KohleausstiegDer Pakt der guten Hoffnung

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Bagger im Braunkohletagebau Garzweiler - im Hintergrund das Kraftwerk Niederaußem. (Archivfoto)

Bagger im Braunkohletagebau Garzweiler - im Hintergrund das Kraftwerk Niederaußem. (Archivfoto)

Düsseldorf/Jülich – Diesen Termin hätte NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) nach all dem Stress der vergangenen Wochen mal so richtig genießen können. Im Jülicher Brainenergy-Park sollte am heutigen Dienstag ein Pakt zur Zukunft des Rheinischen Reviers geschlossen werden. Mit einem Festakt unter dem Motto: „Revier 2030. Mit Struktur in den Wandel“. Doch die dritte Welle der Corona-Pandemie hat diesen Plan mit sich gerissen.

Jetzt trifft man sich in kleiner Runde in einem Düsseldorfer Hotel. Das Motto bleibt. Doch die meisten Vertreter der 20 in der Anrainerkonferenz organisierten Kommunen, die den Vertrag angeregt hatten, weil sie fürchten, beim Kampf um die Fördergelder von rund 14,8 Milliarden Euro auf der Strecke zu bleiben, können nur virtuell teilnehmen. Dabei sind sie es, die einen Strukturwandel bewältigen müssen, bei dem bis 2030 mindestens 15 000 Arbeitsplätze in der Braunkohle ersetzt werden müssen.

Bis zuletzt wurde an dem Text gefeilt. Das Abschlussdokument muss am heutigen Dienstag noch vom Landeskabinett verabschiedet werden. Der Strukturwandel sei eine Generationenaufgabe, die „weit über das Jahr 2038 hinaus“ reichen werde, heißt es in der Präambel. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

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Der Kohlekompromiss steht, die Landesregierung hat die neue Leitentscheidung zum Kohleausstieg verabschiedet. Wozu braucht man jetzt noch einen Revierpakt?

Der Revierpakt ist kein rechtsverbindlicher Vertrag, sondern lediglich eine Absichtserklärung, mit der die Landesregierung und die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) bekräftigen, den Strukturwandel gemeinsam voranzutreiben. In der ZRR sind unter anderem die Stadt Mönchengladbach, die Städteregion sowie die Kreise Düren, Euskirchen, Heinsberg, Rhein-Erft und der Rhein-Kreis Neuss vertreten. Auch die IHKs und Handwerkskammern, DGB und IG BCE zählen zu den Gesellschaftern.

Müsste diese Zusammenarbeit nicht selbstverständlich sein?

Schon. Aber die Kommunen haben die Befürchtung, sie könnten bei den Zukunftsplanungen zu kurz kommen. Sie kritisieren, dass bei allen Investitionen, die aus den Fördermitteln des Bundes bezahlt werden, die Landesregierung das letzte Wort hat. Das ist im Investitionsgesetz Kohleregionen so geregelt. Danach müssen die Gemeinden und Gemeindeverbände zwar eng einbezogen werden, am Ende jedoch entscheidet die Landesregierung über die Fördermaßnahmen.

Ist diese Skepsis begründet?

Theoretisch schon, aber in der Praxis werden weder die amtierende noch künftige Landesregierungen gegen die Interessen der Kommunen in der Braunkohleregion agieren können. Die entscheidende Frage dürfte vielmehr sein, ob die Gemeinden in die Lage versetzt werden, die vielfältigen neuen Aufgaben mit ihren personellen Ressourcen zu bewältigen.

Das wird sich bereits bei der Planung einer internationalen Bau- und Technologieausstellung Rheinisches Zukunftsrevier zeigen, die als „Klammer und Schaufenster des Strukturwandels“ für internationale Aufmerksamkeit sorgen soll. Die Region, so heißt es im Reviervertrag, „entwickelt ein Konzept, wie dieses Ziel umgesetzt werden kann, und legt es der Landesregierung zur Entscheidung vor“.

Warum könnten die Kommunen überfordert sein?

Von den 20 Kommunen, die sich zur Anrainerkonferenz zusammengeschlossen haben, sind neun so hoch verschuldet, dass sie sich in der Haushaltssicherung befinden. Dabei handelt es sich um Mönchengladbach, Grevenbroich, Aldenhoven, Inden, Jülich, Langerwehe, Bedburg, Elsdorf und Kerpen.

Werden im Revierpakt auch konkrete Förderprojekte benannt?

Nein. Die werden von der ZRR nach einem Drei-Sterne-System bewertet. Den ersten Stern gibt es für eine „substanzielle Projektidee“, den zweiten für ein „tragfähiges Vorhaben“. Mit dem dritten Stern wird die Förderfähigkeit bescheinigt.

Die SPD im Düsseldorfer Landtag hält diese Fördermethode für intransparent, weil die Kriterien für die Sternvergabe unklar seien. Auffällig sei, dass bisher vor allem Projekte von Hochschulen und universitären Forschungseinrichtungen mit Sternen ausgezeichnet wurden. Den Kommunen fehle es dabei auch an Erfahrung. Der Aachener Landtagsabgeordnete Stefan Kämmerling (SPD) hatte zuletzt kritisiert, die ZRR entziehe sich jeder demokratischen Kontrolle: „Bis heute weiß kein Mensch, wofür das Geld ausgegeben wird.“ Deshalb fordert die SPD-Landtagsfraktion die Einrichtung einer Sonderplanungszone Rheinisches Revier, die einen Sonderstatus bei der Regional- und Landesplanung erhalten müsse.

Hat der Vorschlag Chancen?

Nein. Die ZRR spielt im Strukturwandelprozess die zentrale Rolle, übernimmt „die regionale Steuerungs- und Koordinierungsfunktion“, heißt es im Reviervertrag. Sie sei damit Teil eines „möglichst unbürokratischen Drei-Ebenen-Systems“ zwischen Bundesregierung, Landesregierung und der Region.

Hat es schon Fehlentwicklungen bei den Fördergeldern gegeben?

Klar ist, dass Fördergelder in Höhe von 14,8 Milliarden Euro natürlich überall Begehrlichkeiten wecken. So tauchte in der Liste der Zukunftsprojekte auch der Ausbau der sogenannte Westspange auf, die zum Kölner S-Bahnnetz gehört. Unstrittig ist, dass das Rheinische Revier von einer besseren Anbindung an Köln profitieren wird. Die kostet nach derzeitigen Planungen aber rund 2,3 Milliarden Euro und hätte den Strukturhilfefonds deutlich belastet. Nach Protesten von Politikern in den Kommunen soll das Verkehrsprojekt laut NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) nun doch komplett aus Bundesmitteln bezahlt werden.

Was sagen die Bürgerinitiativen und Verbände zum Revierpakt?

Sie fordern in einer gemeinsamen Erklärung eine „transparente Auswahl der Strukturwandelprojekte“ und bezeichnen den Reviervertrag als „reine Showveranstaltung“. Bislang fehle ein klares Bewertungsraster, das gewährleiste, „dass nur tatsächlich umweltfreundliche Vorhaben mit Steuergeldern unterstützt werden“. Anders ließe sich das in Paris vereinbarte 1,5 Grad-Klimaziel nicht erreichen.

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Das Bündnis aus Tagebau-Betroffenen, Kirchen, Umweltverbänden und Initiativen kritisiert, der Strukturwandelprozess werde „den gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen in der Region nicht gerecht“ und stünde „der Schaffung eines neuen Zusammengehörigkeitsgefühls im Wege“. Statt ihn „gemeinwohlorientiert auszurichten, bedient Armin Laschet weiterhin die Wünsche des Kohlekonzerns RWE“, sagt Antje Grothus von der Initiative „Buirer für Buir“. Superintendent Jens Sannig vom Kirchenkreis Jülich hält es für ein „nachhaltiges Zukunftsmodell“, wenn die vom Braunkohletagebau noch bedrohten Dörfer erhalten blieben und mit jungen Familien neu belebt würden. „Wirklich nachhaltig wäre es, wertvolle Böden nicht weiter zu vernichten.“

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