Ein Jahr NRW-KoalitionGrüne sind glücklich, Umweltverbände nicht

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Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen) präsentieren nach der Unterzeichnung den Koalitionsvertrag.

Fünfeinhalb Wochen nach der Landtagswahl: Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen), Wüsts Stellvertreterin und NRW-Wirtschaftsministerin, präsentieren nach der Unterzeichnung den Koalitionsvertrag. Die Grünen haben nun nach einem Jahr Koalition ein Zwischenfazit gezogen. (Archivbild)

Seit einem Jahr regieren CDU und Grüne in NRW. Experten waren kritisch, ob das Bündnis reibungslos funktionieren würde. Die Grünen zogen jetzt ein überraschend positives Zwischenfazit. 

Die Landesvorsitzenden der Grünen haben eine positive Bilanz über die schwarz-grüne Koalition in NRW gezogen. Die gemeinsame Arbeit sei davon gekennzeichnet, dass man „gut und konstruktiv“ miteinander umgehe und an der Sache arbeite, sagte Landeschef Tim Achtermeyer vor Journalisten in Düsseldorf.

Politiker von CDU und Grünen kämen aus unterschiedlichen politischen Kulturen, würden aber stets versuchen, sich in die Perspektive des anderen zu versetzen und dann „das Beste aus beiden Welten“ als Ergebnis zu erzielen. Auch die Co-Vorsitzende Yazgülü Zeybek lobte das Bündnis: „Wir sind auf einem sehr guten Weg in NRW.“

CDU und Grüne hatten nach der Landtagswahl im vergangenen Jahr eine „Zukunftskoalition“ ausgehandelt, in der die Grünen drei Ministerposten übernahmen. Die Parteivorsitzenden begrüßten vor allem die aus ihrer Sicht großen Fortschritte bei der Umsetzung der Energiewende. Menschen und Unternehmen würde die klimafreundliche Transformation vorantreiben, hieß es. So seien in den ersten vier Monaten des Jahres doppelt so viele Solaranlagen gebaut worden wie im Vorjahreszeitraum. „Das macht mich zuversichtlich und auch stolz“, sagte Achtermeyer, denn der Ausbau sei „nicht einfach gewesen in so einer schwierigen Zeit“.

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Keine Austrittswelle wegen Habeck

Der Streit um das Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck habe nicht zu einer Austrittswelle geführt, erklärte Zeybek. Nun komme es darauf an, bei der Wärmewende eine breite Akzeptanz zu schaffen, indem sie sozialgerecht gestaltet werde. Dabei sei eine einkommensabhängige Förderung von bis zu 80 Prozent der richtige Hebel.

Achtermeyer hob den Plan hervor, einen zweiten Nationalpark einzurichten. Er bringe einen wichtigen Schritt für den Artenschutz im Land. Auf dem Landesparteitag, der am Wochenende in Münster stattfindet, soll ein Leitantrag zum Naturschutz verabschiedet werden, der Perspektiven aufzeigt, wie Klimaschutz und Landwirtschaft künftig enger verzahnt werden können.

Zu den Vorschlägen zählt unter anderem, auf Ackerflächen Solaranlagen zu installieren, unter denen Lebensmittel produziert werden. Damit könnten die Böden auch besser gegen Austrocknung geschützt werden, so Achtermeyer. Als wichtigen Erfolg für besseren Klimaschutz wertete er die Einführung des Deutschlandtickets, für das sich NRW-Umweltminister Oliver Krischer maßgeblich in Berlin starkgemacht habe.

BUND kritisiert Verkehrspolitik

Das Fazit der Umweltverbände zum ersten Jahr der Regierungszusammenarbeit fällt im Gegensatz zu den Grünen kritisch aus. Mit der Einigung zur Erweiterung des Tagebaus Garzweiler zur Braunkohlegewinnung werde das Land mit einer „schweren Klimaschutzhypothek“ belastet, sagte Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Bis 2030 werden noch 480 Millionen Tonnen CO₂ in die Atmosphäre geblasen. Auf diesen Hinterzimmerdeal können die Grünen nicht ernsthaft stolz sein. Es ist ein Fake, wenn die Grünen behaupten, man könne das 1,5-Grad-Ziel so noch erreichen.“

Insgesamt sei das erste Regierungsjahr von Schwarz-Grün eine schwere Enttäuschung. In der Verkehrspolitik seien vor allem „verbale Duftmarken“ gesetzt worden. „Verkehrsminister Krischer hatte die Autobahnausbau-Pläne des Bundes nach anfänglicher Kritik kommentarlos durchgewunken. Auf die angekündigte Prüfung des Landesstraßenbedarfplans warten wir vergeblich.“

Achtermeyer sieht „Booster“ für den Klimaschutz

Auch eine zielgerichtete, ökologische Agenda der Landesregierung sei nicht zu erkennen. Die Grünen würden von der CDU ausgebremst, die „auf dem ökologischen Auge blind“ seien. „Es tut der Sache nicht gut, dass die Zuständigkeit für die Landwirtschaft bei der CDU liegt“, so Jansen.

Achtermeyer verteidigte die Grünen gegen Kritik. Für den Autobahnbau in NRW sei nicht das Land, sondern der Bund zuständig. Der Kohlekompromiss könne sich „wirklich sehen lassen“. Wenn ähnliche Vereinbarungen in Ostdeutschland gelingen würden, könnte dies ein „Booster“ für den Klimaschutz werden.

Innenpolitik galt als mögliche Sollbruchstelle der Koalition 

Zum Konflikt um die polizeikritischen Äußerungen der Dozentin Bahar Aslan wollten sich die Vorsitzenden nicht weiter äußern. Die Innenpolitik war von Experten als mögliche Sollbruchstelle von Schwarz-Grün gehandelt worden. Bislang drangen keine größeren Konflikte nach außen.

Dem Klima in der Koalition ist offenbar so zuträglich, dass die zentralen Funktionen mit Politikern besetzt wurden, die neu im Amt sind und keine alten Rechnungen offen haben. Bei den Grünen sind zudem Politiker wie der frühere NRW-Umweltminister Johannes Remmel, der von der CDU wegen seiner „ideologischen Verbotspolitik“ stark kritisiert worden war, aus dem Parlament ausgeschieden.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und seine Stellvertreterin Mona Neubaur kommen gut miteinander aus. Die Spitzenkandidatin der Grünen stammt aus Bayern und wuchs in einem konservativen Milieu auf.

Auch Paul Ziemiak, Generalsekretär der NRW-CDU, lobte das Klima in der Koalition. „Mit Blick auf die Landesregierung kann man nur den Eindruck einer professionellen Zusammenarbeit und eines fairen Umgangs miteinander gewinnen", sagte der Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger". Gerade in Hinblick auf große Fragen der Transformation des  Industrielandes NRW sei es „ein Gewinn, dass CDU und Grüne schwierige Fragen einer gemeinsamen Lösung zuführen" würden.

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