Klimawandel in Köln„Es gibt zu viele Autos in der Stadt“

Lesezeit 7 Minuten
Stau Innere Kanalstraße

Stau auf der Inneren Kanalstraße (Symbolbild)

Köln – Das Motto des Viertels liegt auf der Straße. „Langsam“ hat da jemand hingesprüht, und langsam geht es in der autofreien Siedlung in Nippes tatsächlich zu. Von Autos zunächst keine Spur, die schnellsten Fahrzeuge sind Fahrräder oder die kleinen Gokarts, die hier viele Kinder nutzen. Man trifft Ines Du, die ihre Kinder Linda (6) und Jonah (4) zum Spielplatz bringt. Familie Du wohnt seit vier Jahren im Quartier, und die Mutter möchte es nicht mehr missen. „Es ist ein Traum, weil die Infrastruktur vor der Tür ist und man dennoch lebt wie auf dem Land.“

Die Nippeser Siedlung gehört seit der Eröffnung 2006 zu den größten autofreien Quartieren in Deutschland. 4,3 Hektar groß, 1500 Menschen in 460 Haushalten. Ein paar Autos gibt es dann doch, die aber in einem Parkhaus am Rand untergebracht sind.

Ines Du hat das Autofahren in Köln aufgegeben. „Viel zu anstrengend“, sagt die 38-jährige Marketing-Fachfrau mit dem Schwerpunkt China. Ihr Mann, der auch aus China stammt, hat keinen Führerschein, die Familie verzichtet völlig auf das Auto. Denn in Nippes könne man alle Einkäufe mit dem Rad erledigen, Kita und Schule liegen in der Nähe. „Im Alltag gehe ich zu Fuß oder nehme die Bahn.“

Alles zum Thema Universität zu Köln

10,3 Millionen Tonnen CO2

Wenn mehr Menschen so wie Familie Du leben würden, hätte Köln wohl weniger Probleme mit dem Klimaschutz. Denn die vielen Autos in der Stadt sorgen für einen guten Teil der Umweltverschmutzung.

Ines Du lebt mit ihren Kindern Linda und Jonah in der autofreien Siedlung in Nippes. Das größte Gefährt im Quartier ist ein Rikscha-ähnliches Gokart.

Ines Du lebt mit ihren Kindern Linda und Jonah in der autofreien Siedlung in Nippes. Das größte Gefährt im Quartier ist ein Rikscha-ähnliches Gokart.

Emittiert ein Auto im Durchschnitt pro Personenkilometer 128 Gramm Kohlendioxid (CO2 ) in die Luft, liegt der Ausstoß bei Bussen und Bahnen bei lediglich 65 und 75 Gramm. Von den 10,3 Millionen Tonnen CO2 , die in Köln jedes Jahr in die Luft gepustet werden, gehen 26 Prozent auf das Konto des Straßenverkehrs.

474.000 Autos in Köln

Ein wesentlicher Faktor ist, dass die Zahl der Autos in der Stadt weiter zunimmt. Waren es 2010 noch 428.000 Autos, gab es 2017 schon 474.000 in Köln. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht, zumal die Einwohnerzahl der Stadt steigt. Hinzu kommen noch Lastwagen, Busse, Motorräder und 300.000 Pendler, die täglich in die Stadt fahren. Staus, hohe Stickoxidwerte und die klimarelevanten CO2 -Werte sind die Folge.

Für Ralph Herbertz vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist klar: „Es gibt zu viele Autos in der Stadt.“ Zu spüren ist der Klimawandel auch in Köln bereits: Laut Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz ist die Zahl der heißen Tage um mindestens 38 Prozent gestiegen. Umweltdezernent Harald Rau spricht von Hitzetoten im oberen zweistelligen Bereich pro Jahr in Köln.

19 Prozent Radfahrer

Verkehrsdezernentin Andrea Blome hält es dagegen für einen Erfolg, dass der Anteil des Autoverkehrs von 43 auf 35 Prozent von 2006 bis 2017 gesunken ist. Das sei nahe am selbst gesteckten Ziel von 33 Prozent. Der Anteil der Radfahrer ist im gleichen Zeitraum von zwölf auf 19 Prozent gestiegen, die Anteile des Nahverkehrs (21 Prozent) und der zu Fuß zurückgelegten Wege mit 25 Prozent stabil geblieben. Im Schnitt gingen die Wege, die per Auto zurückgelegt werden, jährlich um 1,1 Prozent zurück, obwohl im gleichen Zeitraum die Anzahl der Bevölkerung um 0,5 Prozent zunehme.

Besonders die verbesserte Technik in den Autos habe laut Experten etwas für den Umweltschutz gebracht: Die Minderungen durch technische Finessen werden aber von der größeren Fahrzeugflotte sowie dem zunehmenden Lkw-Verkehr aufgezehrt. Seit 2006 verzeichnet die Stadt im Bereich Verkehr nur einen kleinen Rückgang von vier Prozent bei den CO2 -Emissionen. Weit weg von den 20 Prozent, die die Stadt im Bürgermeister-Konvent unterschrieben hat. Weit weg vom Ziel der Bundesregierung, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent und bis 2030 um 55 Prozent zu verringern. Weit weg vom Ziel aus dem Klima-Bündnis der Städte, die Abgase um 50 Prozent zu reduzieren.

Konzept der Uni Köln

Alternativen müssen also her. Peter Cramton, Axel Ockenfels (beide Universität Köln) und Richard Geddes (Cornell University, New York) stellen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals „Nature“ ein Konzept für die Zukunft der Verkehrssteuerung vor. Kurz gesagt sollen Autofahrer für ihre Fahrten künftig zahlen – und zwar besonders viel dort, wo sie Staus verursachen.

Die Gebühren, die per GPS in Echtzeit und standortpräzise auf das Verkehrsaufkommen reagieren und Faktoren wie Fahrzeugtyp und Abgaswerte einbeziehen, sollen den Verkehrsfluss erheblich verbessern und zu einer Verringerung der Luftverschmutzung beitragen.

Ockenfels stellt gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ klar, dass die Gebühr auf den meisten Straßen gegen null tendiere. Sinn des Papiers sei auch nicht, die Autos von den Straßen zu verdrängen, sondern intelligent zu verteilen. „Zugleich können die Erlöse genutzt werden, um in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren und andere Belastungen der Autofahrer zu reduzieren“, so Ockenfels.

Luzern als Vorbild

Ökonomische Modelle hält Umweltamtschef Konrad Peschen für sinnvoll: „Wir haben uns alle daran gewöhnt, dass die Umwelt ein kostenloses Gut ist, das daher rege genutzt wird.“ Konzepte einer City-Maut würden sich rechnen, wenn sie allerdings flankiert wären von anderen Maßnahmen wie einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und guten Rahmenbedingungen für den Radverkehr.

In London, wo die City-Maut 2006 eingeführt, der öffentliche Nahverkehr aber nicht verbessert worden sei, gäbe es heute wieder so viele Autos in der City wie einst. Vielleicht sei auch eher die Schweizer Stadt Luzern ein Vorbild, so Peschen. Dort würden die Parkplätze in der Innenstadt so knapp bemessen, dass sich Autofahrer zweimal überlegten, ob sie die Strecke mit dem eigenem Wagen zurücklegen wollten.

Verband fordert Busoffensive

VCD-Chef Herbertz fordert für Köln eine Busoffensive: Weil der Ausbau der Stadtbahnen teuer ist und jahrelange Planungen bedürfen, plädiert er dafür, Metrobusse einzuführen, die schnell auf eigenen Spuren fahren und nur wenige Haltestellen ansteuerten. Stärker gefördert werden müsse auch die Rad-Infrastruktur. Mit dem Radverkehrskonzept Innenstadt, das etwa 80 Routen umfassen soll, auf denen Radfahrer Vorfahrt haben, sei ein guter Anfang gemacht worden. „Generell haben wir aber einen Flickenteppich“, so Herbertz.

Das könnte Sie auch interessieren:

Verkehrsdezernentin Blome verweist darauf, dass der Rat im Juli eine Ausweitung des Busnetzes beschlossen hat. Busspuren müssten aber im Einzelfall geprüft werden. Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs seien etwa an der Maastrichter Straße/Ehrenstraße, dem Theodor-Heuss-Ring, der Ulrichgasse, der Deutzer Brücke sowie auf der Fahrradstraße auf der Zülpicher Straße durchgeführt worden. Derzeit würde an weiteren Maßnahmen gefeilt.

Maßnahmen tun Not. Denn wohin es führt, wenn eine Stadt im Verkehr erstickt, hat Ines Du aus der autofreien Siedlung in Peking gesehen. Wo Menschen mit Atemmasken auf Hauptverkehrsstraßen laufen und die Feinstaubbelastung mitunter zehnmal höher als erlaubt ist. „Als Studentin hat mir das nichts ausgemacht“, sagt Du. „Aber mit meiner Familie würde ich dort nicht wohnen wollen.“

Zur Serie

Dürreperioden und Hitzerekorde, tropische Nächte und Starkregen. Der Klimawandel ist in Form ungewohnter Wetterphänomene längst spürbar – auch in Köln. In einer neuen Serie beleuchtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“, was die Stadt tut, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen. Aber auch, was geplant ist, um künftig auf die von Experten vorhergesagten, extremer werdenden Bedingungen vorbereitet zu sein. Was Initiativen und Unternehmen, vor allem aber die Kölner selbst tun können, um den Herausforderungen gemeinsam zu begegnen, lesen Sie von dieser Woche an in loser Folge im Lokalteil. (ihi)

Autofreie Siedlung

Die ersten Pläne für eine autofreie Siedlung in Nippes gehen zurück in die 1990er Jahre. Mit dem Bau der Siedlung wurde im Jahr 2006 begonnen, 2013 konnte sie schließlich fertiggestellt werden. Mittlerweile leben an den Nippeser Straßen Am alten Stellwerk und Eisenachstraße samt Nebenstraßen 1500 Menschen in 460 Haushalten auf 4,3 Hektar Fläche. Ganz autofrei ist die Siedlung allerdings nicht: Für die Haushalte des Quartiers und für ungefähr 40 Besucher wurde am Siedlungsrand ein Parkhaus mit 120 Stellplätzen gebaut. Normalerweise wären an dem Standort zwischen 400 und 500 Stellplätze erforderlich gewesen. (ris)

KStA abonnieren