Tihange in BelgienNeue Angst vor alten Pannen-AKWs

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Das belgische Kernkraftwerk Doel bei Beveren

Düsseldorf – Das Atomkraftwerk im belgischen Tihange liegt etwa 60 Kilometer Luftlinie von Aachen entfernt. Die Anlage gilt als störanfällig. Schon vor zehn Jahren wurden in den Reaktordruckbehältern Tausende von Haarrissen festgestellt. 2025 sollte das Pannen-AKW vom Netz gehen, ebenso wie das kaum weniger problembehafte Kernkraftwerk Doel. Bei beiden AKW gingen die ersten Blöcke 1975 ans Netz.

Doch angesichts drohender Energie-Engpässe hat die belgische Regierung jetzt beschlossen, die Laufzeit der beiden Reaktoren um zehn Jahre zu verlängern. Eine Entscheidung, die in NRW große Besorgnis ausgelöst hat.

„Die Reaktoren sind für eine Laufzeit von 40 Jahren konstruiert gewesen. Wenn sie jetzt länger am Netz bleiben, nimmt die Anfälligkeit für Störfälle natürlich zu“, sagte Jörg Schellenberg, Sprecher des Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das Risiko, dass von der Anlange ausgehe, steige also an. „Mit dieser erschreckenden Entwicklung haben wir nicht gerechnet“, so Schellenberg.

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Landesregierung nimmt Bedrohung ernst

Die Bedrohung durch Störfälle in den belgischen AKWs wird von der Landesregierung sehr ernst genommen. Der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte die Angelegenheit zur Chefsache erklärt und versucht, die Belgier durch Energielieferungen aus NRW zur Abschaltung zu bewegen. Der Vorstoß verlief allerdings im Sande. In der Städte-Region Aachen wurden Jodtabletten an die Menschen verteilt, die das Risiko von Krebserkrankungen im Fall einer erhöhten Strahlenbelastung abmildern sollen.

Die Präparate sind allerdings im Dezember 2021 abgelaufen. Ein neues Konzept sieht vor, dass die Jodtabletten im Ernstfall dezentral verteilt werden sollen. Die Festlegung des Zeitpunkts, zu dem die Bürger die Jodtabletten einnehmen sollen, erfolge durch das Land, erklärte ein Sprecher von NRW-Innerminister Herbert Reul (CDU) auf Anfrage. Ob das funktioniert, wird allerdings von Kritikern bezweifelt. Die Vorwarnzeit bei einem Atomunfall in Belgien kann bei einer ungünstigen Wetterlage extrem kurz sein.

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Das Atomkraftwerk Tihange am Ufer des Flusses Maas

Nun fordern die Grünen Laschets Nachfolger Hendrik Wüst auf, erneut das Gespräch mit den Nachbarn zu suchen. „Strahlung kennt keine Grenzen“, sagte Landeschefin Mona Neubaur dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die „berechtigten Befürchtungen und Ängste, die die Namen Tihange und Doel bei den Menschen auslösen, dürfen von der Landesregierung nicht einfach ignoriert werden“, sagte die Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl. Ministerpräsident Wüst sollte jetzt „schnell auf Gespräche auf Chefebene mit der belgischen Regierung drängen“, verlangte Neubaur.

„Eines muss immer klar sein: Können grundlegende Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden, kann ein Weiterbetrieb von Atomkraftwerken keine Option sein.“ Ein größerer Störfall könnte „potenziell massive Auswirkungen auch auf NRW“ haben.

Risikobewertung: Einigkeit zwischen Grünen und FDP 

Was die Risikobewertung der belgischen Reaktoren angeht, befinden sich die Grünen diesmal in seltener Eintracht mit der FDP im Düsseldorfer Landtag. Belgien entscheide zwar eigenständig und souverän über seine Stromversorgung, sagte der energiepolitische Sprecher Dietmar Brockes.

„Die Verantwortung für das Betreiben von Atomkraftwerken endet jedoch nicht an der Landesgrenze“, fügte der Liberale hinzu. „Wir erwarten, dass die belgische Regierung die Sorgen der Menschen in der Grenzregion mit Blick auf die Sicherheit von den Atommeilern in Tihange und Doel ernst nimmt“, so Brockes.

Christian Untrieser, Energie-Experte der CDU, sieht das ähnlich: „Wir erwarten eine intensive und transparente Überprüfung der Meiler in der belgischen Grenzregion. Besteht die reale Gefahr eines Unfalls, müssen die Kraftwerke vom Netz.“

Pinkwart geht von kürzerer Laufzeit aus

Das von dem FDP-Politiker Andreas Pinkwart geführte NRW-Wirtschaftsministerium setzt offenbar darauf, dass die belgische Regierung die angekündigte Laufzeitverlängerung um zehn Jahre nicht bis zum Ende ausschöpft. „In persönlichen Gesprächen mit der belgischen Regierung hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren darauf gedrängt, dass die mit Rissen behafteten Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 zeitnah vom Netz genommen werden“, heißt es in einer Stellungnahme des Pinkwart-Ministeriums.

„Das ist uns in den Gesprächen von der belgischen Regierung zugesagt worden und daran hält sie nach den vorliegenden Informationen auch fest“. NRW werde auf eine umfassende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung und strenge Maßstäbe bei der umfassenden Sicherheitsüberprüfung pochen, verspricht das Wirtschaftsministerium.

Angriffe auf AKW: Kutschaty verweist auf Risiko

Thomas Kutschaty, der Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag, wies darauf hin, die russischen Angriffe auf AKW würden zeigen, wie groß die Risiken der Atomkraft seien. „Ich frage mich schon, warum von Ministerpräsident Wüst dazu aber nichts zu hören und zu sehen ist“, sagte der SPD-Politiker aus Essen unserer Zeitung.

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Sein Vorgänger Laschet sei mit einem Bus voll Journalisten zu Verhandlungen über die Abschaltung der Pannen-Reaktoren nach Brüssel gefahren. „Diese Landesregierung hat zur Abschaltung von Tihange und Doel den Menschen in der Grenzregion viel versprochen“, so Kutschaty. Am Ende der Legislaturperiode stehe nun eine Verlängerung der Laufzeiten von 10 Jahren. Dies sei für viele Menschen in NRW „eine herbe Enttäuschung“.

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