Nach Festsetzung in der TürkeiKölnerin Hamide Akbayir kritisiert deutsche Politik

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Hamide Akbayir vor ihrem Porträt

Köln – Hamide Akbayir, die Linken-Politikerin, die viereinhalb Monate in der Türkei festgehalten wurde und seit Donnerstagabend wieder in Köln ist, steht in einer Reihe mit Pablo Picasso, Greta Thunberg, Andy Warhol und dem Rapper Tupac Shakur. Der Kölner Künstler Ali Zülfikar hat von Akbayir wie von den berühmten Persönlichkeiten ein mehr als überlebensgroßes Bleistiftporträt angefertigt. In Akbayirs rechtem Auge spiegelt sich der Kölner Dom, im linken eine Friedenstaube. Am rechten Bildrand ist eine halboffen stehende Tür ihres Hauses in der Türkei zu sehen, die mit Flatterband und einem Siegel der türkischen Justiz versperrt ist.

„Ich wollte Hamide mit dem Bild während ihrer Zeit in der sinnlosen Geiselhaft in der Türkei unterstützen“, sagte Zülfikar anlässlich einer Konferenz zur Freilassung Akbayirs am Montag in seinem Atelier in Poll. „Sie hat mir auch einmal in einer schwierigen Zeit geholfen.“

16 Stunden lang verhört

Die 62-jährige Akbayir, die am 2. September 2021 in der Türkei festgesetzt und 16 Stunden lang verhört worden war, bevor sie unter der Auflage einer Ausreisesperre das Polizeirevier verlassen durfte, zeigte sich berührt. „Die Solidarität auf allen Ebenen hat bewirkt, dass ich jetzt hier sein kann“, sagte sie, und bedankte sich bei ihren Unterstützern: Von ihrer Nachbarschaft, die einen Brief ans Auswärtige Amt schrieb, über die Universität zu Köln, die eine Petition für ihre Freilassung initiierte, bis zu ihren Parteifreunden um Stadtrat Jörg Detjen und dem Kölner Stadtrat, der eine parteiübergreifende Resolution für ihre Freilassung verabschiedet hatte.

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Vorwurf wie bei allen Regimegegnern: Terrorpropaganda

Akbayir war am 15. Juni 2021 in die Türkei gereist, um Verwandte zu besuchen und eine Familiengrabstätte zu pflegen. Seitdem sie im Ruhestand ist, pendelt sie zwischen Köln und ihrer türkischen Heimat. Am Tag nach ihrer Einreise wurde ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt. Am 2. September wurde Akbayir in Karakoçan (Provinz der Stadt Elazığ) von der Staatsanwaltschaft per Video verhört. Zweimal pro Woche musste sie sich bei der Polizei melden. Vorgeworfen wird ihr wie fast allen Kritikerinnen und Kritikern des türkischen Präsidenten Erdogan „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Propaganda“.

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Hamide Akbayir vor ihrem Porträt

Hamide Akbayir, die seit 1998 ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, bezeichnet die Vorwürfe als „willkürlich und absurd“. Seit vielen Jahren mache sie sich für Frauen- und Minderheitenrechte in der Türkei stark und sage dazu in Deutschland immer wieder ihre Meinung. „In den Augen der türkischen Regierung ist man dann offenbar ein Terrorist. Das ging Mesale Tolu so, genauso wie Gönül Örs, Hozan Cane, Adil Demirci und vielen anderen.“

Die neue Bundesregierung dürfe „nicht so weitermachen wie die alte“, sagte Akbayir. Menschen, die die Türkei öffentlich kritisierten, dürften „nicht weiterhin zu Opfern von staatlichen Beziehungen werden“. Akbayir erinnerte daran, dass im Fall von Gönül Örs nach einer Demonstration auf einem Kölner Touristendampfer Informationen des Bundeskriminalamts (BKA)  an die türkischen Behörden weitergeleitet worden sein sollen. Als Örs ihre inhaftierte Mutter Hozan Cane in der Türkei besuchen wollte, wurde sie festgesetzt – wegen einer Anzeige, die in Deutschland etliche Jahre zuvor umgehend fallengelassen worden war. Inzwischen ist Örs wieder in Köln, in der Türkei wurde sie in Abwesenheit zu zehn Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt.

Keine Warnung der Bundesregierung

Akbayir forderte die Bundesregierung auf, aufzuklären, ob es Fälle gebe, in denen deutsche Behörden in der Vergangenheit sensible Daten an türkische Verwaltungen weitergegeben hätten. Es könne und dürfe nicht sein, dass der türkischen Justiz Akten zugespielt würden, um vermeintliche Argumente für  Inhaftierungen zu finden. In der Türkei existierten Listen mit unliebsamen Regimekritikerinnen und -kritikern aus allen Ländern. „Mich hat von offizieller Seite in Deutschland leider niemand gewarnt, dass es gefährlich für mich sein könnte, in die Türkei zu reisen.“

Solidarität von Nachbarschaft und Universität

Besonders im Fall von Hamide Akbayir war, dass sich auch ihre Höhenhauser Nachbarschaft und die Universität, für die Akbayir mehr als 40 Jahre gearbeitet hat, für ihre Freilassung einsetzten. Das sei ganz selbstverständlich gewesen, sagte Nachbarin Angelika Spilker-Jacobs. „Hamide ist seit mehr als 23 Jahren eine tolle Nachbarin. Wir haben nicht nur einen Brief ans Generalkonsulat geschrieben, viele von uns waren auch bei den Mahnwachen in der Innenstadt. Ihr Fall hat uns ein bisschen politischer gemacht.“

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Charlotte Meyer-Gerards vom Institut für Biochemie der Universität zu Köln sagte, dass die von ihr initiierte Petition für die Freilassung Hamide Akbayirs mit 4766 Unterschriften in Berlin eingereicht werde, obwohl das Ziel jetzt erreicht sei. „Wir wollen das Bewusstsein der Politik dafür schärfen, dass Hamides Fall kein Einzelfall ist.“

Eingriff in die deutsche Demokratie

„Es kann nicht sein, dass der türkische Staat mit Festsetzungen und Inhaftierungen in eine funktionierende Demokratie eingreift“, sagte Anke Brunn, Ministerin a.D. (SPD). Besonders grotesk sei es, dass dafür Meinungsäußerungen in Deutschland zugrunde gelegt werden. „Hamide Akbayir war Landtagsabgeordnete und Stadträtin. Sie hat in Deutschland ihre Meinung über ein Regime gesagt.“ Mit ihrer Festsetzung gehe „die Einschüchterung von Regimekritikern weiter“.

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