Rechtsextreme Bedrohung„Die Identitäre Bewegung will die Demokratie abschaffen“

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Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) in Handschellen raus.

Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger im Dezember führen vermummte Polizisten nach der Durchsuchung seines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß in Handschellen raus.

Die Kölner Wissenschaftlerinnen Annika Krahn und Recha Allgaier-Honal sprechen im Interview über die rechtsextreme Identitäre Bewegung und den neuen Fokus auf Cancel Culture.

Frau Krahn, Frau Allgaier, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Jung, rassistisch, identitär - Bedrohungspotentiale für unsere Gesellschaft“ über rechtsextremistische Bewegungen. Was war der Anlass für Ihre Recherchen?

Allgaier: Wir beobachten seit etwa zehn Jahren eine Verschiebung in der Sprache und im Umgang miteinander, die wir bedenklich finden. Während der Flüchtlingskrise war etwa häufig die Rede von einer Flut oder einer Welle: Eine solche Sprache sieht den einzelnen Menschen nicht mehr, sondern macht Menschen zu einer diffusen und anonymen Masse. Wir wollten hinschauen: Was passiert da in der Gesellschaft? Wer sind die treibenden Kräfte?

Sie nehmen die sogenannte Identitäre Bewegung in den Fokus. Was macht diese rechte Gruppierung aus, wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?

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Krahn: Die haben mir vor einigen Jahren einen Flyer in meinen Briefkasten in Köln geworfen, in dem es darum ging, dass Frauen in Deutschland 2025 alle mit Burkas verschleiert sind. Die Angst vor der sogenannten Islamisierung des Abendlandes ist ein Narrativ, dass wir schon von Pegida und der Pro-Köln Bewegung kennen. Die Identitäre Bewegung will auf den ersten Blick als normale Jugendbewegung rüberkommen, nicht als Nazis in Bomberjacken, sondern vermeintlich hip. Trotzdem ist ihr Menschenbild absolut reaktionär und ihre Botschaften nationalistisch-völkisch. Sie sind gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und gegen Pluralismus.

Allgaier: Genau das macht die Gruppe gefährlich, dass sie anders als andere Rechte daherkommen, dass sie eine andere Sprache wählen und sich auf der Oberfläche von bekannten nationalistisch-völkischen Konzepten distanzieren. Denn dadurch sind sie viel anschlussfähiger. Dafür wollen wir sensibilisieren.

Wogegen grenzen sich die Identitären denn vordergründig ab?

Allgaier: Ein Beispiel ist ihre Rede vom Ethnopluralismus. Die Identitären behaupten von sich, nicht rassistisch zu sein: Alle Völker hätten gleichermaßen ihre Berechtigung, solange sie in ihrem Territorium bleiben und sich nicht vermischen. Letztlich ist es das natürlich nichts anderes als Rassismus, wenn Menschen einer anderen ethnischen Herkunft bei uns unerwünscht sind, ebenso wie binationale Ehen. Und natürlich gibt es eine Hierarchisierung von aus Sicht der Identitären höherstehenden Kulturen. Auch legen die Identitären nach außen hin Wert darauf, dass sie nicht antisemitisch sind. Bei näherem Hinschauen finden sich aber viele Indizien für Antisemitismus, wenn etwa die Rede ist von der „amerikanischen Ostküste“ oder diffusen Mächten, die im Hintergrund die Fäden ziehen.

Wo ist Ihnen die Identitäre Bewegung bereits in Köln begegnet?

Krahn: Als 2020 das „Umweltsau“-Lied nach einer Satire-Sendung im WDR breit diskutiert wurde, haben die Identitären das WDR-Gebäude mit Transparenten und einem großen Banner eingehüllt. Ihre Botschaft: Die ältere Generation dürfe auf keinen Fall verunglimpft werden, die „Zwangsgebühren“ dürften nicht für ein derart schändliches Video ausgegeben werden.  Sie kleben aber auch Flyer und Plakate auf Arabisch oder auf Farsi in die Nähe von Flüchtlingsunterkünften. Die Botschaft: Geht nach Hause, ihr habt hier nichts zu suchen. Natürlich sind sie auch bei allen Pro-Köln oder Pegida-Kundgebungen dabei. Seit einiger Zeit haben sie sich besonders fokussiert auf den Begriff der Cancel Culture.

Allgaier: Die Identitären sind sehr geschickt darin, Themen auszuwählen, mit denen man die größtmögliche Zustimmung erreichen kann. Anschläge oder Gewalttaten, die von geflüchteten Menschen verübt werden, oder Angriffe gegen Frauen sind besonders beliebt für Stimmungsmache. Allerdings sind Gewalttaten gegen Frauen nur so lange interessant, wie sie von Menschen mit Migrationshintergrund verübt werden.

Sie kritisieren, dass Kategorien wie links oder rechts immer weniger taugen, um extremistische Tendenzen zu beschreiben. Wieso?

Krahn: Schriftsteller beispielsweise Götz Kubitschek bezeichnen sich selbst stolz als rechts und grenzen sich gegen „links-grün-versifft“ ab. Allerdings suggeriert die Rede von rechts und links, dass es so eine Art Hufeisen mit extremen Rändern gibt, um die man sich kümmern muss. Wir stellen fest, dass sich der Verfassungsschutz und die Polizei immer wieder schwer damit tun, einen Anschlag als rechtsextrem zu benennen. Man könnte auch viel besser mit Ideologien oder Gesinnungen arbeiten als mit den Schubladen links oder rechts, nationalistisch-völkischen Ideologien etwa.

Allgaier: Ein Problem sehe ich auch darin, dass sich die Mitte nach rechts verschoben hat. Was heute Mehrheitsmeinung ist, sind nicht mehr die gleichen Standpunkte wie noch vor 10 oder 15 Jahren. Wir merken eine Diskursverschiebung darin, wie man über Migration redet. Die Rechte kann Erfolge darin verbuchen, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Haben Sie konkrete Beispiele dafür?

Allgaier: In den 90er Jahren gab es noch sogenannte Multikulti-Feste, die im Sinne der Völkerverständigung gemeint waren. Heute ist das Wort „Multikulti“ nur noch in einer ironischen, abwertenden Weise denkbar, der Begriff hat eine Umdeutung erfahren. Genauso das Wort „Einzelfall“, das heute sofort mit Gewalttaten durch geflüchtete Menschen assoziiert wird. Der CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen hat sich mit solchen und ähnlichen Begriffen ebenfalls gerühmt, aber auch Friedrich Merz wäre zu nennen mit seinem Begriff des Asyl-Tourismus.

Die Identitäre Bewegung ist zwar nicht verboten, aber sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet, etliche Seiten im Internet sind gesperrt worden. Wie eng ist die Verbindung zwischen den Identitären und der AfD?

Krahn: Nur weil eine Partei demokratisch legitimiert ist, ist sie noch nicht demokratisch. Wir finden im AfD-Wahlprogramm zahlreiche Parallelen zur Identitären Bewegung. Unsere Recherchen haben ergeben, dass viele ehemalige Mitglieder der Identitären jetzt als Referenten für die AfD im Bundestag arbeiten.

Allgaier: Es geht es den Identitären und auch anderen neuen Rechten nicht zuerst um unmittelbare politische Einflussnahme durch Mandate, sondern um Diskursverschiebungen. Aber eine veränderte öffentliche Meinung schlägt sich irgendwann auch in einem Wahlverhalten nieder. In gewisser Weise bereiten Bewegungen wie die Identitären den Boden für Parteien wie die AfD – bis hin zur konkreten Zusammenarbeit.

Krahn: Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gab es eine sehr gute Recherche zur Verbindung der Identitären Bewegung und der jungen Alternativen in Leverkusen. Da wurde Geld hin und her geschoben, man hat sich gegenseitig auf Vorträge eingeladen.

Derzeit wird viel über Aktionen der „Letzten Generation“ diskutiert. Was viele nicht wissen: Auch die Rechten nehmen diesen Begriff für sich Anspruch.

Allgaier: Das stimmt. Man stilisiert sich zur letzten Generation, die noch die Möglichkeit hat, bestimmte Entwicklungen wie den sogenannten großen Austausch aufzuhalten. Das ist eine Verschwörungserzählung, die besagt, der geheime Plan der Politik bestehe darin, die Bevölkerung Europas durch eine andere muslimische Bevölkerung auszutauschen.

In eine ähnliche Richtung ist jüngst Hans-Georg Maaßen mit seiner Behauptung gegangen: „Nach grün-roter Rassenlehre sind Weiße eine minderwertige Rasse.“

Krahn: Das ist natürlich alles großer Quatsch und nicht im Ansatz irgendwie vergleichbar mit der „Letzten Generation“, die sich gegen den Klimawandel einsetzt. Der Vergleich ist ein Unding, wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Bedrohungspotenziale sind, die von beiden Gruppen ausgehen.

Stichwort Klima-RAF?

Krahn: Die Identitären sehen sich als Generation, die daran arbeiten, Migration zu stoppen und die Demokratie abzuschaffen, damit es wieder eine Führerfigur gibt. Die Klima-Aktivisten haben zwei Forderungen: ein Neun-Ticket und ein Tempolimit auf der Autobahn.

Seit der Pandemie sind Verschwörungserzählungen viel mehr ins Bewusstsein gerückt. Was macht sie so erfolgreich?

Krahn: Verschwörungs-Erzählungen spielen mit Ängsten und bieten eine ganze einfache Antwort. Die Sorgen und Ängste, die in der Pandemie groß waren, hat viele Menschen in diffuse Netzwerke getrieben, die Verschwörungs-Narrative anbieten.

Allgaier: Verschwörungs-Erzählungen sind schwarz-weiß, also das Gegenteil von komplex und ambivalent.

Die Reichsbürger-Razzia im Dezember war ein Schock. Für Sie auch?

Allgaier: Die Razzia ist ein erschreckendes Beispiel dafür, dass Menschen, die nicht ernst genommen werden und als merkwürdige Spinner gelten, gefährlich sein können. Dass sie Verbindungen haben zur Militärpolizei, in die Politik, in die Justiz, dass sie bewaffnet sind und Geld haben. Es ist wichtig, das Bedrohungspotential zu erkennen, das von denen ausgeht.

Krahn: Ich war beruhigt, wie wehrhaft unser freiheitlich-demokratischer Staat sein kann. Genau wie auch die Lauterbach-Entführung vereitelt wurde.

„Du Jude“ ist ein ganz übliches Schimpfwort geworden
Annika Krahn

Die Rechten benutzen Krisen, um zu instrumentalisieren. Müssen wir uns angesichts immer mehr Krisen also auch auf eine größere Bedrohung von rechts einstellen?

Allgaier: Ich fürchte schon. Dass die Bedrohung zunimmt, ist aber kein Naturgesetz. Jeder muss sich fragen: Was kann ich dagegen tun? Gerade junge Menschen müssen immunisiert werden.

Krahn: Es werden weitere Umstürze geplant werden. Wir sind alle gefragt als Gesellschaft, wehrhaft zu sein und zu reflektieren: Wie funktioniert Radikalisierung? Wie funktionieren Algorithmen? Was passiert im Dark Social?

Was ist das Dark Social?

Krahn: Das sind soziale Netzwerke, in denen sich Identitäten kaum verfolgen lassen und in denen sich Rechte besonders häufig tummeln. Telegram ist ein bekanntes Beispiel dafür, wo die Identitären aktiv sind, aber auch Menschen wie Attila Hildmann. Ein weiteres Beispiel ist das russische Netzwerk VK.

Frau Krahn, Sie unterrichten Kinder und Jugendliche in Köln zu den Themen Rassismus und Antisemitismus. Wofür müssen die sensibilisiert werden?

Krahn: „Du Jude“ ist ein ganz übliches Schimpfwort geworden. Es werden Hakenkreuze gemalt, ohne zu wissen, was dieses Zeichen bedeutet. Darum kann man Erinnerungskultur nie zu geringschätzen.

Zu den Personen: Annika Krahn ist Theologin und Lektorin für Religionspädagogik an der Uni Köln. Recha Allgaier-Honal ist Judaistin und Historikerin und beschäftigt sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus, vor allem im Bereich der Museums- und Gedenkstätten-Pädagogik.

Ihr Buch „Jung, rassistisch, identitär – Bedrohungspotentiale für unsere Gesellschaft“ ist im Dittrich-Verlag erschienen.

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