsten. „Wenn man so etwas erlebt und knapp überlebt, können nur die allerwenigsten schnell zurück in ihren Beruf finden.“

Kein Wort der Reue von Frank P.

Als die Opfer vor dem Düsseldorfer Landgericht aussagten, saß der Angeklagte regungslos daneben. Kein Wort der Reue war von ihm zuhören. Mehr noch: Auch zu seinen Motiven sagte Frank P. nichts. Hüdaverdi begleitete zusammen mit seinem Vater den Bruder beim Prozess. Er wollte dort nicht nur als Zeuge aussagen, sondern auch als Nebenkläger dabei sein. Vielleicht habe sein Bruder auf Erklärungen gehofft. In jedem Fall habe sein Bruder als Überlebender dem Täter zeigen können, dass dieser seine Ziele nicht erreicht habe. Er selbst habe wenig von dem Prozess erwartet, so Hüdaverdi. „Auf die Frage, warum jemand einen Menschen anzündet, gibt es keine Antwort. Das war so perfide, so ekelhaft geplant.“

Weil der Angeklagte nicht selber sprach, war das Gericht nicht zuletzt auf die Einschätzung eines Gutachters angewiesen. Dieser bestätigte die Schuldfähigkeit von Frank P. „Der Mann war voll zurechnungsfähig“, sagt auch Hüdaverdi. Der Gutachter beschrieb einen Täter, der sich vor allem während der Corona-Pandemie radikalisiert habe. Die Impfung, aber auch staatliche Institutionen seien „Werkzeuge des Teufels“. Das Gericht folgte dem Gutachten: Frank P. wurde wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Mann habe aus „Hass auf den Staat“ gehandelt, so das Gericht.

Der Verteidiger des schweigenden Angeklagten hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Er bestritt die Tötungsabsicht seines Mandanten. Das Urteil des Düsseldorfer Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs über den Revisionsantrag steht noch aus.

Über eine Million Downloads

Die Folge „Aus Hass auf den Staat: Der Feueranschlag von Ratingen“ ist die 38. Episode der Podcast-Reihe „True Crime Köln“, die seit November 2022 alle zwei Wochen über „wahre Kriminalfälle aus Köln und Umgebung“ berichtet. Über 1,1 Millionen Mal sind Folgen der Reihe mittlerweile bei Streaming-Anbietern oder über die Homepage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ abgerufen worden. Mit 100.000 Downloads und Streams allein im Mai ist eine neue Höchstmarke erreicht worden.

Viele Gäste waren seit dem Start bei Helmut Frangenberg im Aufnahmestudio im Newsroom des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu Gast: Redakteure und Redakteurinnen berichten von ihren Recherchen, von spannenden Gerichtsprozessen und polizeilichen Ermittlungen. Buchautoren, Juristen sowie ehemalige Mordermittler erinnern sich an ihre spektakulärsten Fälle und Geschichten. Im Gegensatz zu anderen True-Crime-Formaten kommen bei „True Crime Köln“ häufig auch Opfer, ihre Angehörigen und andere Betroffene zu Wort. Mit Experten aus Politik, Justiz und Wissenschaft wird zudem versucht, Straftaten in gesellschaftliche, soziale, historische und politische Kontexte einzuordnen. „True Crime Köln“ kann man über alle bekannten Streaming-Anbieter und über die Homepage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hören.

www.ksta.de/true-crime-koeln

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