„Politiker sollen hier mal ins Loch gucken“Was die Menschen in Lützerath bewegt und wie sie protestieren

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Manche Demonstranten haben sich angekettet, manche Steine geworfen oder gemeinsam gebetet. So verschieden ist der Lützerath-Protest.

Der Polizeieinsatz hat noch nicht begonnen, als sich eine kleine Gruppe von Christen zum Gottesdienst an einem unscheinbaren Ort versammelt, der selbst den Klimaaktivisten, die zum Teil seit Monaten im Braunkohledorf Lützerath ausharren, um es gegen die Räumung und die Zerstörung zu verteidigen, kaum bekannt ist. „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag“ singen die Menschen der Initiative „Die Kirchen im Dorf lassen“ vor der kleinen Eibenkapelle und halten sich an den Händen.

Lützerath, das ist nach den harten und letztlich erfolgreichen Kämpfen um den Erhalt des Hambacher Forsts der zweite symbolische Ort im Braunkohletagebau Garzweiler II im Rheinischen Revier. Ein Dorf, dessen Bewohner längst umgesiedelt wurden, und das die Kohlebagger des Energiekonzerns RWE Power weggefressen hätten, wäre nicht ein Landwirt standhaft geblieben. Im März 2022 hat Eckhardt Heukamp seinen letzten Prozess verloren und aufgegeben, im Oktober seinen denkmalgeschützten Hof an RWE verkauft und geräumt.

Klimaaktivisten wollen nun verhindern, dass Lützerath das letzte Opfer des fossilen Brennstoff-Zeitalters wird. Ihre ganze Wut richtet sich vor allem gegen die Grünen, die seit Mai 2022 in Nordrhein-Westfalen mit der CDU die Landesregierung bilden und mit Billigung der Bundesregierung am 4. Oktober mit dem RWE-Konzern einen aus ihrer Sicht „dreckigen Deal“ ausgehandelt haben.

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Deal war Todesurteil für das Dorf

Wegen der durch den russischen Überfall auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise in Deutschland werden zwei Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier länger als bisher geplant am Netz bleiben. Die beiden Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die ursprünglich bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, werden nun bis Ende März 2024 weiterlaufen. Ein Jahr Verlängerung ist danach noch möglich. Im Gegenzug wird der Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen um acht Jahre auf 2030 vorgezogen.

Das ist das Todesurteil für Lützerath. Während fünf Dörfer im Rheinischen Revier, die ebenfalls vor dem Aus standen, durch den früheren Ausstieg nun doch erhalten bleiben können, sei das Abbaggern von Lützerath unvermeidbar, sagt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne).

Die 110 Millionen Tonnen Kohle unter dem Ort würden wegen der Laufzeitverlängerung der Kraftwerke gebraucht. Durch den auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg sei sichergestellt, dass 280 Millionen Tonnen CO2 unter der Erde blieben. Das sei ein großer Erfolg für den Klimaschutz. Ob das so stimmt, ist höchst umstritten. Umweltverbände und Klimaschützern haben Gutachten und Studien vorgelegt, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen.

Eibenkapelle wird während der Gebete geräumt

Das wird die Eibenkapelle nicht retten. Das letzte Fleckchen Erde von Lützerath, das nach Auffassung der Initiative „Die Kirchen im Dorf lassen“ nicht in das Eigentum von RWE übergangen ist, sondern zur Pfarrei des ehemaligen Dorfes Immerath gehört, wird von der Polizei noch während der Gebete geräumt werden.

Der Einsatz mit Polizeikräften, die aus ganz Deutschland zusammengezogen wurden und den Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach vom Vorfeld als „schwierig, herausfordernd und mit erheblichen Risiken behaftet“ bezeichnet hat, beginnt im Morgengrauen. Die Szenerie in der riesigen Tagebaulandschaft, in der die Kohlebagger in großer Entfernung sich weiter durch das Erdreich graben, wirkt gespenstisch. Eine schier endlose Karawane aus Polizeifahrzeugen bewegt sich auf den wenigen Straßen zu den in Flutlicht getauchten Sammelplätzen.

Dirk Weinspach, der Polizeichef aus Aachen, spricht mit einer Braunkohlegegnerin, sie ist aber nur von hinten zu sehen.

Polizeichef Dirk Weinspach im Gespräch mit einer Aktivistin.

Dort, wo einmal der Ortseingang zu Lützerath war, hockt eine kleine Gruppe von Aktivisten hinter einem Drahtzaun, der mit einer Barrikade so gar nichts zu hat, im strömenden Regen vor einem Feuer. Auf einem Erdwall stehen Klimagegner in weißen Infektionsschutzanzügen einer Gruppe Polizisten gegenüber. „Wir gehen davon aus, dass die Polizei den Ort einschließen und anschließend einen Zaun ziehen wird“, sagt einer von ihnen. Es ist exakt das Szenario, das eine Stunde später eintreten wird. Ein anderer sucht das Gespräch mit den Beamten. „Ich an eurer Stelle wäre verdammt sauer auf die, die euch in diesen Einsatz schicken“, sagt er.

Es ist ein Einsatz, der entgegen vorherigen Erwartungen in dieser ersten Phase ohne größere Auseinandersetzungen abläuft. Um 8.40 Uhr rücken Hundertschaften von allen Seiten langsam auf das Dorf vor, durchkämmen das Gelände. Der ehemalige weitläufige Bauernhof mit seinem denkmalgeschützten Hauptgebäude und mehreren großen Wirtschaftsgebäuden ist nach knapp zwei Stunden und einigen kleineren Gewaltausbrüchen gesichert.

Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen sowas machen können
NRW-Innenminister Herbert Reul

Ein paar Steine und Flaschen fliegen, zwei Molotow-Cocktails werden gezündet. „Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen sowas machen können“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittag in Bonn.

Auf dem Teil des Geländes, das früher eine Wiese war, haben die Klimaaktivisten in den vergangenen Monaten knapp 30 Baumhäuser errichtet. Deren Bewohner harren ebenso aus wie etliche Aktivisten, die sich auf hohe Holzkonstruktionen, sogenannte Tripods, gesetzt haben.

Nach einer guten Stunde haben die Hundertschaften die Lage unter Kontrolle. Die ersten Besetzer verlassen das Gelände und kommen damit der Aufforderung der Polizei nach. Die kündigt an, in Kürze einen 1,5 Kilometer langen Zaun um das Dorf zu ziehen. Man wolle damit niemanden einsperren, sondern lediglich die Rückkehr derjenigen auf das Gelände verhindern, die es bereits verlassen haben, teilt die Polizei über einen Lautsprecherwagen mit.

Zur Deeskalation tragen auch drei Teams mit sogenannten Kommunikationsbeamten bei, die aus dem Kreis Heinsberg stammen und seit Wochen mit dem friedlichen Teil der Klimaaktivisten in Verbindung stehen und denen nach Aussage des Aachener Polizeipräsidenten Weinspach eine besondere Rolle bei der Räumung zukommt.

Am Nachmittag verlagert sich der Protest auf den Dorfkern. Das scheint im Vorfeld unter den Aktivisten so abgesprochen. Die Polizei räumt eine der ehemals landwirtschaftlich genutzten Hallen, in denen die Gemeinschaftsküche der Besetzer untergebracht war. Auch eine zweite Halle, in der eine Skateranlage für Jugendliche eingerichtet werden sollte, wird gesichert.

Streit über Kohle-Förderung

Lützerath: Bilder der Räumung

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„Die Aktivistinnen und Aktivisten haben im Dorf ihre Blockadeorte eingenommen“, sagt eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“. Sie halten demnach Baumhäuser und die wenigen Gebäude in dem kleinen Ort nahe der Abbruchkante des Braunkohletagebaus Garzweiler besetzt - also unbewohnte Einfamilien- und Bauernhäuser. In den Gebäuden kleben oder ketten sich die Protestierenden fest. „Sie versuchen dann, sich zum Beispiel mit Handschellen an ein Rohr zu ketten.“

In manchen Fällen seien die Rohre einbetoniert. Das erschwere den Einsatz der Polizeikräfte, die den Beton erst aufbrechen müssten. Das Ziel sei, den Protest in die Länge zu ziehen und den Einsatz zu erschweren.

Tragen Sie uns ruhig weg. Wir werden hier so lange protestieren, wie es uns möglich ist. Und danach anderswo
Theologin Gudula Frieling von der Initiative „Die Kirchen im Dorf lassen“

Auf der Straße am Ortseingang liegen am Mittag die Theologin Gudula Frieling und einer ihrer Mitstreiter der Initiative „Die Kirchen im Dorf lassen“. Die geweihte Kerze aus dem vor vier Jahren abgerissenen Immerather Dom hält ihre Mitstreiter in seinen Händen. Zitternd und wütend wendet sich die Theologin an den Polizeibeamten, der sie höflich bittet, sie möge die Straße räumen. „Tragen Sie uns ruhig weg. Wir werden hier so lange protestieren, wie es uns möglich ist. Und danach anderswo.“

In der Mahnwache, die nach wie vor unangetastet ist, hat sich Hajo mit seiner Eisbärverkleidung symbolisch an eine Zeltstange angekettet. Seit zwei Jahren lebt er in Lützerath. Er sei damals gekommen, weil er die Klimapolitik der Regierung mit seinem Gewissen nicht mehr habe vereinbaren können.

Ein Mann hat sich als Eisbär verkleidet und an eine Zeltstange gekettet. Auf seiner Brust ist das gelbe Kreuz zu sehen, das die Besetzer von Lützerath auch am Ortseingang errichtet hatten.

Protestierender Hajo in Eisbärverkleidung: „Wenn die Politiker von Vernunft reden, sollen sie hier mal in das Loch gucken. Dann wissen sie, wofür sich die Aktivisten hier einsetzen.“

„Wenn die Politiker von Vernunft reden, sollen sie hier mal in das Loch gucken. Dann wissen sie, wofür sich die Aktivisten hier einsetzen.“ Es sei doch eigentlich die Aufgabe des Staates, „unsere Ressourcen und das Klima zu schützen“, sagt er. Man werde so lange wie möglich in der Mahnwache bleiben und passiven Widerstand leisten.

Am Nachmittag beginnt die Polizei damit, die Menschen aus den Baumhäusern zu bringen. Mit Hubstaplern leeren die Einsatzkräfte der Polizei die Tripods auf der Zufahrtstraße. Auch das Dorf ist in großen Teilen schon leer. Dennoch harren viele Klimaaktivisten noch in schwindelerregender Höhe in den Baumhäusern aus. Der Zaun um Lützerath steht.

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