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„Wir schnüren alles zu einem Krisenbündel“Rhein-Erft-Landrat Rock sieht im Rheinischen Revier größten Wandel des Jahrhunderts

Lesezeit 6 Minuten
Nordrhein-Westfalen: Dampf kommt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes Niederaußem.

Um Gas zu sparen, setzt das Wirtschaftsministerium vorübergehend vorüber vermehrt auf Strom aus Kohle.

Im Interview verlangt Frank Rock, die Menschen im Rheinischen Revier beim Strukturwandel nicht ständig mit neuen Regularien zu überfordern. Rock ist seit 2020 Landrat im Rhein-Erft-Kreis und Vorsitzender der Gesellschaftsversammlung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZAR), er sitzt auch im Aufsichtsrat der RWE Power AG.

Herr Rock, Sie haben den vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle 2021 noch als falsch bezeichnet, ihn nur ein Jahr später grundsätzlich begrüßt. Was hat Sie zu dieser Kehrtwende veranlasst?

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Rheinische Revier und die gesamte Region durch den um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg vor einer deutlich größeren Aufgabe steht. Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Für mich wäre 2038 der realistische Zeitpunkt gewesen. Aber ich muss mich den politischen Realitäten stellen. Als Landrat kann ich nicht mauern, sondern muss nach vorn schauen und die Probleme angehen und lösen.

Die Klimaexperten sagen, dass wir diese Zeit nicht haben.

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Ja, die Zeit drängt, aber die Politik macht hier Fehler. Sie muss die Menschen mitnehmen und nicht nur den Druck erhöhen. Wir schnüren leider alles zu einem großen Krisenbündel zusammen. Das sieht man aktuell auch bei der Energiekrise und der Debatte um das Heizungsgesetz. Wir müssten Anreize schaffen, damit Menschen die Veränderungen mittragen, kommen aber mit immer neuen Regularien. Bei den Heizungen müsste das Thema Förderung im Vordergrund stehen und nicht die Botschaft, dass es ab 2024 keine neuen Gasheizungen mehr geben wird. Das verunsichert die Menschen. Das war beim Thema Strukturwandel ähnlich.

Warum?

Der Sprung von 2038 auf 2030 beim Kohle-Aus hat die Menschen in meiner Region noch mehr beunruhigt. Die Menschen konnten sich nur schwer vorstellen, überhaupt früher aus der Braunkohle auszusteigen und hatten sich gerade an den Gedanken gewöhnt. Und jetzt soll das noch acht Jahre früher gelingen.

Haben Sie eine Antwort?

Das Rheinische Revier und damit auch der Rhein-Erft-Kreis befinden sich mitten im Prozess des größten Wandels dieses Jahrhunderts. 14,8 Milliarden Euro als Fördermittel für den Strukturwandel sind viel Geld. Jetzt müssen wir vor allem die Prozesse beschleunigen. Im Planungsrecht, im Baurecht, bei den Genehmigungsverfahren und der Vergabe der Fördermittel. Es mangelt nicht an Ideen, sondern an Zeit. Es geht um neue Arbeitsplätze und die Schaffung neuer Wertschöpfungsketten. Bisher wird viel versprochen, passiert ist leider nur zu wenig. Unter den 350 Projekten für das gesamte Revier sind viele gute Ideen. Jetzt muss die Landesregierung Gas geben. Da gilt es viele Hürden zu überwinden.

Welche denn?

Einen Transformationsprozess zu gestalten, der mit vielen Milliarden Euro gestützt wird, ist sehr komplex. Es gibt Interessen des Landes, des Bundes und der Kommunen. Das Rheinische Revier hat sich mit den Bürgermeistern und Landräten inzwischen gefunden und spricht mit einer Stimme. Wir haben es aber bisher leider nicht geschafft, die Fördermittel in neue Wertschöpfungsketten zu investieren. Deshalb sind die Projektaufrufe bei der Zukunftsagentur Rheinisches Revier vorerst gestoppt, um den Fokus auf die schon eingebrachten Projekte zu legen.

Und jetzt?

Das muss die neue schwarz-grüne Landesregierung sehr schnell ändern. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen wussten durch jahrelange Erfahrung, wie man an Fördermittel kommt. Die kommunale Familie kannte sich damit teilweise nicht aus und musste sich erst auf den Weg machen. Ein neuer Revier-Vertrag mit dem Land wird noch vor der Sommerpause unterschrieben.

Werden wir konkret. Welche Strukturwandel-Projekte hat der Rhein-Erft-Kreis anzubieten?

In wenigen Wochen werden wir eine Studie zu Digitalparks gemeinsam mit dem Rhein-Kreis-Neuss zur Ansiedlung von Hyperscalern fertigstellen. Bergheim und Bedburg stehen in den Startlöchern. Die Ansiedlung solcher Rechenzentren darf man getrost als Leuchtturmprojekt bezeichnen. Die Studie zum Wasserstoffpotenzial hat bestätigt, dass wir gute Voraussetzungen haben, die Wasserstoffwirtschaft voranzubringen.

Im Rhein-Erft-Kreis fahren schon mehrere Dutzend Wasserstoffbusse, die schon ihre Praxistauglichkeit unter Beweis stellen konnten. In Erftstadt werden wir Wasserstoff dem örtlichen Gasnetz beimischen und wir werden hoffentlich bald mehr Elektrolyseur-Anlagen haben, mit denen wir eigenen Wasserstoff herstellen können. Bei der Ansiedlung eines neuen Standorts der Technischen Hochschule Köln haben wir die wesentlichen Schritte unternommen. Und wir werden noch in diesem Jahr eine Raumpotenzial-Analyse vorstellen, um die konkurrierenden Flächen für Landwirtschaft, Gewerbe, Industrie, Wohnen und Natur neu zu definieren. Die Erweiterung des Knapsacker Hügels in Hürth ist für die gesamte Region besonders wichtig, weil sich nur dort neue Flächen für Industriearbeitsplätze schaffen lassen. Für das Revier wird ein übergreifendes Tourismuskonzept erarbeitet.

Sie wollen jetzt ein neues Industriegebiet entwickeln, obwohl nach dem Aus der Braunkohle und der Kraftwerke ab 2030 jede Menge Industrieflächen freiwerden?

Diese Flächen stehen noch nicht zur Verfügung. Deshalb müssen wir jetzt den Mut haben, mit Augenmaß auch Gewerbe- und Industrieflächen neu zu entwickeln. Nur so geht ein erfolgreicher Strukturwandel. RWE kann die alten Industrieflächen jetzt noch nicht freigeben. Bis das der Fall ist, können wir aber nicht warten.

Hätte eine Sonderwirtschaftszone Rheinisches Revier zu einem beschleunigten Strukturwandel beitragen können?

Davon bin ich mit Blick auf die Flächen, die Steuervorteile und schnellere Planungsverfahren überzeugt. Das wäre für internationale Unternehmen ein Anziehungspunkt gewesen. Wir haben hier gut ausgebildete und motivierte Menschen, viele Hochschulen. Was uns fehlt, sind noch mehr innovative Unternehmen. Leider haben wir uns bei der Landes- und Bundesregierung damit nicht durchsetzen können.

Und dann kommen die Zuwanderer aus dem Umland, vor allem aus Köln, weil sie das Grün und die Ruhe suchen.

Die Flächenkonkurrenz bei uns ist täglich zu spüren. Wir haben auch den Anspruch, den Naturraum weiterzuentwickeln. Der Hambach-See, der Inde-See und auch der Garzweiler-See werden die Region zu ihrem Vorteil verändern. Auch wenn wir beide dies nicht mehr erleben werden. Wir haben in Brühl bei den Villeseen gesehen, wie schön das werden kann, wenn Tagebaue der Natur zurückgegeben werden. Der Rhein-Erft-Kreis ist leider arm an Wald. Wir haben schöne Naherholungsgebiete, sind aber nicht die Eifel. Deshalb forsten wir seit Jahrzehnten jährlich mehrere Hektar Wald neu auf. Wir liegen im Dreieck zwischen Aachen, Düsseldorf und Köln. Natürlich brauchen die Menschen Naherholung und Natur, aber sie leben auch hier wegen der guten Infrastruktur. Weil es hier Arbeit und funktionierende Wertschöpfungsketten gibt. Das muss das Ziel des Strukturwandels sein.


Der CDU-Politiker Frank Rock (53) ist seit November 2020 Landrat des Rhein-Erft-Kreises. Der gebürtige Gerolsteiner wuchs in Köln und später in Hürth auf, machte nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zum Bürokaufmann beim Caritasverband Rhein-Erft und studierte später zunächst Wirtschaftsinformatik, dann katholische Religion, Mathematik, Deutsch und Sport in Köln. Ab 2000 arbeitete er als Grundschullehrer in Mönchengladbach und von 2006 bis zu seiner Wahl in den Landtag 2017 als Schulleiter einer Grundschule in Hürth-Efferen. Rock ist Vorsitzender der Gesellschaftsversammlung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZAR) und sitzt im Aufsichtsrat der RWE Power AG. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

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