Interview mit Umweltaktivistin Antje Grothus„Der Hambi ist eine Marke“

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Antje Grothus am Forum Terra Nova am Rand des Tagebaus Hambach. Grothus war Mitglied der Kohlekommission.

Antje Grothus am Forum Terra Nova am Rand des Tagebaus Hambach. Grothus war Mitglied der Kohlekommission.

  • Antje Grothus ist Umweltschützerin und war mit Landrat Michael Kreuzberg Mitglied in der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, die auf Bundesebene Empfehlungen für den Kohleausstieg vorgelegt hat.
  • Im Interview spricht sie über das Rheinische Revier und den Hambacher Forst.
  • Dennis Vlaminck führte das Gespräch.

Frau Grothus, vor anderthalb Jahren hat die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, der sie ja angehörten, Kompromisse für den Kohleausstieg geliefert. Wie sind die Chancen, dass sie eins zu eins umgesetzt werden?

Grothus: Man kann jetzt schon gar nicht mehr von Chancen sprechen, weil der Kohlegesetzentwurf den Empfehlungen der Kohlekommission nicht entspricht und ihnen sogar zuwiderläuft. Da wurde eine sehr große Chance vertan, auch was die Befriedung des Kohlekonfliktes betrifft. Die Empfehlungen der Kommission waren ein Minimalkompromiss. Das war auch klar bei den gegensätzlichen Positionen, die aufeinandertrafen. Die Bundes- und die Landesregierung hatten mit unserem Bericht den Schlüssel, den Konflikt zu befrieden. Das haben sie nicht genutzt, und das enttäuscht mich ungemein.

Sie sehen in der Bund-Länder-Einigung eine Aufkündigung des Kohle-Kompromisses. Warum?

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An vielen Punkten ist diese Einigung, die Grundlage des Gesetzesentwurfes ist, das direkte Gegenteil unserer Empfehlungen. Diese Punkte gehen zulasten des Klima- und Umweltschutzes, aber auch zulasten von uns betroffenen Anwohnern hier im Rheinischen Braunkohlenrevier. Ein großer Knackpunkt ist Datteln IV – wir haben die Inbetriebnahme neuer Kohlekraftwerke ebenso ausgeschlossen wie den Aufschluss neuer Tagebaue. Der Hambacher Forst hat viele sehr bewegt – der taucht in diesem Entwurf überhaupt nicht mehr auf. Die Bundesregierung hat schlecht verhandelt, und wir haben nur Lippenbekenntnisse zum Erhalt des Waldes. Das ist nicht fair. Der nächste Punkt ist die Bestandssicherung des Tagebaus Garzweiler. Das ist explizit nicht das, was wir mit der Kommission empfohlen haben. Wir haben gesagt, die Landesregierung soll in den Dialog gehen mit den Betroffenen in den Umsiedlungsdörfern, um wirtschaftliche und soziale Härten zu vermeiden. Jetzt macht der Ministerpräsident mit der „Lex Laschet“, der Bestandssicherung des Tagebaues Garzweiler, das Gegenteil und verwirklicht sich selbst im Kohlegesetz. Den Anwohnern wird die Sozialverträglichkeit verweigert, die Regierung und RWE wollen sie aus ihrem Zuhause, ihren Dörfern vertreiben. Man billigt zudem RWE 30 bis 60 Prozent mehr Kohle zu, als per Kraftwerksabschaltplan gebraucht wird. Das ist ein klima- und sozialpolitischer Gau.

Sie fordern nun den Erhalt der Dörfer am Tagebau Garzweiler. Versuchen Sie nicht selbst, den Kohle-Kompromiss aufzuweichen?

Nein, lesen Sie den Bericht. Sieben anderen Mitgliedern der Kommission und mir war es immer wichtig, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, diese Dörfer zu retten. Die Umsetzung des Kompromisses bot diese Chance. Das ist keine Aufkündigung durch uns, sondern durch die Bundesregierung.

Glauben Sie wirklich, dass die Dörfer noch zu retten sind?

Ich bin überzeugt, dass die Dörfer zu retten sind. Die Kohle unter den Dörfern muss in der Erde bleiben, denn Dörferschutz ist Klimaschutz. Der Tagebau Garzweiler muss massiv verkleinert werden, einerseits, um die Klimaziele zu erreichen, aber eben auch wegen der Ziele des Kohleausstiegspfads, den wir ja beschreiten wollen. Ja, einige Menschen sind schon umgesiedelt, aber das ist ja auch kein Wunder. Es wird enormer Druck ausgeübt, insbesondere von RWE, die Bagger stehen vor der Haustür. Jeder Einzelne in den Dörfern hat es verdient, dass er dort weiter leben darf, denn wir kümmern uns ja auch um jeden Einzelnen von den Beschäftigten, damit er nicht ins Bergfreie fällt.

Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier hat Projekte vorgelegt, es geht um eine Förderung über viele Milliarden Euro. Welche Projekte wollen Sie umgesetzt sehen?

Ich finde die Projektliste unglaublich intransparent. Kein normaler Bürger kann erkennen, was sich hinter den schillernden Projektnamen verbirgt. Es ist nicht ersichtlich, wer die Projektträger sind und in welche Kanäle die Gelder fließen werden. Zudem fehlen im ganzen Prozess transparente Auswahlkriterien, echte Bürgerbeteiligung sowie Bürgerprojekte und ein Fonds für deren Finanzierung. Demnächst entstehen Großprojekte, aber die Menschen wurden weder informiert noch beteiligt. Man kann den Strukturwandel nicht rein auf wirtschaftliche Komponenten reduzieren. Wir möchten Projekte auf Genossenschaftsbasis umsetzen, die nachhaltiges Handeln befördern, die die Energiewende nach vorne bringen und die Strukturen im Revier verändern. Die sind leider gar nicht zu finden. Das ist nicht der große Wurf, den ich mir gewünscht hätte, um eine ganze Region in eine wundervolle Aufbruchstimmung zu versetzen.

Sind Sie noch eingebunden in die Umsetzung?

Ich arbeite seit Anfang des Jahres als Koordinatorin für nachhaltigen Strukturwandel für die Klima-Allianz Deutschland und bin berufen in den Beirat für den Strukturwandel auf Ebene des Wirtschaftsministeriums. Ich bin haupt- sowie auch ehrenamtlich eingebunden. Aber wir sehen ja, wer die Projekte bewilligt. Das ist die Zukunftsagentur Rheinisches Revier und insbesondere deren Aufsichtsrat. Da ist RWE sehr prominent vertreten, die Bergbaugewerkschaft IGBCE, unter anderem die IHKs und die Kommunen sind drin, wobei letzteres auch Sinn ergibt. Aber es fehlen viele wichtige Stimmen: die der Zivilgesellschaft, des Umwelt- und Naturschutzes, der Kirchen und der Jugend. Die ZRR entscheidet über die Zukunft nachfolgender Generationen, ohne die Jugend zu beteiligen. Daher ist meine Forderung, dass Vertreter all dieser Stimmen noch in den Aufsichtsrat aufgenommen werden.

Zur Person

Antje Grothus aus Kerpen-Buir ist Umweltschützerin, gehört der Bürgerinitiative Buirer für Buir an und war mit Landrat Michael Kreuzberg Mitglied in der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, die auf Bundesebene Empfehlungen für den Kohleausstieg vorgelegt hat. (dv)

Der Hambacher Forst scheint gerettet, ist aber immer noch besetzt, und immer noch kommt es zu Straftaten. Wieso rufen Sie die Besetzer nicht auf, den Wald zu verlassen?

Mein größter Wunsch wäre, dass dieser Wald wieder Wald sein kann, das können Sie mir glauben. Aber wie Sie schon sagen: Er scheint gerettet. RWE gibt immer vor, den Wald nicht zu verinseln. Wenn man sich aber die Entwürfe von RWE anguckt, dann würde der Wald im Osten und Südosten zu Dreivierteln umbaggert. Das gefährdet den Wald in seiner Existenz, daher ist er noch nicht sicher. Ich musste in den vergangenen Jahren lernen, dass der Konzern RWE nicht sehr glaubwürdig ist. Deswegen plädiere ich mit anderen dafür, dass dieser Wald in eine Stiftung überführt wird, entweder in eine kommunale, Landes- oder auch in eine Bürgerstiftung. Das wäre ein wichtiges Signal, den Wald wirklich sicher zu machen und um die Situation zu befrieden. Zudem ist es wichtig, dass es zu einer Wiedervernetzung des Waldes mit der Steinheide und dem Dickbusch, mit dem Merzenicher Erbwald und den Bürgewäldern und auch überregional kommt, damit der Wald dauerhaft Bestand haben kann. Ich würde mir wünschen, dass aus dieser ehemaligen roten Linie entlang der alten A 4 – die ja etwas sehr Konfrontatives war, um aufzuzeigen, bis hierher und nicht weiter – ein grünes Band der Transformation wird. Damit würde man die Region verbinden.

Es hat in der Auseinandersetzung um den Wald viel böses Blut gegeben. Wie kann wieder Frieden ins Revier kommen?

Es gibt viele gute Projektideen aus der Bürgerschaft. Wir brauchen Begegnungsräume vor Ort. Moderierte Gespräche. Bürgerwerkstätten, wo sich alle mit ihren polarisierenden Interessen austauschen und sich gemeinsam überlegen, wie eine gute Zukunft aussehen kann. Wir müssen uns mit Anstand von dieser Bergbaukultur, die unsere Region ja sehr geprägt hat, verabschieden können, aber gleichzeitig in eine Aufbruchstimmung kommen und nach vorne schauen. Es braucht vielleicht hier im Tagebau Hambach einen Bagger, der im Loch stehenbleibt, den man besichtigen kann, auf der anderen Seite muss man aber auch Natur und Kultur erhalten, wie die Manheimer Kirche und die Bürgewälder. Der Hambi ist eine Marke für die Region. Merzenich nutzt das schon sehr. Ich würde mir wünschen, dass auch Kerpen endlich die Chancen sieht. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir zum Beispiel ein Hambi-Archiv und eine biologische Station mit Tagungshaus und Museum in Buir einrichten. Wir brauchen auch Orte, an denen wir an die Dörfer erinnern, die verschwunden sind in diesem riesengroßen Loch. Da wäre die Kirche in Manheim ein guter Ort. Da kann die ganze Siedlungsgeschichte von Manheim und die Umsiedlungsgeschichte von Kerpen gezeigt werden. Das hat Potenzial, ein Publikumsmagnet zu werden.

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Wenn Sie heute noch einmal in eine Kohlekommission berufen würden, würden Sie dem Ruf folgen?

Ich war selber Teil dessen, was im Hambacher Wald passiert ist, daher sag ich es nicht so gerne, aber wir haben hier Geschichte geschrieben. Niemand, mich eingeschlossen, hätte jemals gedacht, dass wir dieses Waldstück werden retten können. Mit der Rettung des Waldes bleiben allein hier 1,1 Milliarden Tonnen Kohle in der Erde. Das ist ein unglaublicher Erfolg. Allerdings spiegelt das Kohlegesetz, wie es jetzt vorliegt, nicht die Empfehlungen der Kommission wider. Deswegen sehe ich meine Mitarbeit in der Kommission nicht wertgeschätzt, insbesondere wenn mir zu Unrecht unterstellt wird, ich hätte diesen Kompromiss aufgekündigt.

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