2017 hat NRW die Verlängerung der Schulzeit an den Gymnasien von acht auf neun Jahre durchgesetzt. Das sorgt im nächsten Jahr für gravierende Folgen – auch im öffentlichen Dienst.
2026 fällt ein Abi-Jahrgang ausWo soll das Land genügend Polizisten und Finanzbeamte herbekommen?

Ein Schild mit der Aufschrift „Abitur! Bitte Ruhe!“ hängt während der schriftlichen Abiturprüfungen an einer Tür.
Copyright: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Im nächsten Jahr wird es in NRW voraussichtlich 40.000 Abiturienten weniger geben als sonst. Statt bislang mehr als 70.000 Abgängern mit Abitur verbleiben nur rund 30.000 Absolventen von Berufskollegs und Gesamtschulen. Grund dafür ist die Schulzeitverlängerung von acht auf neun Jahren an Gymnasien. Universitäten und Ausbildungsbetriebe stehen vor großen Herausforderungen, aber auch der öffentliche Dienst ist stark betroffen: „Es stellt sich die Frage, wie das Land beim gerupften Abijahrgang 2026 überhaupt ansatzweise genügend Bewerber finden will“, warnt Ralf Witzel, Vize-Fraktionschef der FDP im Düsseldorfer Landtag.
Nach der Umstellung von „G8“ auf „G9“ sind 2026 die ersten Gymnasiasten so weit, dass sie ein Jahr länger an der Schule bleiben als ihre Vorgänger. Viele Universitäten denken darüber nach, die Auswahlkriterien zu senken. In vielen Fächern soll der Numerus Clausus ausgesetzt werden. Das Land hatte bereits in 2025 Ausbildungskontingente gekürzt, da Stellen nicht adäquat besetzt werden konnten. Gleichzeitig ist die Durchfall- und Abbrecherquote in den letzten Jahren stark gestiegen.
Finanzministerium will Ausbildungsplätze für 2026 halbieren
Beispiel Finanzverwaltung: Aktuell haben die Finanzämter mit einer „Verlustquote“ von 20 bis 33 Prozent zu kämpfen. Das NRW-Finanzministerium will für 2026 nun nach eigenen Angaben die Ausbildungskapazitäten von aktuell 800 auf zukünftig 400 Plätze halbieren. Bereits 2025 war das Angebot von 1000 auf 800 abgesenkt worden – das entspricht einer Absenkung auf 40 Prozent des Ursprungswertes innerhalb von zwei Jahren.
Alles zum Thema Herbert Reul
- Terrorverdacht In Essen wird ein 27-jähriger Islamist festgenommen. Was steckt dahinter?
- Verdacht auf Anschlag Spezialeinheiten stoppt bei Razzia in NRW „mögliche Terroraktivitäten“
- In Köln schon im Einsatz „Kann deeskalierend wirken“ – Taser scheint sich bei NRW-Polizei zu bewähren
- Reul zieht Zwischenbilanz „Es geht weiter“ – Polizei klärt Gewaltwelle in Köln und Umgebung auf
- Reul legt Bericht vor Rüder Tonfall, Zwist bei Kontrolle – Zahl der Beschwerden über die Polizei steigt
- NRW-Innenminister Herbert Reul setzt bei Rede in Kerpen auf Kontrolle und Klartext
- Nach US-Angriff auf Iran NRW-Polizei hat US-Einrichtungen jetzt besonders im Blick
Beispiel Polizei: Von den 3000 Kommissaranwärtern, die Schwarz-Grün jährlich einstellen will, brechen 15 bis 20 Prozent die Ausbildung ab. Die Bewerberqualität ist gesunken, wegen des Nachwuchsmangels wurden die Anforderungen an die Einsteiger abgesenkt. Das Innenministerium hat bereits ein Nachhilfeprogramm für die Polizei-Azubis auf den Weg gebracht. Seit 2022 können sich auch Realschüler bei der Polizei bewerben.

Ralf Witzel, Vize-Chef der FDP-Landtagsfraktion, spricht im Düsseldorfer Landesparlament.
Copyright: picture alliance/dpa
Die FDP schlägt nun vor, die berufliche Ausbildung beim Land gezielt zu stärken. So könnte man FSJlern schon jetzt eine qualifizierte Ausbildungsperspektive für 2026 im öffentlichen Dienst anbieten. Schüler sollten das Angebot erhalten, durch Ferienjobs in Behörden und Praxiseinsätze persönliche Kontakte aufzubauen. „Viele junge Menschen fühlen sich durch das starre Laufbahnrecht und die langen Wartezeiten bei der Karriereperspektive abgeschreckt“, sagt Ralf Witzel. Bislang seien Seniorität und Kinderzahl bei der Vergütung zu dominant. „Konkret gezeigte Leistung wird bei Nachwuchskräften zu wenig honoriert“, bemängelt der FDP-Politiker.
CDU: Umstellung auf G9 war für Arbeitgeber „lange planbar“
Mit dem aus der Zeit gefallenen Besoldungssystem stehe sich der öffentliche Dienst bei der Nachwuchsgewinnung zunehmend im Weg, hieß es. „Wenn der Staat in hoheitlichen Bereichen nicht handlungsfähig ist, gefährdet dies die Gerechtigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz“, betonte Witzel. „Es bedarf eines Konzeptes zur gezielten Ansprache früherer Abiturjahrgänge und von Berufswechslern mit dauerhaften Aufstiegsperspektiven, damit die Ausbildung beim Land nicht ins Leere läuft.“ Aufgrund seiner qualitätssichernden Funktion dürfe der öffentliche Dienst seine Anforderungen und Standards aber nicht absenken. „Sonst haben wir ein Problem beim einheitlichen und gerechten Gesetzesvollzug“, sagte er Liberale.
Marco Schmitz, Arbeitsmarkt-Experte der CDU-Fraktion, wies die Bedenken zurück. „Die Institutionen im Land wie Polizei und Justiz sind auf diesen einmaligen Rückgang vorbereitet“, sagte der Politier aus unserer Zeitung. Dass sich die Umstellung von G8 auf G9 auf den Ausbildungsmarkt auswirken werde, sei „für die Arbeitgeber lange planbar“ gewesen. „Unternehmen und Institutionen könnten in diesem Jahr jungen Menschen eine Chance geben, die sie bei größerer Konkurrenz vielleicht nicht berücksichtigt hätten“, sagte Schmitz.

Vereidigungsfeier der NRW-Polizei in Köln im Jahr 2024. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) will jedes Jahr 3000 Kommissaranwärter einstellen.
Copyright: picture alliance/dpa
Benjamin Rauer, Sprecher für Arbeit der Grünen Landtagsfraktion NRW, erklärte, die geringeren Abiturientenzahlen durch die G8/G9-Umstellung würden zu einer „besonderen Herausforderung“ für die Betriebe in NRW, da schon jetzt viele Ausbildungsstellen unbesetzt blieben. Um das Problem einzudämmen, habe Schwarz-Grün „eine Reihe von Initiativen“ auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Fachkräfteoffensive, durch die der Quereinstieg vereinfacht werde und Bildungsabschlüsse flexibler anerkannt werden könnten. „Wir müssen auch Menschen, die nicht sofort einen Ausbildungsplatz finden, bei der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt unterstützen, denn sie haben Potenziale, die wir brauchen“, sagte Rauer.