Kommentar zur NRW-RegierungWarum Schwarz-Grün besser da steht als die Ampel in Berlin

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Hendrik Wüst beim Besuch eines Spendenlagers in Köln.

Mitte der Woche nutzte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst die große bundespolitische Bühne. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz forderte er im Namen aller Länder einen Preisdeckel für Strom, Gas und Wärme sowie eine faire Lastenteilung mit dem Bund. Der Preisdeckel wird nun kommen.

Wüsts Auftritt steht sinnbildlich für den Rahmen, der um die 100-Tage-Bilanz der schwarz-grünen Landesregierung in NRW zu ziehen ist: Der Ukraine-Krieg und seine Folgen bestimmen auch das Regierungshandeln in Düsseldorf. Energiekrise, Preissteigerungen und eine aufziehende Rezession überlagern die üblichen Themen der Landespolitik.

Hendrik Wüst: Als Hoffnungsträger der Union etabliert

Carsten Fiedler

Carsten Fiedler ist Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

CDU-Politiker Wüst und Grünen-Chefin Mona Neubaur (hier im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“) werden nicht daran gemessen, wie sie in den ersten Monaten das Regierungshaus ausgestaltet haben. Sondern an der Art, wie sie die Konsequenzen der Dauer-Krisenlage bewältigen.

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Bei den Menschen in NRW ist die Sorge vor einem Corona-Herbst und -Winter, neuen Einschränkungen und einem erneuten Chaos an den Schulen deutlich spürbar. Mindestens ebenso groß ist die Angst, durch Inflation und hohe Energiepreise in Not zu geraten. Das ist die haushohe politische Herausforderung, vor der Wüst steht.

Der Ministerpräsident hat es dabei in seinen ersten Monaten geschafft, weiter an seinem Image als Hoffnungsträger der Union zu arbeiten. Er kann sich derzeit eines großen Rückhalts in seiner Partei sicher sein. Ähnliches gilt bei den Grünen für seine Stellvertreterin Neubaur.

NRW-Regierung: Die Grünen sind bei Konflikten bislang handzahm

In der Krisenbewältigung und auch in der Kritik an der Ampel in Berlin sind sich CDU und Grüne in NRW im Kern einig. Es ist verblüffend, dass es so gut wie keine Sticheleien gibt. Der Umgang im Kabinett sei vertrauensvoll und respektvoll, berichten Teilnehmer (lesen Sie hier eine Zwischenbilanz der Arbeit der Ministerinnen und Minister).

Das ist ein wohltuender Unterschied zur rot-grünen Regierungszeit, heißt es bei den Grünen. Die „Versöhnung von vermeintlichen Gegensätzen“ und einen neuen Politikstil hatte Wüst versprochen. Das gelingt überraschend gut. Die Politik der Regierung wirkt pragmatisch, ideologiefrei, lösungsorientiert. Die Koalitionspartner nehmen Rücksicht aufeinander.

Beim bislang größten innenpolitischen Aufreger, dem tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund, geben sich die Grünen allerdings so handzahm, dass es schon fast peinlich wirkt. Und nicht einmal die Zukunft des Dorfs Lützerath im Braunkohlerevier sorgt für Zündstoff.

Im Gegensatz zur Bundesregierung, die mit Streitereien der Ampel-Männer Christian Lindner und Robert Habeck, dem oft zögerlichen Kanzler Olaf Scholz und bisweilen unausgegorenem Handeln – siehe Gasumlage – für Verdrossenheit sorgte, wirkt Schwarz-Grün geradezu harmonisch. Allerdings liegt das auch daran, dass nahezu alle wichtigen Entscheidungen in Berlin spielen.

Die Aufgabe: Wirtschaftlichen Kollaps des Industrielandes NRW verhindern

Gleichwohl muss Schwarz-Grün in NRW die Folgen der Krise verlässlich abarbeiten. Die Landesregierung muss ihren Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung und zur Eindämmung der Preissteigerungen leisten. Sie muss sicherstellen, dass das Geld aus dem Entlastungspaket fair und zügig verteilt wird. Sie muss auch dafür sorgen, dass das Industrieland NRW keinen wirtschaftlichen Kollaps erlebt. Und dass es bei den Schulen im nächsten Corona-Winter nicht wieder zu Pannen kommt.

Die konkreten Folgen von Ukraine-Krieg und Pandemie müssen gut und gerecht gemanagt werden. Das wird auf lange Zeit der Maßstab für den Erfolg Wüsts und seines Kabinetts sein.

Hendrik Wüst: Favorit für eine Unions-Kanzlerkandidatur nach Friedrich Merz

Noch hat Wüst es geschafft, ohne hohen politischen Einsatz gut durch die ersten Monate zu kommen. Als Regierungschef eines Bündnisses, das derzeit auch auf Bundesebene die einzige ernsthafte Alternative zur Ampel ist, hat er seine Ausgangssituation für weitere Karriereschritte verbessert. Wüst gilt als Favorit für eine Kanzlerkandidatur in einer Zeit nach Merz.

Gefährlich könnte es werden, wenn das Vertrauen in die Politik weiter erodiert. Je mehr „Chaos-Tage“ die Ampel in Berlin fabriziert, desto eher könnte sich im Winter eine aufgestaute Wut bei den Menschen Bahn brechen, die sich aufgrund von Energiekrise und explodierenden Preisen um ihre Existenz sorgen.

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Würde schwindendes Vertrauen sich zu einer Art Staatskrise auswachsen, wäre das wohl vorerst auch das Ende des bundespolitischen Aufstiegs eines Politikers vom Typus Wüst, der sich vom klassischen Konservativen zum Pragmatiker gewandelt hat. In turbulenten Zeiten würde in der Union der Ruf nach charismatischen Führungspersonen mit „klarer Kante“ wieder lauter. Auch die Gefahr, dass Schwarze und Grüne in alte Gräben zurückfielen, wäre höher.

Der Erfolg des selbst ernannten Reformprojektes in NRW hängt maßgeblich davon ab, dass sich die Rahmenbedingungen durch die Folgen von Krieg und Pandemie nicht rapide verschlechtern. Die „Versöhnung von vermeintlichen Gegensätzen“ ist eben nicht nur ein Stabilitätsfaktor für Schwarz-Grün, sondern auch ein Risiko.

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