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Wegen VerkaufsverbotDeutsche stehen bei belgischen Nachbarn für Feuerwerk Schlange

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Weil in Deutschland keine Böller verkauft werden dürfen, wird ein Laden in Belgien gestürmt.

Kelmis/Belgien – Grau und verschlafen liegt der kleine Ort Kelmis im belgischen Grenzgebiet. Schmale Häuser säumen die Hauptstraße, dahinter grüne Wiesen und verregnete Felder. Von den etwa 11 000 Einwohnern der Gemeinde ist auf den Straßen kaum etwas zu sehen. Vielleicht liegt es an der Stille, die sich zwischen den Jahren für gewöhnlich über die Welt legt, vielleicht ist es aber auch einfach immer so ruhig hier. Nur vor dem Baustoffhandel Tychon an der Lütticher Straße hält alle paar Minuten ein Auto, der Parkplatz ist längst voll – alles Autos mit deutschem Kennzeichen aus Aachen, Köln, Essen, Dinslaken und ein schwarzer SUV mit Hamburger Kennzeichen.

Gerade hat der Fahrer des SUV ein paar Kisten gefüllt mit Feuerwerkskörpern aller Art im Kofferraum verstaut. Jetzt raucht er noch zufrieden eine Zigarette, bevor er den Heimweg antritt. Der klamme Nieselregen scheint ihn nicht zu stören. Ebenso wenig wie er die gut einhundert Menschen stört, die bis über den gesamten Parkplatz geduldig in der Schlange stehen, um das Verkaufsverbot für Silvesterböller in Deutschland zu umgehen.

Deutsche kaufen Böller in Belgien, Holland oder Luxemburg

Denn während hierzulande bereits das zweite Jahr in Folge aufgrund der Corona-Pandemie ein bundesweites Verkaufsverbot für Pyrotechnik gilt, gibt es bei den Gebrüdern Tychon in Belgien alles, was das Böller-Herz begehrt: Von Raketen über Showbatterien bis zu Knallern. Etwa 130 Arten Feuerwerksartikel hat der Laden im Angebot. Regelmäßig kommt eine neue Lieferung an – ein offenbar unerschöpflicher Vorrat an bunten Lichtern und lauten Batterien. Den Online-Verkauf musste der Geschäftsinhaber Albert Tychon allerdings in diesem Jahr stoppen, die Nachfrage ist zu groß. Im  Rathaus von Kelmis ist man zumindest verwundert über die lange Schlange vor dem Laden. So etwas, sagt eine Verwaltungsmitarbeiterin, hätten sie in Kelmis bislang noch nicht erlebt. „Bislang hat sich das immer in Maßen gehalten.“ Anders als dieses Jahr.

Alles zum Thema Herbert Reul

Denn da das Zünden von Feuerwerkskörpern in Deutschland nur an bestimmten Plätzen mit viel Publikumsverkehr verboten ist, machten sich in den letzten Tagen zahlreiche Deutsche auf den Weg nach Belgien oder Luxemburg, um sich für Silvester einzudecken. Viele davon kommen zu Tychon in der ostbelgischen Provinz Lüttich, gleich hinter dem Grenzübergang Lichtenbusch gelegen. 

Darunter auch der 18-jährige Justin mit seinen Freunden. Sie fühlten sich, sagen sie, wegen des erneuten Verbots in ihrer Freiheit eingeschränkt. „Wir wollen an Silvester nur endlich mal wieder etwas Spaß haben.“ Sie sind aus Würselen hergekommen, das Verkaufsverbot finden sie, wie Justin sagt, „richtig unnötig. Solange man gescheit mit den Böllern umgeht, passiert auch nichts.“

Ziel des Verbots ist es, angesichts der bevorstehenden Omikron-Welle Menschenansammlungen zu vermeiden und Verletzungen durch die Feuerwerkskörper zu vermeiden, um die Krankenhäuser zu entlasten. Die Kehrseite kann jedoch auch bedeuten, dass einige Menschen illegale Pyrotechnik kaufen, die ein wesentlich höheres Verletzungspotenzial birgt, als für den Verkauf in Deutschland zertifizierte Ware.

In Belgien wird allerdings Kleinfeuerwerk der Kategorie F2 gekauft – Raketen, Batterien und Böller fallen hierunter. Das ist auch hierzulande legal und darf von Personen ab 18 Jahren über die Grenze gebracht werden. Die NRW-Landesregierung appellierte in den Tagen vor Silvester jedoch erneut, sich an das Verbot zu halten und darauf zu verzichten, in Nachbarländern Feuerwerk einzukaufen. Innenminister Herbert Reul (CDU) bat die Menschen, sich an die Vorgaben zu halten. „Um die Pandemie einzudämmen, müssen wir alle unsere Kontakte auf ein Minimum reduzieren.“ Er appellierte an die Menschen, auf größere Silvesterpartys und Feuerwerk zu verzichten.

Wenig Verständnis für das Verkaufsverbot in Deutschland

Unter den dicken Kapuzen, mit denen die Wartenden sich vor dem ungemütlichen Wetter in Kelmis versuchen zu schützen, stecken vor Tychons Laden überwiegend jüngere Leute. Hier und da warten aber auch einige Väter mit ihren aufgeregten Kindern. Obwohl die Schlange zum Verzweifeln lang ist, drängelt niemand.

Wie im restlichen Ort herrscht auch vor dem Geschäft trotz der Menschenmenge eine eigenartige Stille. Stoisch stehen die Wartenden in der Kälte, hier und da schlängelt sich Zigarettenrauch durch die regenverhangene Luft. Alle paar Minuten mischen sich die Abgase von startenden Autos unter den Tabakgeruch. Doch für jedes abgereiste Auto kommt ein Neues hinzu – natürlich mit deutschem Kennzeichen. Belgier sieht man vor Tychons Laden dieser Tage kaum.

Viele der deutschen Böllerfans sind, wie Justin und seine Freunde, in Gruppen gekommen. Daniel, Jesaja und Eric etwa sind extra aus Wuppertal nach Kelmis gefahren. Den Tipp, dass es hier Böller gebe, sagt Daniel, hätte ihnen ein Kumpel gegeben. Andere haben im Internet von dem Böllerverkauf bei Tychon erfahren.

Wie Daniel und seine Freunde denken in der Schlange die meisten: Es gibt nur wenig Verständnis für die Regelung der Bundesregierung. Auch Daniel sagt: „Aus Umweltgründen hätte man das Verbot ja verstehen können, auch wenn es da viel schlimmere Sachen gibt, aber wegen den Intensivstationen…“, die jungen Männer zucken mit den Schultern.

Daniel, etwa 1,90 Meter groß mit braunem Pferdeschwanz, kneift kurz die Augen zusammen, um durch den anhaltenden Nieselregen die Schlange zu überblicken. Vielleicht noch zwanzig Leute vor ihnen, dann haben sie die Glastür erreicht, die ins beheizte Innere des Marktes führt. Die Schlange aber geht von dort noch einmal quer durch den Laden. An denanderen Regalen - es gibt solche für Baubedarf - haben die Wartenden kein Interesse. Wer den Kassenschalter erreicht hat, kann dem Verkäufer eine zuvor ausgefüllte Liste übergeben, in der ankreuzt werden konnte, welche Böller und Raketen es sein sollen.

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Zufrieden stolpern Lea und Jeannette mit einer Kiste voller bunter Raketen aus dem Geschäft. „Wir mussten nur zehn Minuten warten, wir haben vorbestellt“, erklären die beiden 19-Jährigen aus Aachen und Eschweiler. „Leute mit Bestellung ziehen sie aus der Schlange, dann kommt man schneller dran.“ Auch für die beiden jungen Frauen ist das Feuerwerksverbot eher unverständlich. „In größeren Gruppen kann man es ja verstehen“, sagt Lea, „aber wenn man privat im kleinen Kreis feiert, kann ich das Verbot nicht nachvollziehen.“ Außerdem gehöre das Böllern nunmal einfach zu Silvester dazu, ein zweites Mal wollen die beiden nicht in Stille ins neue Jahr hineinfeiern.

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