Geburtshilfe-Leiter der Uniklinik„Alle Fehlbildungen abzufragen, würde Monate dauern“

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Universitätskliniken bei Nacht

  • Nachdem in Euskirchen und Gelsenkirchen mehrere Fälle von Fehlbildungen bei Neugeborenen bekannt geworden sind, spricht der Leiter der Geburtshilfe der Kölner Uniklinik im Interview über...
  • ... mögliche Ursachen,
  • ... die Notwendigkeit eines bundesweiten Melderegisters,
  • und warum es wichtig ist, auch auf Schwangerschaften zu schauen.

Herr Grüttner, wie bewerten Sie als Leiter der Geburtshilfe der Uniklinik Köln die derzeitige Debatte um Fehlbildungen bei Neugeborenen?

Es ist gut, dass das Thema bei der Politik und den Gesundheitsbehörden angekommen ist. Es werden jetzt Daten gesammelt. Wir haben unsere Fälle von Handfehlbildungen aus den vergangenen drei Jahren am Montag schon gemeldet. Die Frist ist sehr eng gefasst, so dass wir Ende nächster Woche schon einen Überblick haben werden, wie viele Fehlbildungen es gab. Dann wissen wir, ob die drei Fälle in Gelsenkirchen, auch wenn das hart klingt, im Bereich der statistischen Streuung liegen und als normal anzusehen wären.

Warum hat sich das NRW-Gesundheitsministerium auf die Erfassung von Handfehlbildungen beschränkt?

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Alle Fehlbildungen bei 6500 Geburten bei uns in Haus in den vergangenen drei Jahren einzeln abzufragen, würde Monate dauern, weil sie nicht zentral erfasst werden. Wenn man eine schnelle Antwort für den konkreten Fall will, muss man sich begrenzen.

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Für die Zukunft macht ein komplettes bundesweites Register Sinn. Das darf sich aber nicht auf die lebend geborenen Kinder beschränken.

Warum nicht?

Weil man dann der Problematik nicht gerecht wird. Die Pränatal-Diagnostik ist so weit verbreitet, dass ein Großteil der Kinder eben doch auffällt und der Weg zum Schwangerschaftsabbruch häufig gegangen wird. Wenn man ein aussagekräftiges Register haben will, muss man nach Schwangerschaften schauen.

Es gibt doch schon ein Zentralregister des Instituts für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Was wird dort gesammelt?

Wie der Name schon sagt, geht es dort um die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen. Da gehören die Fehlbildungen dazu. Dort wird aber nur erfasst, ob bei Geburt eine Fehlbildung vorlag und ob sie schon vor der Geburt bekannt war. Mehr wird dort nicht abgefragt.

Könnte man bei einem bundesweiten Melderegister auf das IQTIG-Register aufbauen?

Wohl nicht. Weil das IQTIG-Register Ländersache ist. Wir hatten gerade am Dienstag das Treffen in NRW zu den Daten des Jahres 2018. Da wurde noch einmal deutlich wie wichtig den Landesärztekammern ihre regionale Autonomie im Hinblick auf die Qualitätssicherung ist. In dieser Gemengelage stehe ich mit dem Wunsch nach einer bundeseinheitlichen Lösung ziemlich alleine da.

Was könnten die Ursachen für Fehlbildungen sein?

Die wahrscheinlichste Ursache dürfte ein Abschnürungsphänomen durch die Nabelschnur oder durch Faltenbildung in den Eihäuten der Fruchtblase sein. Wenn man weiter fasst, muss man eine virale Genese mitbetrachten. Ich erinnere an das Zikavirus. Da kamen Tausende Kinder mit kleinen Köpfen auf die Welt. Aber das passt so gar nicht zu den Fehlbildungen in Gelsenkirchen. Das Virus ist saisonal auf die Zeit begrenzt, in der die Mücke fliegt. Die letzte Möglichkeit wäre ein Umweltgift, ein Medikament oder ein Pestizid. Das passt auch nicht, weil das nicht lokal begrenzt ist. Auch dann müssten es mehr als drei Fälle sein. Selbst wenn es fünf oder zehn wären, ist das für die Gesamtsumme immer noch wenig. Bei Contergan waren es Tausende Fälle.

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