Familie, Wahlrecht, VerkehrDas will Schwarz-Grün umsetzen – und so bewerten wir es

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Schwarz Grün Koalitionsvertrag

Mona Neubaur (Grüne) und Hendrik Wüst (CDU) präsentieren den „Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen“ am Donnerstag.

Düsseldorf – Mona Neubaur und Hendrik Wüst haben am Donnerstag den gemeinsamen Koalitionsvertrag von CDU und Grünen für NRW vorgestellt. Das 146 Seiten starke Papier thematisiert viele Aspekte des Lebens in Nordrhein-Westfalen. Von Bauen und Energie, über Schule und Wahlrecht bis zu Polizei und Verkehr – wir haben die wichtigsten Passagen aus dem neuen Koalitionsvertrag in NRW zusammengestellt und bewertet.

Die wichtigsten Themen des Koalitionsvertrags und die Bewertung der Redaktion im Überblick

Bauen

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir wollen die Stromerzeugung aus Photovoltaik kräftig ausbauen. Ab dem 1. Januar 2024 gilt die Solarpflicht für alle gewerblichen Neubauten. Für private Neubauten gilt die Solarpflicht ab dem 1. Januar 2025.“

Die Analyse der Redaktion: Die Solardachpflicht für private Neubauten ab 2025 ist eine der größten Überraschungen im Koalitionsvertrag. Die CDU hatte sich in der Vergangenheit gegen eine Solardachpflicht gesträubt und in der Berliner Groko entsprechende Pläne der SPD blockiert. In der Immobilienbranche wird befürchtet, dass sich Neubauten verteuern werden.

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Zudem gibt es erhebliche Zweifel, ob genug Material und Fachkräfte zur Verfügung stehen, um die Pflicht umzusetzen. Der Schritt zeigt, dass es Wüst mit dem Ausbau der Erneuerbaren wirklich ernst meint. Ein gutes und wichtiges Signal für den Aufbruch in der Energiepolitik.

Energie

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir wollen den Kohleausstieg bis 2030 umsetzen. Die Versorgungs-sicherheit werden wir gemeinsam mit der Bundesregierung zu jedem Zeitpunkt gewährleisten und dazu jeweils notwendige Maßnahmen ergreifen. Bis zum Ausstieg wird die Braunkohle dazu angesichts des Ukrainekrieges ihren Beitrag leisten. “

Die Analyse der Redaktion: Diese Formel hört sich gut an. Allerdings bleibt die Frage offen, wie die Ziele unter einen Hut gebracht werden sollen. CDU und Grüne können nur hoffen, dass der Krieg in der Ukraine bald zu Ende geht und sich in der Folge die Lage bei der Energieversorgung entspannt. Sollte die Braunkohle aber längerfristig nötig sein, um die Versorgungssicherheit zu garantieren, wird sich das Ausstiegsdatum kaum halten lassen.

Nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits auf den Kurs eingeschwenkt ist, für die Versorgungssicherheit Abstriche beim Klimaschutz zu machen, werden wohl auch die NRW-Grünen diese Kröte schlucken müssen. Weil sich im Koalitionsvertrag kein explizierter Satz zur Zukunft von Lützerath findet, sind Proteste programmiert. Schon beim Grünen-Landesparteitag in Bielefeld dürfte der Kurs in der Klimapolitik auf Kritik stoßen.

Hier den gesamten Koalitionsvertrag herunterladen

Beim Thema Windkraft sollen die pauschalen Abstandsregelungen stufenweise abgeschafft werden. Laut Koalitionsvertrag soll der Bau von Windkraftanlagen auch entlang von Verkehrswegen und auf beschädigten Forstflächen erleichtert werden. Weiterhin wurde vereinbart, dass in den kommenden fünf Jahren in NRW mindestens 1000 zusätzliche Windkraftanlagen entstehen sollen. Diese Festlegung können die Grünen auf ihr Konto verbuchen. In den konservativen Teilen der NRW-CDU gehört es vielfach immer noch zum guten Ton, gegen Windkraftanlagen zu wettern, die angeblich die Landschaft verschandeln.  

Verkehr

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir wollen bis zum Jahr 2027 1000 Kilometer neue Radwege bauen und so ein möglichst flächendeckendes Netz in Nordrhein-Westfalen herstellen. Beim Straßenbau hat die Sanierung für uns Vorrang vor dem Neubau.“

Die Analyse der Redaktion: In der Verkehrspolitik konnten die Grünen viele Akzente setzen. Dabei kam ihnen wahrscheinlich zugute, dass NRW-Ministerpräsident Wüst in seiner Zeit als Verkehrsminister in der Laschet-Regierung schon viele Projekte auf den Weg gebracht hatte, die vom Grundsatz her auch auf Zustimmung der Grünen stießen. So brachte der Politiker aus dem Münsterland, der sich gerne auf dem Zweirad zeigt, ein Fahrradgesetz auf den Weg.

Beim Thema Straßenbau konnten die Grünen ihr Wahlkampf-Mantra durchsetzen, dass künftig die Sanierung Vorrang vor dem Neubau haben muss. Das wird wohl vielen CDU-Politikern in den ländlichen Gegenden nicht gefallen, die den Bau von Umgehungsstraßen für durchaus sinnvoll halten.

Wahlrecht

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir werden Beteiligungs- möglichkeiten ausbauen. Das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren auf Landes- ebene wollen wir einführen.“

Die Analyse der Redaktion: Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist ein klarer Erfolg für die Grünen. Sie erhoffen sich ganz offenbar weitere Stimmenzuwächse, wenn künftig mehr junge Leute zur Wahl gehen dürfen. Für die CDU ist die Neuregelung wahrscheinlich eher ein strategischer Nachteil. Die Christdemokraten waren bislang der Meinung, dass das Wahlrecht an die Volljährigkeit mit 18 und die volle Geschäftsfähigkeit gekoppelt bleiben soll. 

Kindertagesstätten

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir werden auch das dritte Kita-Jahr vor der Einschulung in ganz Nordrhein-Westfalen beitragsfrei machen. Wir streben eine kostenfreie Verpflegung inKitas an und werden Eltern schrittweise einkommensabhängig von Essensgeldern entlasten. Ein-gruppige Kitas und Waldkindergärten werden wir fördern.“

Die Analyse der Redaktion: Der Kita-Bereich lag in den vergangenen fünf Jahren in der Verantwortung der FDP. Auch in der schwarz-grünen Koalition wird die CDU nicht für das Thema zuständig sein. Beobachter rechnen damit, dass die Grüne Fraktionschefin Josefine Paul auf dem Chefsessel im Familienministerium Platz nehmen wird. Daher wundert es nicht, dass sich im Koalitionsvertrag viele Ansätze aus dem Wahlprogramm der Grünen wiederfinden.

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Man will einen „Pakt gegen Kinderarmut“ schmieden, von dem sozial benachteiligte Familien in NRW profitieren sollen. Auch die geplante Förderung von Klein-Kitas und Waldkindergärten ist eine Idee der Grünen. Die Beitragsfreiheit des dritten Kita-Jahres wird viele Eltern freuen. Das teure Geschenk war bereits im Wahlkampf von der CDU versprochen worden.

Schule

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir wollen 10000 zusätzliche Lehrkräfte in das System Schule bringen. Die nicht sofort besetzbaren Stellen werden wir temporär durch weitere pädagogische Fachkräfte und unterstützendes Personal besetzen. Wir werden die Eingangsbesoldung für alle Lehrämter auf A13 anheben.“

Die Analyse der Redaktion: Der Koalitionsvertrag nimmt mehrere zentrale Forderungen der großen Lehrerverbände in NRW mit auf, die die Besoldung der Grundschullehrer nach A13 schon langte gefordert hatten. Die Schwarz-Gelbe Landesregierung hatte das Projekt auf dem Zettel, konnte oder wollte die Reform aber unter Hinweis auf die enormen Kosten nicht mehr umsetzten. Der Plan, 10.000 Lehrer einzustellen, ist sicher richtig.

Allerdings ist Papier geduldig, denn die Pädagogen müssen sich erstmal finden. „Stellen geben keinen Unterricht“, lautet eine Binsenweisheit in der Schulpolitik. Laut Ressortverteilungsplan wird die CDU künftig für das Schulressort verantwortlich sein. Schon jetzt steht fest, dass die nächste Corona-Welle zur Nagelprobe werden dürfte. Zum Umgang mit der Pandemie finden sich allerdings nur wenige Absätze. Das stimmt skeptisch.

Polizei

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir legen bei der Kriminalitätsbekämpfung einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, insbesondere der Clan-Kriminalität sowie der Rocker- und Mafia-Kriminalität.“

Die Analyse der Redaktion: Die Grünen haben in vielen Bereichen Akzente gesetzt – aber bei der Inneren Sicherheit konnte die CDU punkten. Das zeigt sich nicht nur daran, dass in NRW künftig jedes Jahr 3000 Polizisten eingestellt werden sollen, sondern auch im Passus zum Kampf gegen die Clan-Kriminalität.

Im Wahlkampf hatten die Grünen noch behauptet, das robuste Vorgehen gegen die Clans sei in erster Linien eine PR-Show von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) – und schüre Ausländerfeindlichkeit. Das liest sich jetzt ganz anders. Für den Politiker aus Leichlingen dürfte der Text eine Genugtuung sein. Reul hat die Lizenz von Schwarz-Grün, seine Null-Toleranz-Politik fortsetzen.

Finanzen

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Wir werden Haushalte ohne neue Schulden aufstellen, wie es die grundgesetzliche Schuldenbremse vorsieht“

Die Analyse der Redaktion: Die Abschaffung des Straßenbaubeitrags und die Entlastung bei der Grunderwerbsteuer werden viele Bürger freuen. Wie nachhaltig die Haushaltpolitik ist, muss sich noch zeigen. In der Koalition mit der FDP wurden neue Schulden in Extra-Haushalten wie NRW.Bank und BLB versteckt.

Kommunen

Auszug aus dem Koalitionsvertrag: „Die gemeinsame Kraftanstrengung zur Entlastung der Kommunen von Altschulden muss unmittelbar erfolgen.“

Die Analyse der Redaktion: Schwarz-Grün sieht den Bund in der Verantwortung, das Altschuldenproblem der Städte und Gemeinden zu lösen. Sollte dies nicht geschehen, will Schwarz-Grün selbst die Initiative ergreifen. Hier zeigt sich, dass die Grünen mittlerweile eine Partei bilden, die in den Kommunen stark verankert ist. In Köln, Bonn und Aachen regieren drei Oberbürgermeisterinnen, die die Grünen aufgestellt hatten. Schwarz-Grün hat jetzt die Chance, den Knoten bei den Kommunalfinanzen zu lösen. Das würde die Lebensqualität vieler Menschen im Land spürbar verbessern.

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