Zwischen Brückendesaster und Lützerath-RäumungNRW-Regierung sieht sich auf Spur

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NRW-Regierungschef Hendrik Wüst mit Wirtschaftsministerin Mona Neubaur  (Grüne) am Dienstag im Düsseldorfer Landtag.

NRW-Regierungschef Hendrik Wüst mit Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) am Dienstag im Düsseldorfer Landtag.

Harmonie und Einsicht: Ministerpräsident Wüst räumt Fehler bei A45-Planung ein und nimmt Grundschüler in den Blick.

Nach sieben Monaten im Amt hat die schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen eine erste Bilanz gezogen und Schwerpunkte für 2023 benannt. Die Räumung von Lützerath, das Desaster um die A45-Brücke, der Lehrermangel - wie CDU und Grünen auf diese Themen blicken.

Gutes Klima bei Schwarz-Grün

Wenn Hendrik Wüst und Mona Neubaur gemeinsam auftreten, geben sie sich so, als wären sie alte Freunde. Auch in der Pressekonferenz zum Jahresauftakt wurde das besonders gute Klima der Zusammenarbeit in der neuen schwarz-grünen Koalition beschworen.

Die Regierung lebe davon, dass sie immer wieder zueinander finden müsse, sagte Neubaur. „Uns gelingt das auf eine sehr gute Weise.“ Wüst betonte, das Bündnis habe „Potenzial auch für die Zukunft. CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen - das passt, das funktioniert.“ Diese Koalition arbeite „menschlich und inhaltlich gut zusammen.“

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Die Grünen hatten sich nach der Landtagswahl gegen eine rechnerisch ebenfalls mögliche Ampel-Koalition nach Berliner Vorbild entschieden und das „Zukunftsbündnis“ mit der CDU geschmiedet. Die Räumung des Braunkohledorfs Lützerath führte nicht zu der von vielen Beobachtern erwarteten ersten großen Belastungskrise für das Bündnis. Beide Koalitionspartner lobten die Deeskalationsstrategie der Polizei.

Die erste schwarz-grüne Koalition in NRW ist seit knapp sieben Monaten im Amt. Neubaur betonte bei der Regierungsbilanz die Eigenständigkeit ihrer Partei. „Die Grünen werden sich nicht in die CDU integrieren oder andersherum.“ Wüst (47) und Neubaur (45) gehören derselben Generation an und arbeiten auf Augenhöhe miteinander. In Koalition mit der SPD (2010 bis 2017) hatten viele Grüne einen respektvollen Umgang vermisst.

Lützerath und die Grünen

Die Räumung von Lützerath hat die Umweltschutzpartei in NRW vor eine enorme Belastungsprobe gestellt. „Die letzten Wochen waren eine harte Zeit für die Grünen, auch für mich“, sagte Neubaur bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz. Die Kritik der Klimaschutzbewegung an den Grünen nannte sie „in Ordnung und für mich aus der Perspektive der Klimaschutzbewegung auch nachvollziehbar“.

Es sei klar, dass die Bewegung andere Forderungen stellen müsse als eine Wirtschaftsministerin. Proteste könnten den „Druck der Straße“ in den politischen Raum bringen. „Es ist uns Antrieb, diese Kraft des Protests zu nutzen“, so die NRW-Wirtschaftsministerin.

Neubaur verwies erneut auf Erfolge der Grünen bei dem Ausstiegs-Deal mit dem RWE-Konzern. „Ich weiß, was wir erreicht haben, ganz konkret für die Menschen im rheinischen Revier, was wir für den Klimaschutz erreicht haben“, sagte Neubaur. Man bestreite einen Teil des 1,5-Grad-Pfads auch durch den vorgezogenen Kohleausstieg. Außerdem habe man „eine physische Begrenzung des Tagebaus“ erreichen können.

Lützerath und die Polizei

Der Ministerpräsident und seine Stellvertreterin verteidigten den Polizeieinsatz in dem Braunkohledorf. Der Weiler bei Erkelenz wurde geräumt, weil RWE die Kohle darunter abbaggern will. Klima-Aktivisten hatten das Dorf besetzt. Im Zuge der Räumung kam es teilweise zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Polizeikräften. „Die Beamten haben vor Ort das Recht geschützt“, sagte Wüst. Er beschrieb das Vorgehen der Polizei als umsichtig und gerechtfertigt.

Von den 3700 Polizisten, die insgesamt im Einsatz waren, seien 102 verletzt worden. Der Einsatz sei „sehr gut und besonnen“ gelaufen, sagte auch Mona Neubaur und hob zugleich den überwiegend friedlichen Protest der Demonstranten hervor. „Gewalt bleibt inakzeptabel“, sagte Hendrik Wüst. Den Beamten in Lützerath gebühre „Dank und Respekt“. Ihre Leistung zeige sich auch darin, dass rund 400 Aktivisten das Dorf freiwillig verlassen hätten, so Neubaur.

Schneller mehr: Planungsbeschleunigung

In Zusammenarbeit mit dem Bund wünscht sich der Ministerpräsident einen „Pakt für Planungsbeschleunigung“. 

„Die deutsche Wirtschaftsnation braucht mehr Tempo“, so Wüst. Es gehe dabei vor allem auch darum, dass Genehmigungs- und Gerichtsverfahren verkürzt werden sollten. Als Beispiel nannte der Minister den raschen Bau der LNG-Terminals. Das sei durchweg positive aufgenommen worden. Solch ein Tempo wünsche er sich auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Mit dem Thema Energie sei auch die Industrie im Land eng verbunden.

„Wir sind ein Industrieland NRW und das wollen wir bleiben“, betonte Wüst. „Wir müssen also auch die Rahmenbedingungen schaffen, damit klimaneutrale Industrie auch bei uns entsteht und bleibt.“ Mehr Tempo forderte der Christdemokrat auch beim Leitungsbau, Pipeline-Bau und bei der Infrastruktur. Er forderte außerdem eine „Super-Sonderabschreibung“ auf Investitionen in grüne Technologien, um so einen Schub bei der Energiewende auslösen zu können.

A45 und Rahmede-Talbrücke

Weil die Tragfähigkeit der Autobahnbrücke Rahmede an der A 45 gefährdet ist, ist sie seit Dezember 2021 gesperrt, ein Verkehrschaos im Großraum Lüdenscheid die Folge. Ministerpräsident Wüst räumte nun ein, dass die Entscheidung für den Neubau der Brücke im Jahr 2014 rückblickend falsch gewesen sei.

Jedoch wies er darauf hin, dass eine solche Entscheidung, ob und wann eine Brücke neu gebaut werde, nicht in der Hand der Politik liege. „Das ist keine politische Entscheidung, sondern eine fachliche Entscheidung“, so der Ministerpräsident.

Weil die Oppositionsparteien SPD und FDP den Verdacht hegen, dass das Projekt in der Amtszeit Wüsts als Verkehrsminister (2017 bis 2021) verschoben wurde, haben sie in einem Brandbrief Akteneinsicht gefordert. Ursprünglich hatte die wichtige Brücke im Sauerland bereits 2019 neu gebaut sein sollen, doch der Termin war mehrfach verschoben worden. „Die betroffenen Menschen in der Region, die Unternehmen und auch die Kommunen, die alle unter den Auswirkungen der durchtrennten Lebensader A 45 leiden, haben daher einen Anspruch zu erfahren, warum es dazu kam“, so die Opposition.  

Das Bauwerk soll in diesem Jahr gesprengt werden und dann neu errichtet werden. Bis dahin belastet der Ausweichverkehr mehrere Gemeinden im Umland sehr stark. Die erste befahrbare Brückenhälfte soll nach derzeitigem Stand im Jahr 2026 fertig sein. 

Integration

Der Ministerpräsident sieht Integrationsprobleme in Deutschland nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund beschränkt. Das Phänomen der Respektlosigkeit von Kindern gegenüber Lehrkräften sei zum Beispiel nicht nur auf einen Personenkreis begrenzt, sagte Henrik Wüst. Integrations- und Sozialisationsprobleme bezögen sich auf ganz unterschiedliche Gruppen.

Die Lösung etwa für Gewalt in der Silvesternacht sei nicht ein Böllerverbot. Es sei falsch, nun eine Ausländer- oder Integrationsdebatte zu führen. Vielmehr müsse die Polizei so ausgestattet werden, dass sie in der Lage sei, Straftäter aus einer größeren Gruppe heraus dingfest zu machen – etwa mit Hilfe von Drohnen- oder Bodycam-Aufnahmen.

Wüst reagierte damit auf Äußerungen des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz über „kleine Paschas“ im Verlauf der jüngsten Migrationsdebatte.

Grundschulen 

Eines der wichtigsten Themen in der kommenden Wahlperiode sind für NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst Kinder und Bildung. Schon in der Grundschule müsse angesetzt werden, die Bildung zu verbessern. „Es tut mir in der Seele weh, wenn ich von Studien mitkriege, dass es schon in der Grundschule Schwierigkeiten beim Verstehen gibt“, beklagte Wüst.

„Damit sind Lesen und Schreiben noch gar nicht gemeint, sondern nur zu verstehen, was sagt der Lehrer da vorne.“ In solchen Fällen müsse mehr Betreuung möglich sein.

Gerade im Grundschulbereich gebe es aber überproportional viele unbesetzte Lehrpositionen im Vergleich zu anderen Schulen. „Wir werden in dieser Wahlperiode daher viel investieren, um den Beruf der Grundschullehrerin, des Grundschullehrers wieder attraktiver zu machen“, sagte Wüst. Die Regierung habe bereits Mittel geplant: „In diesem Jahr kostet das alleine 100 Millionen Euro. In der gesamten Wahlperiode sind es 900 Millionen Euro“, so Wüst.

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