WiederbelebungskurseSchulministerium verzögert Umsetzung des Erste-Hilfe-Erlasses

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Schüler üben Reanimierungsmassagen.

Schüler üben Reanimierungsmassagen.

  • Seit zwei Jahren soll Wiederbelebung auf dem Lehrplan stehen.
  • Opposition im Landtag findet die Verzögerung skandalös.

Köln – Der Plan klang vielversprechend: Von der siebten Klasse an sollen Schüler in Deutschland jedes Jahr zwei Stunden Wiederbelebungstraining erhalten, so hatte es der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) auf seiner Sitzung im Juni 2014 in Düsseldorf beschlossen. Damit wollte man die Zahl der plötzlichen Herztode senken. Denn viele der Opfer könnten gerettet werden, würden mehr Menschen Erste Hilfe leisten: Obwohl bei einem Herzstillstand hierzulande in zwei Drittel der Fälle Personen anwesend sind, wird nur in jedem vierten Fall eine Reanimation versucht. Damit gehört die Reanimationsquote zu den schlechtesten in Europa.

Zwei Jahre nach der Empfehlung steht Wiederbelebung immer noch nicht auf dem Lehrplan – und das, obwohl das NRW-Schulministerium seinen Erste-Hilfe-Erlass schon seit 2014 überarbeitet. Die Verzögerung wird an diesem Mittwoch Thema einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Landtags sein.

„Nordrhein-Westfalen muss endlich die Erste-Hilfe-Ausbildung von Schülern fördern“, fordert Susanne Schneider, die als gesundheitspolitische Sprecherin in der FDP-Fraktion die Anhörung anberaumt hat. Allein durch eine Steigerung der Reanimationsversuche um zehn Prozent ließen sich nach Angaben von Fachleuten 5000 Leben pro Jahr retten – doppelt so viele wie jährlich im Straßenverkehr sterben. „Wer diese Zahlen kennt, der sollte über das Geld, das dafür investiert werden muss, nicht lange nachdenken“, sagt Schneider. Kein Bundesland ist verpflichtet, eine Empfehlung der KMK umzusetzen, auch wenn es diese selbst im Schulausschuss mitbeschlossen hat. Dennoch haben schon einige Länder ihrem Votum Taten folgen lassen: Baden-Württemberg etwa hat für 1,5 Millionen Euro Reanimations-Puppen für alle weiterführenden Schulen angeschafft und bislang über 600 Lehrer geschult, die Wiederbelebungskurse in ihren Schulen anbieten. Jovin Bürchner vom DRK Baden-Württemberg glaubt, dass das Konzept gut in NRW kopiert werden könnte.

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Wiederbelebung sollte Pflichtunterricht sein

Auch Thüringen und Bayern haben Geld in die Hand genommen, um Schülerkurse aufzulegen. Das erste Land, das mit Reanimation als Schulstoff experimentiert hat, war Mecklenburg-Vorpommern. Auf den Ergebnissen einer Studie der Forschungsgruppe Notfallmedizin an der Uni Rostock beruht auch die Empfehlung der KMK. Forscher Gernot Rücker, selbst Notarzt, ließ sein Team 400 Lehrer und 20.000 Schüler zu Wiederbelebung untersuchen. Danach testeten die Wissenschaftler rund 1000 Schüler, ob sie in der Lage wären, einen Erwachsenen leitliniengerecht wiederzubeleben. Das Ergebnis: Nach der Anleitung konnten fast alle Siebtklässler Wiederbelebungsmaßnahmen erfolgreich durchführen. Anschließend sagten 80 Prozent der Lehrer, Reanimation gehöre als Pflichtunterricht in die Schule, vier Fünftel der Schüler erklärte, der Kurs hätte ihnen Spaß gemacht. Mit diesen Ergebnissen bewaffnet, überzeugte Rücker den Kultusminister und einige Sponsoren, und das Land Mecklenburg-Vorpommern schaffte Puppen für jede Klasse an. 50.000 Schüler wurden auf diese Weise bis heute ausgebildet.

Warum NRW in dieser Sache seit zwei Jahren keinen Schritt weitergekommen ist, vermag das Ministerium nicht zu erklären. „Die Neuerung muss mit der Unfallkasse, den Hauptpersonalräten und dem Gesundheitsministerium abgestimmt werden“, sagt eine Sprecherin des Schulministeriums. Manchmal ziehe sich ein Verfahren hin, wenn viele Stellen beteiligt sind. Aber wo es genau hake, sei unklar.

Stecken geblieben in der Maschinerie

Einer der prominentesten Befürworter des Projekts wird deutlicher. Die Überarbeitung des Erlasses sei „stecken geblieben in der Maschinerie“, glaubt Professor Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln und Vorsitzender des Deutschen Rats für Wiederbelebung. „Wir haben den Erlass bereits vor zwei Jahren gemeinsam bearbeitet. Zwischenzeitlich habe ich verschiedentlich nachgefragt, zuletzt im Februar. Dabei wurde mir signalisiert, dass es nun zügig weitergeht.“ Seither habe er nichts mehr gehört, sagt Böttiger, der sich seit Jahren für Reanimation als Schulstoff einsetzt. Eine erneute Nachfrage ergab nun: Es wird vor Sommer nichts mehr werden. „Das ärgert mich. Wir hätten in NRW beim Lebenretten deutschlandweit ganz vorne mit dabei sein können.“

Eine Kritik, die sich inzwischen auch die Opposition im Landtag zu eigen macht. „Es ist skandalös, dass die Umsetzung dieser wichtigen Entscheidung Jahre braucht“, sagt Oskar Burkert, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Lebensrettende Maßnahmen schon in der Schule anwenden zu lernen halte ich für genau richtig. Wir werden Druck machen auf die Landesregierung bei diesem Thema.“

In der Anhörung wird auch Bernd Böttiger vor dem Gesundheitsausschuss sprechen. „In NRW sterben jährlich 17.500 Menschen nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand mit nicht erfolgreicher Wiederbelebung“, schreibt er. Wie viele von ihnen gerettet werden könnten, wenn schon Schüler die einfache Herzdruckmassage beherrschen und sie womöglich auch ihren Eltern und Großeltern beibringen, zeigt das Beispiel Dänemark. 2005 wurden dort regelmäßige Wiederbelebungs-Trainings verpflichtend beim Schulunterricht. Seitdem hat sich die Zahl der Menschen, die durch Reanimation gerettet wurden, verdreifacht.

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