„Brutales Geschäft“Ausgebootet – das sind die Verlierer von Schwarz-Grün in NRW

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Schwarz und Grün: der Koalitionsvertrag für NRW 

Düsseldorf – Fünf Jahre lang war Klaus Kaiser (CDU) parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaften des Landes NRW. Als der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) den Pädagogen 2017 auf den Posten berief, ging für den ehemaligen Leiter der Volkshochschule im Sauerland ein Traum in Erfüllung. Doch der ist ausgeträumt.

Kaiser musste seinen Dienstwagen abgeben. In der neuen Legislaturperiode ist der Christdemokrat wieder ein ganz normaler Landtagsabgeordneter. Kaiser gehört zur Riege der Politiker, die durch die neue schwarz-grüne Regierungskonstellation ihre prestigeträchtigen Jobs verloren haben.

Der neue und alte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte die Kabinettsliste von Schwarz-Grün einen Tag nach seiner Wahl im Landtag vorgestellt – wohlwissend, dass Personalentscheidungen immer zu Unruhe führen und Abweichler in den Regierungsfraktionen produzieren können. Der CDU-Politiker Kaiser sitzt seit 2000 im Düsseldorfer Landtag, er ist ein alter Hase, der die politischen Zusammenhänge in der NRW-CDU so gut wie wenige andere kennen. Deswegen wurde er 2017 der parteilosen Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen an die Seite gestellt, als „Statthalter“ der CDU in dem wichtigen Haus. In dieser Rolle wurde er jetzt nicht mehr gebraucht. Wüst setzt vollstes Vertrauen in die neue Chefin des Kultur- und Wissenschaftsressort, Ina Brandes. Kaiser hatte ausgedient.

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Auch für den früheren NRW-Justizminister Peter Biesenbach war die Veröffentlichung der Kabinettsliste ein bitterer Moment. Der Politiker aus Hückeswagen hatte sich bis zuletzt Hoffnung gemacht, auch in der künftigen Legislaturperiode wieder der Regierung anzugehören. Aber im Poker um die Machtverteilung verlangten dann die Grünen überraschend das Justiz-Ressort - wohl in der Annahme, mit diesem Zug die Null-Toleranz-Politik von NRW-Innenmister Herbert Reul (CDU) bremsen zu können.

Eine strategische Entscheidung der Grünen, die Biesenbach, der bei den Koalitionsgesprächen von CDU und Grünen noch mitverhandelt hatte, zum Polit-Rentner machte. Denn in der Hoffnung auf eine Weiterbeschäftigung als Minister hatte das CDU-Urgestein auf eine weitere Landtagskandidatur verzichtet. Neuer Justizminister ist der Bonner Jurist Benjamin Limbach. Der Sohn der früheren Verfassungsrichterin Jutta Limbach (SPD) ist seit 2018 Mitglied bei den Grünen.

Neben Biesenbach erhielt auch Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) die Entlassungsurkunden. Er war 2017, wie Pfeiffer-Poensgen, auf besonderen Wunsch von Armin Laschet ins Kabinett gekommen. Anders als Laschet musst sich Wüst den beiden nicht persönlich verpflichtet fühlen. In der Kulturszene löste die Ablösung von Pfeiffer-Poensgen Verärgerung aus – die neue Ressortchefin Brandes, eine Baumanagerin, war früher Verkehrsministerin - und bislang nicht durch eine besondere Affinität für ihr neues Fachgebiet aufgefallen.

Die Ressortzuschnitte und die Besetzung der Spitzenposten werden erst nach Abschluss der Koalitionsgespräche im engsten Führungszirkel ausgehandelt. Dies sei ein „hartes Ringen gewesen“, sagte die Chefverhandlerin der Grünen, Mona Neubaur, nach Bekanntgabe der Personalliste. Der Verlesung der Ministerposten fiebern die Landespolitiker wie einer Krönungsmesse entgegen.

„Politik kann brutal sein." Selten hört man diesen Satz in Düsseldorf so häufig wie bei der Postenvergabe nach einer neuen Regierungsbildung. Alte Fahrensmänner, wie der frühere Innenstaatssekretär Jürgen Mathies aus Köln, müssen ihre Büros räumen. Andere, die schon von der politischen Bühne in der Landeshauptstadt abgetreten waren, kehren unerwartet wieder ins Rampenlicht zurück. So wurde der frühere CDU-Sprecher Matthias Heidmeier zum Staatssekretär im Haus von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ernannt. Heidmeier und Wüst waren in der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers (2005 bis 2010) enge Vertraute. In der Coronakrise hatte Edmund Heller, einer der erfahrensten Staatssekretäre im Regierungsgeschäft, seinem Chef den Rücken freigehalten. Er schied auf eigenen Wunsch aus.

Auch bei den Grünen lösten die Personalentscheidungen Diskussionen aus. So war der Kölner Verkehrsexperte Arndt Klocke eigentlich als Verkehrsminister gesetzt. Aber dann verständigten sich Wüst und Mona Neubaur, die Chef-Verhandlerin der Grünen, darauf, dass das Verkehrsministerium und das Umweltministerium zusammengelegt werden sollten. Mit der Schaffung eines Groß-Ressorts wollte Neubaur offenbar ihren politischen Verbündeten Oliver Krischer von einem Wechsel ins NRW-Kabinett überzeugen. Der Politiker aus Düren war bis vor kurzem Parlamentarischer Staatssekretär im Berliner Wirtschaftsministerium von Robert Habeck. Krischer nahm das Angebot an.

Kölner Klocke: „Lebbe geht weiter"

Klocke sah sich kurz vor dem Ziel kaltschnäuzig ausgebootet. Doch er behielt die Contenance, war beim Grünen Parteitag für den Koalitionsvertrag, der im Verkehrsbereich eine „klare grüne Handschrift“ trage. Zu seiner persönlichen Befindlichkeit erklärte er auf Facebook: „Lebbe geht weiter“. Klocke zitierte damit Kult-Fußballtrainer Dragoslav Stephanovic, der den lapidar anmutenden Kommentar abgab, nachdem sein Team Eintracht Frankfurt 1992 die Deutsche Meisterschaft verspielt hatte.

Auch der grüne Landtagsabgeordnete Norwich Rüße kam bei der Postenverteilung nicht zum Zuge. Der Öko-Landwirt aus dem Münsterland hatte sich Hoffnungen gemacht, in einer schwarz-grünen Landesregierung Minister für Umwelt und Landwirtschaft zu werden. Seine Ambitionen wurden durch den neuen Zuschnitt der Ressorts zunichte gemacht: Der Bereich Landwirtschaft wurde auf Wunsch der CDU vom Umweltbereich abgekoppelt der Union zuschlagen, die den Ministerinnenposten mit Silke Gorißen besetzte. Es sei ein schwerer Fehler gewesen, den Agrarbereich an die CDU abzutreten, polterte Rüße in einem Brandbrief an die Fraktion. Da waren die Würfel aber schon gefallen.

Rüße gehörte – wie Klocke - nicht zum direkten Umfeld von Neubaur - und war in der Vergangenheit bei Fraktionssitzungen eher als kritischer Geist aufgefallen. „Ein guter Draht zur Chefin war bei der Postenvergabe ein Kernkriterium“, heißt es bei den Grünen.

Deswegen ging wahrscheinlich auch der frühere Fraktionschef Mehrdad Mostofizadeh leer aus. Er war bei der Kommunalwahl als OB-Kandidat der Grünen in Essen angetreten und wird für ministrabel gehalten. In der Corona-Krise hatte sich Mostofizadeh als Gesundheitsexperte der Grünen profiliert. Doch auch für ihn fand sich kein Platz im schwarz-grünen Regierungsteam. Auch als Staatssekretär wurde er nicht berücksichtigt.

Enttäuscht über die Personalentscheidungen von Schwarz-Grün dürfte wohl auch die frühere Spitzenfrau der NRW-Grünen, Sylvia Löhrmann, sein. Die Solingerin ist seit 2020 Generalsekretärin des Vereins „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ und war bei den Grünen für die Position der Antisemitismus-Beauftragen der Landesregierung gehandelt worden. Doch Wüst will es anders und hält an der FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fest, die das Amt seit 2018 bekleidet. Wüst-Vorgänger Laschet soll Löhrmann bereits damals für das Amt vorgeschlagen haben, war offenbar aber am Veto seines liberalen Koalitionspartners gescheitert. „Warum der Weg für Löhrmann durch Schwarz-Grün nicht fei wurde, ist mir schleierhaft“, sagt ein Mitglied des Verhandlungsteams der Grünen enttäuscht.

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Der CDU-Politiker Klaus Kaiser hat in seiner langen politischen Laufbahn schon viele Regierungschefs kommen und gehen sehen und viele Aufs und Abs erlebt. Der Sauerländer geht mit seiner neuen Situation gelassen um. Er werde seine zurückgewonnene „Beinfreiheit“ jetzt für die Arbeit im Wahlkreis nutzen, kündigt der 65-Jährige an. Wenn man nicht mehr zur unbedingten Loyalität mit der Regierungspolitik verpflichtet ist, kann das auch befreiend sein.

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