ArchitekturDer Charme des Waschbetons

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Das Rathaus von Bensberg stammt von Gottfried Böhm und ist in zahlreichen Architekturführern zu finden.

Das Rathaus von Bensberg stammt von Gottfried Böhm und ist in zahlreichen Architekturführern zu finden.

Köln – Sanierungsbedürftige Sichtbetonflächen, Unkraut auf Höfen und Treppen. Dieses Bild hat man vor Augen, wenn man an zentrale Gebäude der Kölner Universität denkt. Als Zeugnisse einer wichtigen Epoche der Architekturgeschichte sehen sie bislang nur wenige. Stattdessen stoßen die Bauten der 60er und 70er Jahre oft auf Ablehnung. Ein Beispiel ist auch die Debatte um das Stadthaus in Bonn. Der Bund Deutscher Architekten (BDA) Bonn-Rhein-Sieg nennt es "hoffnungslos veraltet" und spricht sich für den Abbruch aus.

Doch es gibt auch Fans dieser architektonisch unbeliebten Phase. Die Teilnehmer einer Studienkonferenz im September 2011 in Bensberg brachen eine Lanze für die Architektur der 60er und 70er Jahre. Die Bauwerke dieser Zeit verdienten die "gleiche Beachtung und Respekt wie die Bauzeugnisse früherer historischer Epochen". Das schrieben sie nun auch in die "Charta von Bensberg" vom Februar 2012. Fachleute aus Denkmalschutz und Architektur wollen die Kernaussagen der Bensberger Tagung festhalten und in die öffentliche Diskussion bringen.

Vertreter des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (RVDL) stellten die "Charta von Bensberg" jetzt in Köln vor.

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Die Experten vom RVDL wissen, dass sie mit ihrem Anliegen gegen den Strom schwimmen. Bei Gebäuden aus den 60er und 70er Jahren heißt die Alternative oft: Sanierung oder Abrissbirne. Bei öffentlichen Gebäuden ist das meist eine Kostenfrage. Auch beim Bonner Stadthaus: Stadtverwaltung und Ratsmehrheit wollen den Bau erhalten - weil die Sanierung wohl billiger ausfällt als ein Neubau.

Auch bei der Wärmedämmung der Gebäude aus den 60er und 70er Jahren gerät der Denkmalschutz leicht ins Hintertreffen. Die energetische Optimierung dürfe "nicht zur alleinigen dogmatischen Vorgabe" werden, fordert die Charta. Wie im Einzelfall zu verfahren ist, lässt sich daraus aber nicht entnehmen. "Die Charta formuliert einen "Appell an Denkmalbehörden, private und öffentliche Eigentümer", sagt Ulrich Krings, früherer Kölner Stadtkonservator. "Wir möchten die Öffentlichkeit sensibilisieren, anders mit den Dingen umzugehen." Von "erhaltenswerter" und "zu vernachlässigender Architektur" spricht Heinz Günter Horn, stellvertretender Vorsitzender des RVDL. Kriterien, wie die Gebäude einzustufen sind, liefern die RVDL-Vertreter aber nicht.

Wenig umstritten scheint der Denkmalwert von skulpturartigen Bauten. Beispiele sind das Rathaus Bensberg von Gottfried Böhm oder die Kirche der katholischen Hochschulgemeinde in Köln-Sülz von Josef Rikus und Heinz Buchmann. Doch auch Großwohnsiedlungen wie die in Köln-Chorweiler wollen die RVDL-Vertreter nicht einfach abtun. "Man muss erst mal hingucken", verlangt Krings.

Architekt Michael Hecker ist fasziniert von "innovativen Techniken", die bei vielen Bauten der 60er und 70er Jahre eingesetzt wurden. Werkstoffe wie Sichtbeton und Kunststoff, aber auch die serielle Produktion seien zu beachten. Hecker begeistert sich auch für netz- und terrassenförmige Baustrukturen. Die Frage, wie Bewohner von Großwohnsiedlungen diese Architektur empfinden, kam im Gespräch mit den RVDL-Vertretern dagegen nicht auf.

Dass der bauhistorische Wert von Gebäuden der 60er und 70er Jahre nicht allgemein anerkannt ist, sehen die Experten gelassen. "Ein Denkmal braucht gesellschaftliche Akzeptanz", räumt Hecker ein. Krings erwartet aber, dass eine neue Generation die von vielen noch ungeliebte Architekturepoche anders bewerten werde.

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