Kölner Ex-SPD-Chef Jochen Ott„Die Leute haben keine Zeit für Spielchen“

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Jochen Ott

Der frühere SPD-Chef Jochen Ott

  • Bei der Kommunalwahl 2020 hat die Kölner SPD überraschend gute Ergebnisse erzielt.
  • Andreas Kossiski hätte einen Neustart für die Partei bedeuten können, ist sich Jochen Ott sicher.
  • Wir haben mit dem früheren SPD-Chef über den Konflikt in der Fraktion, Ansprüche an die Grünen und Lehren aus seiner OB-Kandidatur gesprochen.

Köln – Herr Ott, die SPD hatte einen unerwarteten Achtungserfolg bei der Kommunalwahl – OB-Kandidat Andreas Kossiski ist in die Stichwahl gekommen, man stellt die zweitstärkste Fraktion. Am Ende kommt aber heraus, dass die SPD wahrscheinlich trotzdem keine wichtige Rolle im Stadtrat spielen wird. Wie konnte es soweit kommen?

Ob man überhaupt keine Rolle spielt, wird sich zeigen. Aber Andreas Kossiski hat etwas geschafft, was keiner für möglich gehalten hätte, auch ich nicht. Er hat mit seiner deutlichen und hemdsärmeligen Art die Leute begeistert. In der Öffentlichkeit versteht deshalb kein Mensch, warum der, der Oberbürgermeister werden sollte, nun keine Fraktion führen können soll.

War es falsch von Kossiski, direkt am Wahlabend klar zu sagen: Ich will den Fraktionsvorsitz übernehmen?

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Es ist bei Wahlen nicht unüblich, dass Spitzenkandidaten am Abend erklären, was sie danach machen. Für mich war immer klar: Wenn man in der SPD eine gemeinsame Lösung finden will, dann braucht man jemanden, der über den Dingen steht. Das ist Kossiski – obwohl mir da auch nicht alle aus der Partei zustimmen würden.

Amtsinhaber Christian Joisten hat das Duell um den Fraktionsvorsitz dennoch für sich entschieden. Hätte Kossiski einen Neustart für die SPD bedeutet?

Ja, hätte es, aber ich respektiere das Ergebnis. Jetzt geht es darum, dass die Fraktionsspitze Verantwortung übernimmt, den Laden zusammenhält, Vertrauen aufbaut und als Ansprechpartner für die anderen Fraktionen da ist. Die SPD wird gebraucht – aber nicht, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wir sind die Partei, die überall von Solidarität spricht und seit Jahren verhalten wir uns auf allen Ebenen mit unserem Führungspersonal und uns selbst nicht solidarisch. Diesen Widerspruch spüren die Leute.

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Woran liegt das? Es ist nicht nur in Köln so – auch in NRW und auf Bundesebene.

Die SPD hat im Sinne einer Volkspartei ein breites Profil. Früher hat man gesagt: Der Vogel braucht zwei Flügel, um zu fliegen. Ich habe trotzdem die Flügelkämpfe nach 2001 beendet. Aber heute geht es nicht mal mehr um Inhalte, sondern um persönliche Fragen und Interessen. Wenn es um Inhalte ginge, könnte man es irgendwie verstehen. In der CDU zum Beispiel wird erst der Bär erlegt und dann um das Fell gestritten. Bei uns streitet man erst darüber, mit welchen Mitteln man den Bär erlegt und dann ist man schon so erschöpft, dass man keine Kraft mehr hat sich mit Mitbewerbern auseinanderzusetzen. Die arbeitende Mitte der Bevölkerung hat keine Zeit für Spielchen, wo Leute sich mit sich selbst beschäftigen – sie will, dass für sie etwas herumkommt. Deshalb werde ich weiter für so einen Versöhnungskurs arbeiten. Ich will, dass der Laden zusammenbleibt in Köln und in NRW.

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Jochen Ott im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“

Deshalb reden wir nicht mehr von Flügeln, sondern von Lagern. Die Sozialdemokraten, die sich da streiten, teilen durchaus viele Meinungen.

So ist es. Bei inhaltlichen Konflikten verläuft die Linie an einer anderen Stelle. Und dieser Streit ist sinnvoll und gehört in einer Partei dazu. Wenn Gerüchte, üble Nachrede und persönliche Befindlichkeiten alles emotionalisieren, dann eskaliert jeder Konflikt und man ist irgendwann in einem Fernsehduell im Stil von Trump.

Wenn der Streit gerade auf einer persönlichen Ebene stattfindet und nicht auf einer inhaltlichen – wie ist eine Einigung dann überhaupt möglich?

Die einzige Möglichkeit ist, auf die rationale Ebene zurückzukehren, miteinander zu reden und auszuloten: Was ist für die Partei gut? Und nicht zu schauen, was für Einzelne gut ist. Früher gab es ein Bewusstsein, die Partei in den Mittelpunkt zu stellen und damit auch die Werte, für die man draußen kämpft. Die SPD wird gebraucht. Der Klimawandel ist Realität. Keine andere Partei kann, wie es schon mal im rheinischen Kapitalismus gelungen ist, nun die soziale und die ökologische Frage im Sinne einer rheinischen Nachhaltigkeit versöhnen. Keine Partei kann glaubhafter eine „bodenständige Moral“ prägen, die Respekt gegenüber Menschen lebt und trotzdem ohne Sprachpolizei auskommt.

Dafür müsste jetzt die Seite von Christian Joisten, die gewonnen hat, der anderen Seite die Hand reichen.

Vollkommen richtig, das ist die Führungsaufgabe – und die, die hier in der Fraktion gewonnen haben, müssen das auf jeden Fall beherzigen, dazu alle in der Partei einbinden. Sonst kommt der Konflikt nie zur Ruhe. So geeint hätten wir im Rat alle Chancen mitzugestalten.

Bei den Grünen ist der Kampf um den Fraktionsvorsitz ebenfalls nicht ganz intern, aber ohne Schlammschlacht abgelaufen.

Wenn wir von den Grünen heute eins lernen können, dann ist es, Probleme intern zu lösen – sie haben ja fast keinen Konflikt in der Partei. Aber ihre Schonzeit ist jetzt auch vorbei: Die Grünen regieren in Köln seit 20 Jahren. Sie haben wieder einen Oppositionswahlkampf gemacht, doch jetzt stellen sie die Oberbürgermeisterin und fast 30 Prozent des Stadtrates. Jetzt muss man ihnen sagen: Ihr seid jetzt dran, also liefert! Das meine ich ohne Zynismus, in einer Demokratie muss man Handeln einfordern.

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Muslimisches Seelsorge-Telefon

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Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention

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Es ist spannend, dass mit Lindenthal die absolute Hochburg der CDU von den Grünen geschleift wurde. Übrigens: Für die CDU war das schwarz-grüne Rheinland insgesamt bislang jedenfalls kein Erfolgsrezept.

Hatten Sie überlegt, noch einmal selbst als OB-Kandidat anzutreten?

Ich habe mich schon früh dagegen entschieden. Weil die Konstellation einfach zu ähnlich war und weil ich meiner Familie das ein zweites Mal nicht antun konnte. Der OB-Wahlkampf 2015 war ein traumatisches Erlebnis. Mit der Verschiebung des Wahltermins, mit dem Attentat auf Frau Reker, mit meinem Rausfallen aus dem Rat wegen der Neuauszählung. Damit, dass du am Wahlabend nicht einmal der Anderen die Hand geben kannst, um den Wahlkampf zu beenden. Dann das Reker-Buch. Das alles macht etwas mit Einem.

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