Abo

Integrationsrat und Caritas mahnenWie die bevorzugte Behandlung von Ukrainern in Köln zu Konflikten führt

Lesezeit 4 Minuten
Eine ukrainische Fahne weht neben einer EU-Fahne im Wind, im Hintergrund der Rhein.

Ukrainerinnen erhalten dank einer EU-Richtlinie viele Rechte, die andere Geflüchtete nicht haben.

Geflüchtete aus der Ukraine genießen Privilegien, die andere Geflüchtete nicht haben. Der Kölner Integrationsrat fordert ein Umdenken. 

Ungleichbehandlungen von Geflüchteten unterschiedlicher Herkunft hat es seit jeher gegeben. Im Zuge der Flucht Hunderttausender Menschen aus der Ukraine nach Deutschland hat sich das womöglich deutlicher denn je gezeigt: Die Kriegsgeflüchteten reisten ungehindert und sicher ein, sie erhielten Gratis-Tickets für den öffentlichen Nahverkehr, eine Aufenthaltsgenehmigung, Zugang zu Sozialleistungen, Arbeit und Bildung. „Einerseits hat sich das Land vorbildlich solidarisch gegenüber den Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt“, sagt Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats. „Andererseits führen eine bevorzugte Behandlung und mehr Rechte natürlich auch zu Neid und Unverständnis.“

Wenn andere Geflüchtete mitbekommen, dass Ukrainerinnen und Ukrainer hier sofort fast alle Rechte eingeräumt werden, führt das auch zu Frust
Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats

Viele Geflüchtete aus dem globalen Süden – etwa Syrien, Irak, Iran, Afghanistan oder den afrikanischen Ländern – haben nach ihrer Ankunft in Deutschland keinen Zugang zu Bildung und Arbeit. Sie leben oft jahrelang in Sammelunterkünften, geduldet, in Angst vor Abschiebung. „Wenn diese Menschen dann mitbekommen, dass Ukrainerinnen und Ukrainern hier sofort fast alle Rechte eingeräumt werden, führt das auch zu Frust“, sagt Prölß.

Das Konfliktpotenzial ist umso größer, je mehr Menschen aus verschiedenen Kulturen in Sammelunterkünften zusammenkommen. So kam es am Hardtgenbuscher Kirchweg im vergangenen Jahr zu Aggressionen zwischen Ukrainern auf der einen und Roma auf der anderen Seite. In der Ringstraße in Rodenkirchen haben ukrainische Männer eine Romafamilie kürzlich bedroht, beleidigt und rassistisch diffamiert.

Alles zum Thema Caritas

Hauptursache für die Eskalationen sei ein zu geringer Personalschlüssel, meint Prölß. „Wenn gerade in den Großunterkünften nicht ausreichend Personal vor Ort ist, das die Geflüchteten beraten, unterstützen, vor Gewalt schützen und bei Konflikten vermitteln kann, sprechen wir von menschenunwürdiger Unterbringung.“

Antrag zur Gleichbehandlung des Kölner Integrationsrats

Der Kölner Integrationsrat hat schon im vergangenen Jahr beantragt, die Gleichbehandlung von Geflüchteten durch mehr Personal und die Einhaltung von Mindeststandards sicherzustellen – alle Menschen, die fliehen mussten, seien „unabhängig von Staatsangehörigkeit, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Land und Religion“ zu behandeln. Die Stadt müsse sicherstellen, dass ihr eigenes Gewaltschutzkonzept auch umgesetzt werde und die Menschen würdig behandelt werden. Endgültig entschieden ist über den Antrag noch nicht – gewährleistet werden könnte die Gleichbehandlung seitens der Stadt Köln freilich vor allem bei der Unterbringung.

Die Gewährung von Aufenthalt, Sozialleistungen, Integrationsleistungen, medizinischer Versorgung und Zugang zum Arbeitsmarkt von Menschen aus der Ukraine regelt die sogenannte „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU. Viele bürokratische Hürden und Einschränkungen fallen dadurch für Ukrainerinnen und Ukrainer weg.

„So begrüßenswert diese Regelung für die Geflüchteten ist – im Zusammenleben von Geflüchteten unterschiedlicher Herkunft führt die ungleiche Behandlung auch zu Schwierigkeiten“, sagt Alice Rennert, Leiterin des Bereichs Integration beim Kölner Caritas-Verband. In einer Notunterkunft der Caritas in Mülheim mit 400 Plätzen seien anfangs nur Ukrainerinnen und Ukrainer untergebracht gewesen. Als kurzfristig Geflüchtete aus anderen Ländern hinzugekommen seien, „haben wir durchaus Konfliktpotenzial wahrgenommen“.

Bei Notunterkünften ohne richtige Rückzugsmöglichkeiten für traumatisierte Menschen aus verschiedenen Kulturen seien „Eskalationen vorprogrammiert“, sagt Rennert. „Wenn eine Unterbringung nicht anders möglich ist, so müsste es zumindest deutlich mehr Personal geben.“

Die angespannte Situation in den Gemeinschaftsunterkünften führe „zu einer Häufung von Konflikten und einer zunehmenden Gefahr von Gewaltübergriffen“, hat  Rennert beobachtet. Die Caritas verurteile „jede Form von strukturellem Rassismus und von Ungleichbehandlung“.

Es wäre wünschenswert, wenn alle Geflüchteten zumindest den gleichen Zugang zu Sprach-, Integrationskursen und Arbeit hätten
Alice Rennert, Leiterin des Bereichs Integration der Kölner Caritas

Eine tatsächliche Gleichbehandlung Menschen jedweder Herkunft sei zwar unrealistisch: „Es wäre aber wünschenswert, wenn alle Geflüchteten zumindest den gleichen Zugang zu Sprach-, Integrationskursen und Arbeit hätten“, sagt Rennert. „Andernfalls bleiben Menschen oft jahrelang unmündig.“

Der Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine sei „vorbildlich“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender des Kölner Integrationsrats. „Es sollte dem Staat aber zu denken geben, wie er mit Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan umgeht. Alle diese Menschen sollten und müssten einen schnellen Zugang zu Arbeit, Bildung und Sozialleistungen bekommen.“ Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft unterschiedlich behandelt würden, zeuge von „Doppelmoral und Zynismus“.

Frauenberatungsstelle erhält Geld für die Beratung ukrainischer Frauen

Menschen, die in Deutschland lediglich geduldet werden, haben schon bei der Suche einer Wohnung schlechte Karten: „Eine Duldung ist auch für Frauen, die in ihren Familien von akuter Gewalt bedroht sind, während oder vor ihrer Flucht Gewalt erlebt haben, oft ein Ausschlusskriterium für Wohnungseigentümer“, sagt Behshid Najafi von der Kölner Frauen-Beratungsstelle Agisra.

Dramatische Fälle gebe es aktuell von Frauen, die vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine gelebt haben, dort aber noch nicht anerkannt waren.  In die Beratungsstelle kämen Frauen, die vor dem Krieg in der Ukraine gelebt haben, aber keine ukrainischen Staatsbürgerinnen sind, zum Beispiel Studentinnen, Arbeitende oder Geflüchtete. „Einigen von ihnen droht die Abschiebung, weil sie nicht wie Kriegsgeflüchtete behandelt werden.“ Zugang zu Sozialleistungen, Arbeit und Sprachkursen hätten viele dieser Frauen nicht.

Seit Juli 2022 wird Agisra eine Halbtagsstelle finanziert, um Frauen aus der Ukraine zu beraten - Fördergeld, das sonst sehr selten bewilligt wird. „Wir nutzen das Geld vor allem zur Beratung von Drittstaatsangehörigen, die vor dem Krieg in der Ukraine gelebt haben“, sagt Najafi.

KStA abonnieren