NRW nimmt Kampf gegen Altschulden aufAbstotter-Programm für knapp zehn Milliarden Euro

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26.04.2022 Köln.
Der Busparkplatz an der Bastei ist gesperrt.

Seit Jahren eine Bauruine: Für eine Sanierung der denkmalgeschützten Bastei fehlt der Stadt Köln das Geld. Foto: Alexander Schwaiger

Für die Kommunen gilt es, Altschulden in Höhe von 21,3 Milliarden Euro loszuwerden. Ohne die Bundesregierung wird das aber nichts.

Die schwarz-grüne Landesregierung legt ein Programm zur Altschulden-Tilgung der Kommunen vor, von dem rund 200 Städte und Gemeinde in NRW profitieren könnten. Die Regelung sei „ein fairer Ausgleich im System der Gemeindefinanzierung“, sagt Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie hoch ist der Altschuldenstand der Kommunen in NRW?

Laut Kommunalministerium lag er am 31. Dezember 2022 bei 21,3 Milliarden Euro. In den sechs Jahren zuvor sei es den Städten und Gemeinden gelungen, rund ein Viertel der Altschulden zu tilgen. Insgesamt waren das 6,7 Milliarden Euro.

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Seit Jahren wird über die Altschulden und deren Tilgung diskutiert. Wie soll der Einstieg jetzt gelingen?

Im März hat die Bundesregierung Eckpunkte für eine Lösung vorgelegt, die aber noch nicht beschlossen sind.

Wie könnte die aussehen?

Der Bund hat signalisiert, 50 Prozent der Altschulden jener Kommunen zu übernehmen, in denen die Pro-Kopf-Verschuldung bei mehr als 100 Euro pro Einwohner liegt. Das ist in NRW in 199 von 429 Kommunen der Fall. Damit würden rund 19,7 Milliarden Euro an Altschulden erfasst, die zur Hälfte auf den Bund und das Land entfielen, also jeweils 9,85 Milliarden Euro. 

Die will das Land jetzt den 199 betroffenen Kommunen einfach so erlassen? Woher soll das Geld denn kommen?

So einfach ist das nicht. Das Land stockt die Finanzhilfen für die Kommunen seit Jahren freiwillig auf, indem es sie an der Grunderwerbsteuer beteiligt. Die Landesregierung will garantieren, dass dieser Anteil pro Jahr bei 460 Millionen Euro stabil bleibt, auch wenn die Einnahmen wegen der lahmenden Baukonjunktur sinken. Im Gegenzug müssen die Gemeinden ihre Zins- und Tilgungsleistungen aus diesem Topf bedienen.

Damit können sie über die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer aber nicht mehr frei verfügen.

Das stimmt. Deshalb ist die Teilnahme an dem geplanten Programm zur Schuldentilgung freiwillig.

ARCHIV - 05.02.2013, Niedersachsen, Hannover: Autos fahren an einem Schlagloch auf einer Straße vorbei. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht Zahlen zu Schulden der öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Kommunen im ersten Quartal 2018. Foto: Sebastian Kahnert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit

Ein sicheres Zeichen für eine hoch verschuldete Kommune: Schlaglöcher, die nicht einmal mehr notdürftig geflickt werden. (Symbolbild)

Woher sollen Kommunen dann Geld für Investitionen zum Beispiel in den Klimaschutz bekommen?

Das Land wird Investitionsauszahlungen zugunsten von Sanierung und Ausbau kommunaler Infrastruktur insbesondere mit Blick auf Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen vorziehen. Dafür sollen Mittel in Höhe von mindestens sechs Milliarden Euro bereitgestellt werden. Ziel sei es, die Städte und Gemeinden bei den notwendigen Investitionen auskömmlich zu unterstützen.

Vorziehen heißt aber nicht, dass es vom Land oder Bund auf Dauer mehr Geld gibt.

Danach sieht es aus.

Wann soll das Altschulden-Programm starten?

Im Juni 2024. Bis dahin sind viele Hürden zu nehmen. Zunächst müssen die betroffenen Verbände wie der Städtetag und der Städte- und Gemeindebund angehört werden. Außerdem muss die Bundesregierung ihre Altschuldenregelung auf den Weg bringen. Dazu bedarf es einer Grundgesetzänderung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Das geht nicht ohne die Stimmen von CDU und CSU. Auch der Bundesrat muss zustimmen.

Warum sollten sich Bundesländer wie Bayern, die gar kein Altschulden-Problem haben, dem anschließen?

Bisher hat sich zum Beispiel Bayern verweigert, als Nettozahler im Länder-Konzert auch noch für Altschulden von NRW oder Rheinland-Pfalz aufzukommen. „Bei unserem Modell ist das ausgeschlossen“, sagt Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). Deshalb sei man optimistisch, im Bundesrat eine Mehrheit zu finden.

Und wenn das nicht gelingt?

Dann will NRW seinen Teil allein angehen. „Ich gehe davon aus, dass der Bund einschlägt, wir reden über 18 Millionen Menschen, denen in diesem Jahrzehnt viel auferlegt wird. Wir setzen auf Gespräche. Es wird sich zeigen, ob der Bund seiner Verantwortung gegenüber den Ländern auch gerecht wird“, so Scharrenbach. Damit die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zustimmen kann, soll ein Wiedervergeltungsverbot eingeführt werden. Danach wären Kommunen verpflichtet, neue Liquiditätskredite innerhalb von 36 Monaten zurückzuzahlen.

Warum drängt die Landesregierung gerade jetzt auf eine Lösung?

Weil die immer weiter steigenden Zinsen vor allem Städte und Gemeinden mit hohen Altschulden erdrücken, die in der Regel mit kurzfristigen Kassenkrediten finanziert werden. Das hohe Zinsrisiko erschwert ihre Zukunftsinvestitionen.

Wie reagieren die Kommunen?

„Die Städte in NRW warten seit langem auf eine Altschulden-Lösung durch das Land. Für die erdrückenden kommunalen Altschulden braucht es eine Regelung, die die Städte sowohl jetzt als auch zukünftig ein für alle Mal von den immensen Liquiditätskrediten und ihren Zinsrisiken befreit“, sagt der Vorsitzende des Städtetages NRW, Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) aus Essen. „Wir brauchen wegen der steigenden Zinsen jetzt eine Lösung für die insgesamt 21 Milliarden Euro kommunaler Altschulden.“ Ohne zusätzliches Geld werde es aber nicht gelingen, den Altschuldenberg zu tilgen. Ihn allein mit Mitteln aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz abzutragen, werde den finanziellen Spielraum der Städte einschränken. Sollten die sechs Milliarden Euro für den Klimaschutz wie geplant ebenfalls aus kommunalen Mitteln finanziert werden, stünden sie für andere Investitionen nicht mehr zur Verfügung.

Was sagt die Landespolitik?

Mit ihrem Plan stelle die Landesregierung die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden wieder her, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Landesvorsitzenden der Grünen, Yazgülü Zeybek und Tim Achtermeyer. Zudem könnten sich Städte und Gemeinden mit dem Klimaschutzprogramm auf die Folgen der Klimakrise vorbereiten.

Von einer „Mogelpackung“ spricht Jochen Ott, Vorsitzender SPD-Fraktion im Landtag. Anstatt an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten, hätten sich CDU und Grüne für ein Modell entschieden, „bei dem die Kommunen die Zeche selbst zahlen müssen“. Es werde kein „neues Geld des Landes für eine Schuldenübernahme geben“. Überdies müsse Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) beweisen, „was sein Vorschlag wirklich wert ist.“

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