Purple Schulz kommt nach Opladen. Im Interview spricht er über das aktuelle Musikgeschäft, Künstliche Intelligenz und ein Instrument, das außer ihm keiner zu spielen scheint.
Purple Schulz spielt in Leverkusen„Leg dir ein dickes Fell zu und mach’s dir nicht bequem"

Purple Schulz spielt im Scala in Leverkusen.
Copyright: Martin Huch
Wie „(über)lebt“ ein Künstler mehr als fünf Jahrzehnte im Musikgeschäft? Wie viel vom jungen Purple Schulz steckt noch im Aktuellen?
Purple Schulz: Oh, eine ganze Menge. Da wären zum Beispiel die Hits, denen ich mein „Überleben“ zu verdanken habe. Die schrieb ich mit Mitte 20. Es waren übrigens ein paar mehr als die fünf Songs, die heute noch im Radio gespielt werden (lacht). Mir war der Erfolg in den Achtzigern eher suspekt, denn auf den habe ich nie geschielt. Ich hatte mich immer als Albumkünstler verstanden, denn so ein Album zeigt die ganze Bandbreite eines Künstlers. Mit so gegensätzlichen Titeln wie „Sehnsucht“ und „Verliebte Jungs“ kurz hintereinander in die Charts zu kommen, war ja damals sehr ungewöhnlich. Ich empfinde diese Hits auch nicht als Bürde, sondern ich erhalte mir meine Spielfreude dadurch, dass ich sie immer wieder verändere, ohne ihre Substanz zu zerstören. Die aktuelle Liveversion von „Verliebte Jungs“ liebe ich zum Beispiel sehr, weil sie einerseits -mit dem Schwerpunkt auf der irischen Violine von Jördis Tielsch- ganz anders, aber genauso verspielt und gleichzeitig kraftvoll rüberkommt wie das Original.
Viel wichtiger als diese Singles waren mir allerdings immer die Titel, die auf den Alben ein eher verstecktes Dasein fristeten. Ich beginne auf der aktuellen Tour mein Konzert mit einem Titel, der dreißig Jahre alt und meines Wissens nie im Radio gelaufen ist. Der Song passt wie die Faust in die heutige Zeit und im Konzert sehe ich: da macht es richtig Klick in den Köpfen vor mir. Und das, obwohl der Song mit vier völlig unterschiedlichen musikalischen Themen daherkommt, für eine Single also viel zu komplex ist. Auch das hab ich mir von damals erhalten: diese Lust auf anspruchsvolle Musik, die mehr ist als ständige Wiederholung.
Welche Rolle spielen andere musikalische Einflüsse im Hinblick auf Ihre Kunst? Wo holen Sie sich Inspiration?
Ich habe zum Beispiel mit 63 angefangen, ein neues Instrument zu erlernen. Die Harpejji ist ein in Deutschland sehr seltenes Instrument mit 22 Saiten und ich bin anscheinend der einzige, der es auf der Bühne spielt und gleichzeitig singt, was gar nicht so einfach ist. Am besten beschreibt man die Harpejji als das Ergebnis einer heißen Liebesnacht zwischen einer Gitarre und einem Klavier. Sie wird mit den Fingerkuppen von oben bespielt und bietet die Ausdrucksmöglichkeiten eines Saiteninstruments gepaart mit der Spielweise eines Tasteninstruments. Die Anordnung der Töne ist jedoch eine ganz andere. Damit Songs zu schreiben, ist eine völlig neue Erfahrung. Es macht mir auch großen Spaß, meine alten Lieder mit diesem Instrument neu zu entdecken.
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Was die Inspiration für unsere Texte angeht, so gibt es ja unendlich viele Themenfelder, die ich mit meiner Frau Eri noch beackern kann. Seit vielen Jahren schreiben wir die Songs zusammen. Uns geht es immer darum, neue Räume zu öffnen, nicht nur musikalisch, sondern auch Denkräume. Das ist ja Sinn und Zweck von Kultur jeder Art, dass Menschen zusammenkommen und im besten Fall nach einem Konzert in einen Dialog treten. Weswegen ich übrigens dafür plädiere, dass die Bars in den Clubs und Theatern nicht immer gleich nach dem letzten Ton geschlossen werden. Ich weiß von den Begegnungen an unserem Merch-Stand, dass meine Programme immer für viel Gesprächsstoff sorgen, weil ich eben auch über Dinge singe, über die andere nicht mal reden wollen. Und trotzdem gehen nach unseren Konzerten die Leute beschwingt nach Hause, wenn sie nicht sogar schweben. Das liegt daran, dass Humor bei mir auf der Bühne ebenso stattfindet wie die Melancholie. Die Mischung macht’s.
Welche Rolle nimmt das live Spielen für Sie ein? Einmal musikalisch-künstlerisch und auch vor dem Hintergrund, dass es für einen Künstler – eben anders ist als vor 20 Jahren – es ohne die Bühne fast unmöglich ist, zu überleben.
Die Bühne ist für uns Künstler oft die letzte Einnahmequelle, die wir haben. Der CD-Markt ist zusammengebrochen, das Radio spielt nur Mainstream, Live-Musik findet im Fernsehen quasi nicht statt, von da kommen also auch keine GEMA-Einnahmen. Ohne unsere Konzerte -und natürlich auch ohne unsere Veranstalter- gäb’s uns Künstler gar nicht mehr. Für mich ist die Bühne aber auch mein Lebenselixier. Ich schöpfe aus den Konzerten die Kraft, die ich brauche, um so ein Programm überhaupt in die Konzerthäuser zu bringen. Die drei Stunden auf der Bühne sind quasi meine Freizeit und machen nur 5% dessen aus, was ich als Musiker heutzutage an Arbeit leisten muss. Ich habe mich schon vor langer Zeit von den großen Plattenfirmen getrennt. Wir haben unsere eigene Plattenfirma, meine Frau leitet das Management und Booking und mit unserem Team sind wir täglich damit beschäftigt, schöne Tourneen zu realisieren.
Sind Sie eher der Typ „Früher war alles besser“ oder schauen Sie zuversichtlich in die Zukunft?
Mit den Möglichkeiten, die die KI heute schon bietet, schaue ich eher pessimistisch in die Zukunft. Mein Sohn wäre heute in der Lage, in zwei Tagen ein neues Purple Schulz Album zu produzieren, ohne dass ich dafür Songs schreiben oder mein Studio betreten müsste. Man würde darauf meine Stimme hören, ohne dass ich jemals einen Ton davon gesungen hätte. Und wenn Sie wollen, lässt er mich noch von einem Symphonieorchester nebst Chor begleiten, ohne dass Sie den Fake bemerken. Mal abgesehen davon, dass ich so eine Kombination ganz furchtbar fände: Schauen wir uns den heutigen Pop doch mal an! Sieben Komponisten und acht Texter braucht man da für einen völlig durchschnittlichen Popsong, der uns nichts zu erzählen hat. Mal ganz abgesehen von den drei Verlegern und vier Anwälten. Natürlich kann KI sowas schneller und besser. Was KI nicht drauf hat, ist Humor. Eine KI auf der Bühne ist völlig sinnlos. Da sind Spontanität gefragt, Witz, Entertainment, Kommunikationsfähigkeit mit dem Publikum. Das ist der einzige wahre Vorteil, den wir Künstler jetzt noch haben.
Sie spielen mit Jördis Tielsch. Welchen Rat geben Sie mit ihrer Erfahrung der jungen Künstlerin auf den Weg?
Jördis Tielsch kennt das alles, ich brauche ihr nichts zu erzählen. Sie stand schon mit 13 Jahren auf der Bühne und klang erwachsener als viele, die mindestens doppelt so alt waren. Sie hat mehrere Alben gemacht und weiß, dass man nur mit dem Talent, mit dem sie der liebe Gott überschüttet hat, alleine nicht weiterkommt. Sie hat so viele Preise gewonnen, ist eine außergewöhnliche Musikerin und Songschreiberin, hat eine begnadete Stimme, spielt neben ihrer fantastischen Violine noch viele andere Instrumente, hat mit Rea Garvey, Kunze und jetzt mir getourt und gerade ein sehr schönes deutsches Album rausgebracht. Vor allem aber ist sie auf der Bühne in der Lage, die Menschen mit ihrer Kunst mitzureißen und zu verzaubern. Mehr geht gar nicht. Es liegt also nicht an ihr, wenn der große Durchbruch noch nicht stattgefunden hat. Wir müssen uns von dem verabschieden, was wir bisher unter diesem Business verstanden haben. Ich habe ja seine goldenen Zeiten miterlebt und finde es schrecklich, wohin sich das entwickelt hat.
Heute sind viele Künstler schon froh, wenn sie irgendwo auf einer Playlist landen, die ihnen finanziell aber gar nichts bringt. Es bleibt am Ende immer nur ein Rat, den man jungen Künstlern mitgeben kann: Wenn du davon leben willst, dann bleib bei dir, zu hundert Prozent, leg dir ein dickes Fell zu und mach’s dir nicht bequem, denn du wirst richtig arbeiten müssen. Ansonsten vergiss es.
„Über(s)leben"
Samstag, 11. Oktober, 20 Uhr im Scala in Opladen. Purple Schulz feat. Jördis Tielsch: Vocals, Violine, Gitarre, Piano, Akkordeon.