„Das war's jetzt“So erleben die Menschen in Schuld die Flutkatastrophe

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Der Ortskern von Schuld ist verwüstet.

Schuld/Altenahr – Schluchzend und orientierungslos läuft die ältere Frau immer wieder über die Hauptstraße von Schuld, das 700 Seelen-Dorf an der Ahr, das ihre Heimat war. Immer wieder bleibt sie stehen, fassungslos, greift wie mechanisch zu ihrem Smartphone, um das Ausmaß der Verwüstung festzuhalten. Ein zerborstenes Klavier, das der Fluss mitgerissen hat, die Ladeneinrichtung der Landbäckerei Schlösser, aus deren Fenster der Unrat quillt, den der scheinbar so friedliche Fluss mit voller Wucht hineingedrückt hat. Das Smartphone schafft Distanz zu der Katastrophe, die den friedlichen Ort am Mittwochnachmittag um kurz nach 16 Uhr heimgesucht hat.

24 Stunden später ist nichts mehr so wie vorher. Jürgen Strang steht vor den Trümmern des Landgasthauses „Zum kölschen Köbes“. Er komme sich vor wie im falschen Film, sagt er und zeigt auf den Zigarettenautomaten, den sie am Mittwochmorgen gerade erst montiert hatten und der nahezu unversehrt geblieben ist. Am Samstag wollten sie das Gasthaus eröffnen, nach einer aufwendigen Renovierung. Um 16 Uhr sei das Wasser leicht gestiegen. „Da haben wir uns noch keine Gedanken gemacht.“ Eine halbe Stunde ist die Katastrophe da, Strang kann sich mit seinem Hund in die kleine Wohnung in der zweiten Etage retten und wird dort bis zum Morgen ausharren. Bis der Tsunami vorbei ist.

Flut reißt in Schuld vier Häuser komplett weg

Vier Häuser haben die Wassermassen komplett weggerissen, zwei weitere sind zur Hälfte zerstört, sagt ein Polizeisprecher am Donnerstag. Wie viele Menschen darin gelebt haben, ist noch unklar. Nach ersten Angaben hat der Eifel-Landkreis fünf Todesopfer zu beklagen, zeitweise galten bis zu 70 Menschen als vermisst.

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Woher die Radermachers ihren Optimismus nehmen, können sie nicht sagen. „Wahrscheinlich werden wir erst in ein paar Wochen realisieren, was hier passiert ist“, sagt Klaus Radermacher. Das Haus im Ortskern steht noch, die erste Etage ist verwüstet. Das Ehepaar wirkt ein wenig verloren, mit der Kehrschaufel und dem Kehrblech in der Hand. Klaus Radermacher ist voll des Lobes über die Arbeit der Feuerwehr. Die habe „echt eine super Arbeit“ gemacht. Die Ahr werde immer unterschätzt, schon beim Hochwasser 2016 sei das der Fall gewesen. Wenn die vielen Bachläufe, die in ihr enden, anschwellen, könne es kritisch werden. „Wie ein Tsunami, wie eine Wasserwalze ist das auf uns zugeschossen. Wir sind nur noch geflohen“, sagt Margret Radermacher.

Zwei Brücken habe der Fluss zerstört und vor der alten Eisenbahnbrücke „hat sich das ganze Zeug gestaut. Das hat es nur noch schlimmer gemacht. Die Leute drüben aus der Pizzeria haben sie erst am Morgen rausgeholt.“ Die DLRG sei mit dem Boot herumgefahren und habe Leute zwingen müssen, ihr Haus zu verlassen: „Die wollten nicht.“

Netz im rheinland-pfälzischen Katastrophengebiet bricht zusammen

Jan Willem hat sich von Aachen bis hierher durchgekämpft. Zwei Stunden. Jetzt steht er vor der unterspülten Straße, die Brücke gibt es nicht mehr. Es sind noch ein paar Hundert Meter bis zum Haus seines Bruders Jens, aber er kann ihn nicht erreichen. Am Morgen habe er kurz mit ihm sprechen können, dann sei das Netz endgültig zusammengebrochen. Jens ist Förster im Forstamt Adenau. „Er hat sich gerettet, aber sein Haus ist hin. Am Nachmittag hat es zuerst den Gastank weggerissen.“ Jan Willem weint und ist wütend zugleich. „Es ist wichtig, dass man diese Katastrophenbilder wahrnimmt und sieht, was hier gerade passiert. Der Klimawandel ist längst da, wir müssen ganz schnell reagieren.“

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Jan Willem sucht seinen Bruder, den Förster von Adenau.

Seit Jahren engagiere er sich bei den Braunkohlegegnern in Aachen, habe sich aber nicht vorstellen können, so etwas einmal miterleben zu müssen. „So können wir nicht weiterleben. Hier geht es nur noch ums nackte Überleben.“

Hubschrauber rettet Menschen von Dächern

Auf der Bundesstraße 257 zwischen Altenahr und Altenburg landen die Hubschrauber mit Menschen, die sich der Nacht auf die Dächer ihrer Häuser gerettet haben. Zwölf Stunden habe sie in der Nacht auf dem Dach ausgeharrt, sagt Elvira Fuhrmann (56) aus Altenburg. „Gastanks kamen an uns vorbeigeschwommen und halbe Häuser. Die klatschten alle gegen unser Haus. Das Wasser stieg binnen Minuten. Wir haben gedacht, das war’s jetzt. Wir haben nur noch das, was wir am Leibe tragen.“ Immer wieder habe sie den Notruf gewählt: „Das Schlimmste ist, wenn man dann gesagt bekommt: »Harren Sie bitte aus, wir können im Moment nichts für Sie tun.«“

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Daniela Paffenholz (42) lehnt an der Straßenmauer und blickt auf das zerstörte Altenahr. Auch sie hat der Hubschrauber gerade auf der Bundesstraße abgesetzt. „Ich weiß nicht, ob wir das noch einmal schaffen“, sagt sie. „Es ist alles weg, nur noch wir und die beiden Kaninchen leben. Unser Haus steht noch. Aber ob wir da jemals wieder drin wohnen können, wissen wir nicht.“

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